Quinquagesimae – Estomihi / 6. Sonntag im Jahreskreis (15.02.15)

Vorschläge der Perikopenrevision (EKD/VELKD/UEK): Lk 10,38-42; Lk 18,31-43; Amos 5,21-24; Mk 8,31-38; 1 Kor 13,1-13; Jes 58, 1-9a [www.stichwortp.de]

 

Quinquagesimae - Estomihi / 6. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Mk 8, 31-38 Lev 13, 1-2.43ac.44ab.45-46 1 Kor 10, 31 - 11, 1 Mk 1, 40-45

Mk 8, 31-38

1) Menschensohn

Der Menschensohn werde „kommen in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln“, heisst es am Schluss der Perikope. Der „Menschensohn“ ist eine Menschengestalt, die am Ende der Zeit erscheinen, Gott in einzigartiger Weise nahe sein und über ewige Macht verfügen wird. So beschreibt ihn der Prophet Daniel in einer seiner Visionen:

„Mit den Wolken des Himmels kam einer, der einem Menschen glich, und er kam vor den Hochbetagten (d.h. Gott), und vor diesen führte man ihn. Und ihm wurde Macht gegeben und Ehre und Königsherrschaft, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienen ihm. Seine Macht ist eine ewige Macht, die nie vergeht, und seine Königsherrschaft wird nicht untergehen.“ (Dan. 7, 13f.; vgl. Eckey 48)

Als diesen „Menschensohn“ bezeichnet sich Jesus in den Evangelien. Im Zimmermannssohn aus Nazareth offenbart sich mithin der Menschensohn als gottnahes, gottgleiches Wesen. Doch die Art und Weise, wie er sich offenbart, irritiert. Der Menschensohn, dessen eschatologische Signatur doch die ewige Macht ist, müsse vieles erleiden, sagt Jesus. Er werde von den Machthabern dieser Welt verworfen und getötet und nach drei Tagen auferstehen.

„Ganz offen“ habe Jesus diesen irritierenden Sachverhalt ausgesprochen, heisst es in der Perikope weiter. Auf ein sprachliches Detail sei in diesem Zusammenhang hingewiesen: Die genaue Übersetzung des griechischen Urtextes würde lauten: „Ganz offen sagte er das Wort“. Dieselbe Formulierung ist im Markusevangelium schon einmal an einer wichtigen Stelle begegnet: Am Ende von Jesu grosser Gleichnisrede heisst es, mit derselben Formulierung: „In vielen Gleichnissen sagte er ihnen das Wort“. (4, 33)

Nun ist es – das ist wohl der Sinn dieses innerevangelischen Zitats – mit der verschlüsselnden, verhüllenden Bildrede zu Ende, nun hören wir „die direkte Rede von Gott“ (Schweizer). Sie lautet: „Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden“. (nach Schweizer 93)

Das „Muss“, von dem Jesus hier spricht, ist ein göttliches (vgl. Mk. 13, 7.10). Hier gibt es kein Verhandeln, kein Abwägen. Der Menschensohn hat diesen Weg zu gehen, der hinabführt bis in die Verwerfung, bis in den Tod. Unterwegs kommt ihm jene Macht abhanden, die ihn ursprünglich auszeichnet, die ewige Macht, die unvergängliche Regentschaft über alle Völker, Nationen und Sprachen. Die Repräsentanten dieser Welt, konkret die Fraktionen des Synedriums, des Jerusalemer Hohen Rats (vgl. Eckey 288), machen seine Allmacht mit ihrer begrenzten Macht zunichte, vernichten ihn, töten ihn. Seither ist, gemäss dem paradoxen göttlichen „Muss“, auch das Nichts und jene stummen, finsteren Zonen, in die hinein sich der Menschensohn post mortem begeben hat, hineingenommen in die ewige Königsherrschaft des Menschensohns.

Doch Petrus widersetzt sich. Eben erst hat er erkannt und bekannt, dass Jesus der Christus, also der Messias sei. Dass er von den Repräsentanten des jüdischen Volkes, dem Hohen Rat, verworfen werden soll, würde ihn als König der Juden unmöglich machen. Er wäre ein Pseudomessias, und nicht nur er, auch seine Jünger wären gescheitert. Petrus hat also gute Gründe, sich gegen den Leidensweg Jesu zur Wehr zu setzen. „Freilich verkennt er den von Gott gewollten Weg des Menschensohns.“ (Eckey 288)

Die Reaktion Jesu ist harsch. Er wendet sich um, wendet also Petrus den Rücken zu, wendet sich von ihm ab und fährt ihn an: „Fort mit dir, Satan!“ Mit denselben Worten wies er einst in der Wüste den Satan von dannen: „Fort mit dir, Satan!“ (Mt. 4, 10)

Jener Kampf mit dem Satan „wird hier als Abwehr der Versuchung konkretisiert, sich dem gottgewollten Leiden zu versagen.“ (Eckey 289) Diesmal allerdings schickt Jesus den Angesprochenen nicht ins Nirgendwo; freilich sagt er: „Fort mit dir, Satan“, doch dann fährt er fort: „Hinter mich!“ Eben diese Worte verwendete er schon, als er Petrus in seine Nachfolge rief: „Hinter mich!“ Der Ort der Nachfolge ist nicht im Nirgendwo der Wüste, sondern hinter dem Menschensohn her.

