Quinquagesimae – Estomihi / 8. Sonntag im Jahreskreis (27.02.22)

Quinquagesimae / 8. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Mk 8,31-38 Sir 27, 4-7 (5-8) 1 Kor 15, 54-58 Lk 6, 39-45


Nachhaltig ist, was fürs Reich Gottes relevant ist. Die im Hintergrund stehende Deutung von Reich Gottes ist „Leben in Fülle für alle“. Dahinein verorten sich auch Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit. Die Schriftstellen sprechen die menschliche Verantwortung im Dreischritt Sehen – Urteilen – Handeln an und weiten sie in die eschatologische Dimension hinein.

Sir 27, 4-7 (5-8)

  • ŸSehen - urteilen - handeln: Reihenfolge beachten! Nicht vorschnell urteilen, hinschauen, Wahrgenommenes ernstnehmen

1Kor 15, 54-58

  • Das Sterbliche bekleidet sich mit Unsterblichkeit: was wir in diesem Leben tun, hat Relevanz für das, was ewig bleibt – das ist die eschatologische Dimension der moralischen und existentiellen Ebene
  • V.58: Ermutigung, dranzubleiben, auch wenn man die Früchte nicht sieht

Lk 6, 39-45

  • Ermutigung hinzuschauen und der eigenen Wahrnehmung zu trauen
  • Von dem, was man sieht, sind Handlungen abzuleiten. Und umgekehrt: Was man sieht, offenbart das, was ein Mensch an Denken und Haltung seinen Werken zugrunde legt
  • V.45 Begeisterung: Ich erkenne, wenn und wofür ein Mensch brennt. Burning persons, “Herzensanliegen”

Mk 8, 31-38

34-37: nachhaltiges = bleibendes Leben erfordert Kreuzesnachfolge. Nachhaltig ist mein Handeln dann, wenn es dem Reich Gottes dient (als der von Gott gewollten und von mir im Glauben ersehnten Zukunft). Das schließt ökologische, soziale und ökonomische Aspekte mit ein. Solches Handeln meint, “was göttlich” (V.33a) ist. “Menschlich” wäre in dieser Lesart das, was nur meinem kurzfristigen Vorteil, meiner Annehmlichkeit, meinem guten Ruf dient – siehe Petrus in V. 32.


Predigtskizze zur Katholischen Leseordnung

Ich glaub‘, ich seh‘ nicht recht. Ich traue meinen Augen nicht. Da ist doch …. So klingt manches Mal die Einleitung zu einer überraschenden, unerwarteten Wahrnehmung. Wer so spricht, tut den ersten wichtigen Schritt: sehen. Wahrnehmen und für wahr nehmen.

Im nächsten Schritt geht es ums Prüfen und Einordnen, um dann mit entsprechenden Maßstäben das Gesehene und Wahrgenommene zu bewerten, zu beurteilen. So scheint es in den knappen Sprichworten in Jesus Sirach auf: „Im Sieb bleibt, wenn man es schüttelt, der Abfall zurück; so entdeckt man Fehler eines Menschen, wenn man über ihn nachdenkt.“ Oder auch: „Töpferware wird nach der Brennhitze des Ofens eingeschätzt, ebenso der Mensch nach dem Urteil, das man über ihn fällt.“

Dem biblischen Schriftsteller, einem Lehrer der Weisheit, ist wichtig, dass die Einschätzungen und Schlussfolgerungen, die man macht, auch tragfähig sind. Dass keine voreiligen oder oberflächlichen Schlüsse gezogen werden, denn das würde zu Handlungen führen, die man nachher bereut, weil sie den guten Ruf schädigen oder weil sie zu Handlungsweisen führen, die der Gemeinschaft schaden. Zum Einen erscheint das als zeitlose und vielleicht ein wenig altkluge Weisheit, zum Anderen kann ich es als brandaktuelle Ethik der Nachhaltigkeit begreifen. Schau hin –sagt er-, was für Handlungen aus deinen Wahrnehmungen und Einschätzungen heraus folgen müssen! Die moderne Pädagogik kennt den Dreischritt Sehen – Urteilen – Handeln, dem v.a. in der Theologie der Befreiung noch als vierter Schritt „Reflektieren“ angefügt wurde.

Auch im Evangelium geht es um Wahrnehmung, und der Evangelist ist sehr kritisch mit seinen Hörern. Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, bevor du dich um den Splitter im Auge deines Nachbarn kümmerst, sagt er. Kritische Selbstwahrnehmung ist der Anfang. Es ist oft leichter zu sagen, was andere ändern müssen, zum Beispiel in Sachen Klimaschutz, als den eigenen Energie- und Ressourcenverbrauch einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Mit Hilfe entsprechender Tools im Internet oder Apps ist es unter Umständen sehr ernüchternd, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu erstellen. Da gibt es mit Sicherheit den ein oder anderen Balken, um den es sich zu kümmern lohnt. Der Overkill-Day, also der Tag, wo wir aufs Jahr bezogen weltweit bereits so viele Ressourcen verbraucht haben, wie die Erde in einem Jahr wieder herstellen kann, lag 2021 bereits Ende Juli. Seither leben wir klimatisch „auf Pump“.

