Quinquagesimae – Estomihi / 8. Sonntag im Jahreskreis (02.03.14)

Quinquagesimae - Estomihi / 8. Sonntag im Jahreskreis

 

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Jes 58, 1-9a Jes 49, 14-15 1 Kor 4, 1-5 Mt 6, 24-34

 

Erfrischend klare Ansagen in Karneval und Bibel

 Der Sonntag steht ganz im Zeichen des Kommenden. Aschermittwoch klopft bereits an die Tür und dann beginnt die im Kirchejahr wichtige Buß- bzw. Passionszeit. Man könnte also Themen in den Mittelpunkt des Gottesdienstes stellen, die darauf einstimmen, das ein Stück vorwegnehmen. Zum Beispiel Anstöße für nachhaltige Fastenprojekte geben: nur regional angebautes Gemüse essen (und das im März...), mit einem begrenzten Engagement für ein lokales Flüchtlingsprojekt (wo soll ich die Zeit dafür hernehmen...), im bewussteren Umgang mit Geld (ich wollte eigentlich sparen...)

Eine besondere Einstimmung auf die besonderen sieben Wochen vor Ostern ist zweifellos das närrische Treiben, das in diesen Tagen in manchen Regionen Deutschlands Hochkonjunktur hat. Da spricht man dann auch nicht von Estomihi oder Quinquagesima sondern vom „Faschings- bzw. Karnevalssonntag“. Und etliche Gemeinden feiern entsprechende Gottesdienste mit Narrenkappen, Büttenpredigt und dergleichen mehr.

 

Egal, was man davon hält und ob man das Naturell hat, solches nachzutun: die beiden zentralen Texte (ev. Predigttext und kathol. Evangelium) des Sonntags haben eine große Gemeinsamkeit mit mancherlei Karnevalstreiben. Sie sind apokalyptisch, enthüllend. Sie decken zerstörerisches Tun auf und konfrontieren das reale Leben mit Alternativen. Dabei sind sie um Spitzen nicht verlegen.

Wenn der Predigt solches gelänge wäre viel gewonnen. Zumal, wenn sich Bilder finden ließen, ähnlich ausdrucksstark wie auf den Wagen der Umzüge oder in den biblischen Texten. Das hätte nachhaltig Wirkung und stünde auch dem Thema Nachhaltigkeit gut an.

 

Mt 6,24-34

Noch liegt vielleicht Schnee auf den Feldern oder der Winter ist gerade erst gegangen; der Text führt aber mit seinen Bildern im „Kino im Kopf“ die Sommerpracht vor Augen – noch schöner als bei König Salomo. Dazu zwitschern Vögel und die Sorgen sollen ausgetrieben werden. So, wie in manchen Fastnachtsbräuchen nach wie vor das Austreiben des Winters zu entdecken ist.

Starke Worte werden hier von Jesus berichtet: von der berühmten Alternative zwischen Gott und Mammon (aramäischer Ursprung: „Vorrat“ – wie in Lk 16,11 negativ konnotiert), bis hin zum Verzicht der Sorge um das Morgen, das pessimistisch oder optimistisch gelesen werden kann („auch morgen wird es wieder schwer“ oder „Genieß das heute“). So groß und erschütternd können dieses Sätze sein, dass in der Christentumsgeschichte allerlei Interpretationen herangezogen worden sind, um ihnen durch Verinnerlichung oder Ausweitung die Schärfe zu nehmen.

Die urchristlichen Wanderradikalen der matthäischen Gemeinde sind wahrscheinlich als Hintergrund des Textes zu sehen. Denen geht es weder um Ermäßigungen noch um einen „alternativen Lebensstil“. Nicht mehr und nicht weniger als das Reich Gottes haben sie als das Vorzeichen ihrer Weltsicht (vgl. auch das VaterUnser ab V.9!). Und auch wer nicht als Wanderradikaler leben kann oder will, könnte sich vielleicht der Suche nach diesem Herrschaftsbereich (Basileia) anschließen (V.33).

Das kann man zum Beispiel aufs Geld beziehen (V.24) und in unserem reichen Land fragen, was wir alles mit unserem Geld tun. Und was wir alles für Geld tun. Was wir unterstützen und was wir damit bezahlen. Wofür es dient oder ob wir ihm dienen (die Erwähnung von „lieben“ erinnert natürlich auch an das Doppelgebot der Liebe, das höchste Gebot).

Die Sache mit dem Geld fängt bei den Einnahmen und Ausgaben an und hört bei den Anlagen auf. Die Entwicklungsorganisation Oxfam weist zum Beispiel auf die zum Teil katastrophalen Auswirkungen von Rohstoff-Spekulationen hin, wie sie viele deutsche Banken und (unwissentlich) auch viele deutsche Sparer betreiben (WebLink s.u.). Der dadurch noch stärker schwankende Preis für Grundnahrungsmittel kann Familien in den Hunger stürzen. Auch die neuen EU-Regeln aus dem Juni 2013 ändern daran wenig.