2) Nachfolge

Was dies bedeutet, konkretisiert Jesus in den nun folgenden Worten (V. 34ff.). Dass er sich dabei nicht an den Jüngerkreis, sondern an eine breite Öffentlichkeit richtet, betont die allgemeine Gültigkeit des Gesagten. Desgleichen, dass Jesus auf sprichwortartige, weisheitliche Sentenzen zurückgreift.

„Wenn einer mir auf meinem Weg folgen will“, sagt er V. 34, im Urtext noch einmal die Formulierung „hinter mir her“ wiederholend, „dann verleugne er sich und nehme sein Kreuz auf sich, und so folge er mir.“ Bis in den Wortlaut hinein nimmt Jesus hier Szenen aus der Passionsgeschichte vorweg, verweist auf Petrus, der ihn verleugnen wird, und auf Simon von Kyrene, der den Querbalken des Kreuzes auf seine Schultern nehmen und zur Richtstätte tragen wird.

Dann folgt der paradoxe Spruch V. 35, der ursprünglich wohl streng parallel formuliert war: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Wer sein Leben verliert, wird es retten“. Im Markusevangelium ist er christlich zugespitzt: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, wird es retten.“ Doch auch in dieser Form besagt er nichts anderes. Denn das Evangelium ist eben erst, in V. 31, folgendermassen formuliert worden: Der Menschensohn muss vieles erleiden, er wird verworfen und getötet und er wird nach drei Tagen auferstehen. In diese Bewegung des Verlusts und des Gewinns wird hineingenommen, wer sich in die Nachfolge des Menschensohns begibt.

3) Bezug zur Nachhaltigkeit

  • Das Kreuz auf sich zu nehmen (v34): Was könnte das mit Blick auf die Nachhaltigkeit heissen?

    Mehr an die sozialen und ökologischen Auswirkungen meines Tuns denken. Den allgegenwärtigen materiellen Verführungen (teuflischen Versuchungen...?!) widerstehen, die mich angeblich glücklich(er) oder zufrieden(er) machen sollen. Sie tun es nur bedingt und schädigen (zuweilen) das Leben von Menschen auf anderen Kontinenten oder entziehen die Lebensgrundlage anderer Lebewesen.

    Für die einen ist das zu tragende Kreuz der Verzichtsschmerz, den es gilt auszuhalten bis die „Entzugserscheinungen“ ablassen und einer neuen Selbst- und Weltsicht Raum geben. Für andere heisst es, den Schmerz des „Grauens angesichts dessen, was mit unserer Zukunft geschieht“ bewusst zu werden und auszuhalten. Denn, so schreibt die us-amerikanische Religionswissenschaftlerin und Umweltaktivistin Joanna Macy: „Das Kreuz, an dem Jesus starb, lehrt uns, dass Erlösung und Erneuerung durch eben diese Offenheit für den Schmerz der Welt zu finden sind.“ (39)

  • sein Leben retten wollen (v.35)

    Wer mehr auf das Evangelium setzt, auf Gottes Zuwendung in Christus, als dass er sein Leben mit irdischen Gütern „retten“ will, der lebt genügsamer (suffizienter). Seine Spiritualität (Agape) ermöglicht es, eine andere Lebenseinstellung zu gewinnen.

  • Ein Gedankenspiel: Warum nicht auch die Nachfolge „wörtlicher“ nehmen: den charismatischen Wanderprediger Jesus aus Nazareth als Vorbild für den eigenen Lebensstil! ...

Andreas Fischer und Andreas Frei, Zürich


Verwendete Literatur:

Eckey, Wilfried
Das Markus-Evangelium, Orientierung am Weg Jesu. Ein Kommentar
Göttingen, 2/2008

Macy, Joanna
Die Wiederentdeckung der sinnlichen Erde – Wege zum ökologischen Selbst
(Titel der amerikanischen Originalausgabe: World As Lover, World As Self.
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Gunter Hamburger und Norbert Gahbler)
Zürich, München 1994

Schweizer, Eduard
Das Evangelium nach Markus, Teilband 1
Göttingen, 18/1998