Ein anderes Beispiel zu Balken und Splitter kann im Bereich soziale Gerechtigkeit liegen. Niemand bezahlt gerne einen Kauf von Kleidung, Lebensmitteln oder auch elektronischen Geräten oder Werkstoffen zu teuer. Doch welche Kriterien sind in meinem Preisbewusstsein eingeschlossen? Ist darin auch eingepreist ein gerechter, existenzsichernder Lohn für die, die die Rohstoffe fördern oder herstellen und die die Lohnarbeit in der Produktion leisten? Im Extremfall bedeutet der Balken in meinem Auge blind zu sein für Lebens- und Arbeitsbedingungen in anderen Teilen der Erde, wo Menschen für meinen Billigkonsum unter Existenzminimum ausgebeutet werden (. Der Splitter im Auge anderer könnten zum Beispiel kleine Qualitätsmängel sein – möglicherweise sogar an Billigprodukten). Hierzulande hieße das für meine Wahrnehmung und Urteilsbildung: ich achte neben dem Preis auch auf Qualitätssiegel, die fairen Handel oder faire Produktion ausweisen. Bisher sind das leider in allen Bereichen verschiedene Siegel mit unterschiedlicher Aussagekraft. Es braucht derzeit entschiedenes persönliches Bemühen, um in verschiedenen Bereichen diese Informationen aufzutreiben.

Soziale, ökonomische und ökologische Faktoren sind nicht zu trennen – darauf macht Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato Si“ aufmerksam. Das Haus der Erde ist eines. Alle tragen darin miteinander und füreinander Verantwortung.

In dieser Verantwortung ist Eines der private Gebrauch und Verbrauch. Das Andere ist die Bereitschaft zu politischem Engagement, zur Arbeit an der Bewusstseinsbildung, damit mehr Menschen klimasensibler und sozial gerechter handeln. An ihren Früchten werden die Bäume erkannt. Eine gute Frage für die persönliche Reflexion ist: Was sagt wohl über mich das, was andere an mir sehen?

Dem richtigen Tun geht im Sinne der Nachhaltigkeit die innere Einstellung voraus: Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund. Ein Herzensanliegen lässt sich nicht in genau abgemessene Arbeitszeit eingrenzen, sondern bewegt mich immer. Dafür brenne ich. Das ist in allem, was ich tue, präsent und motiviert mich. Ich kann nicht alles tun. Aber mir ein (1) Herzensanliegen auf die Fahne zu schreiben, das könnte meinem christlichen Zeugnis Richtung und Farbe geben. Wofür brenne ich? Und welche Wirkung erzeugt das?

Angesichts der unendlichen Einsatzmöglichkeiten kann die Gefahr bestehen, sich entmutigen zu lassen: was kann ich als Einzelne(r) da schon machen? Mein bisschen Einsatz macht doch keine Wirkung, darauf kommt es doch nicht an. Es ist freilich wahr, dass ich allein nicht das Klima retten, nicht die soziale Gerechtigkeit herbeiführen und die Kriege beenden kann. Dem ist zweierlei entgegen zu setzen: Zum Einen: Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten können das Gesicht der Welt verändern. Es summiert sich, und irgendwann werden kritische Größen erreicht, die Veränderungen in Gang bringen – im Guten wie im Bösen.

Zum Anderen weist uns der Erste Korintherbrief eine Dimension auf, die über uns hinausgeht: das Vergängliche bekleidet sich mit Unvergänglichkeit und das Sterbliche mit Unsterblichkeit, schreibt Paulus. Er sagt dies im Zusammenhang mit dem Jüngsten Gericht. Im Klartext: es ist nicht egal, was wir tun und wie wir leben in all unserer irdischen Begrenztheit. Was wir tun, hat Konsequenzen über uns hinaus. Nichts Gutes geht verloren, denn wir haben Anteil an Jesu Weg (sind hineingenommen in den Weg Jesu) durch den Tod hindurch zur Auferstehung, zu bleibendem, nachhaltigem Leben. Einfach wird das nicht. Darum möchte ich Paulus im O-Ton das Abschlusswort überlassen:

„Daher, geliebte Brüder und Schwestern, seid standhaft und unerschütterlich, nehmt immer eifriger am Werk des Herrn teil, und denkt daran, dass im Herrn eure Mühe nicht vergeblich ist.“

Lucia Kehr, Mainz