 

Die Beispiele des Textes illustrieren anhand von Tieren und Feldgewächsen, wie menschliches und göttliches Handeln auf Erden oft verschränkt sind. Um in einem halben Jahr Erntedank feiern zu können, stehen sechs Monate mit bisweilen harter Arbeit an. Um unser Leben nachhaltiger zu gestalten, im wirtschaftlichen, sozialen und auch ökologischen Sinne, brauchen wir Gottes Segen (an dem sich selbst die Vögel im Nichtstun erfreuen...). Wir brauchen aber auch anderes Handeln – mit Gut und Geld, mit Mut für eine andere Welt.

 

Jes 58

Mir scheint es müßig, den Hörenden die Kritik mancher religiöser Praktiken im damaligen Kontext vorzustellen und auszulegen; womöglich noch mit dem Ziel, damit den Protestantismus hochleben lassen zu wollen. Das sähe so aus: fast faschingsgemäßes Aus-Buhen von bösem alten Israel und der verderbten Kirche vor der Reformation. Und überschwänglicher Lobpreis auf den tollen Luther, quasi Jesaja redivivus, und die wunderbare EKD heute mit ihrem fast morgenroten Licht.

Das wäre höchstens spannend, wenn man überlegt, welche abstrusen Praktiken Gemeinde, Kirche und Gesellschaft heute heiligen, um damit Gott, das Schicksal oder den Zeitgeist gnädig zu stimmen. Da ließe sich manches in drastischen Worten wie auf einen Faschings-Wagen stellen. Jesaja ist jedenfalls wenig zimperlich in seinen Ansagen und findet klare Worte für das fragwürdige Verhalten seiner Zeitgenossen.

Das größte Potential haben die Faschingsdarstellungen, wenn man nicht nur über andere, sondern auch über sich selbst lachen kann. Sie entfalten ihre Kraft nicht mittels ihrer Autorität oder ihres unschlagbar günstigen Preises: sie überzeugen vielmehr. Sie verführen dazu, einzustimmen und diese Sicht auf die Welt zu teilen.

Jesaja erreicht gleiches nicht über guten Witz (oder wir verstehen ihn nicht, weil uns der Kontext fehlt), sondern mittels verlockender Bilder. Das Licht des Morgens vergisst man nicht, wenn man es erlebt hat – egal ob in der Wüste, am Meer oder Zuhause. Diese Kraft, die Wärme im Gesicht, dieser weltverändernde Wechsel. Und ja: so was steckt in dir (V.8)

 

Wer die Nachhaltigkeits-Brille aufgesetzt hat, wird zuerst soziale Themen finden. Zwischen Armut, Obdachlosigkeit und Misshandlung lassen sich auch heute viele Beispiele entdecken, gegen die laut das Schofar (V.1) klingen sollte. Die den „Satzungen der Gerechtigkeit“ (V.2) die kalte Schulter zeigen.

Ein Bereich, in dem die angesprochenen Themen zusammenfließen, ist das Flüchtlingselend an den europäischen Grenzen. Menschen fliehen vor den von Jesaja angeprangerten Notständen, vor Hunger, Armut und Gewalt. Statt des früheren „Eisernen Vorhangs“, der Europa teilte, gibt es jetzt einen „blauen Vorhang“, der den Wohlstand schützen soll. Und eine „Agentur“ (Frontex), die tatsächlich Mauern baut. Das Mittelmeer lässt jedes Jahr zehntausende Träume vom besseren Leben platzen. Menschengeschwister kehren um, ertrinken, landen in Lagern in Nordafrika. Nachhaltig ist hier nur der Schrecken und die „Faust des Unrechts“ (V. 4). Und mit sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit hat das Thema „Flüchtlinge“ sehr viel zu tun. Wie beeinflusst unser Handel die Armut? Was haben Ökologie und Klimawandel mit Flüchtlingsströmen zu tun?

Weitere Informationen zur Situation von Flüchtlingen an den europäischen Außengrenzen können Sie z.B. auf der Homepage der 2012 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichneten Gruppe „Borderline Europe“ einholen.

 

Schluss: Rauf auf den Faschingswagen!

Egal ob sie Jesaja oder den matthäischen Jesus auf ihren „Predigtwagen“ stellen: scheuen Sie sich nicht vor den klaren und enthüllenden Aussagen. Nehmen Sie fastnachts-deutliche Beispiele, dazu gern auch drei Pfund Humor.

Lassen Sie die Vögel auf den Feldern Lieder vom vergänglichen Mammon zwitschern oder Jesaja im Morgenlicht tanzen. Wenn die Hörenden starke Bilder mitnehmen, wachsen auch ein halbes Jahr vor Erntedank schon fette Früchte, kann das vom Propheten kritisierte scheinheilige Fasten in den Wochen vor Ostern dieses Jahr anders aussehen.

 

Literatur und Web-Links

Luz, Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus (EKK I/1), 52002, S.468-487 .

Sölle, Dorothee: Brich dem Hungrigen dein Brot, in: Sölle/ Steffensky: Löse die Fesseln der Ungerechtigkeit, Stuttgart 2004, S.27-31.

http://www.borderline-europe.de

http://www.oxfam.de/informieren/spekulation

 


J. Merkel