Reformationstag (31.10.20)

Reformationstag


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. Evangelium
Mt 10, 26b-33 Phil 1, 18b-26 Lk 14, 1.7-11

Mt 10, 26b - 33

Der Gott mit dem weiten Herzen

Weit geöffnet wird der Horizont des Glaubens zum Reformationsfest. Damit korrespondiert die Theologie des Evangelisten MatthĂ€us: FĂŒr ihn bedeutet das Bekenntnis zu Christus, zum Gott der Barmherzigkeit zu finden, zum Gott mit dem weiten Herzen. Zu einem, der die Spatzen kennt und also auch mein Leben. Mein Leben, meinen Leib von den FĂŒĂŸen bis zum Kopf, ja bis in die Haarspitzen, betont MatthĂ€us. Das ist das große Gegengewicht gegen jenes Unheil, das ein furchtloses Bekenntnis zu Christus nach sich ziehen kann (vgl. Mt 10,17ff).

ZunĂ€chst fĂ€llt bei MatthĂ€us aber eine gewisse Spannung auf: Hier die BeschrĂ€nkung von Mission allein auf Israel (Mt 10,5), dort die Aufforderung zur Heidenmission (Mt 28, 18 ff). MatthĂ€us richtet sein Evangelium sowohl an Juden wie auch an Heiden; es gibt Einblick in eine lebendige Vergangenheit und Ausblick auf die Zukunft der Christen, deren Christus jeden Tag die Gegenwart mit ihnen teilt. Das kann einer möglichen Kurzsichtigkeit entgegenwirken: Der Blick wird frei, z.B. GeflĂŒchtete wahrzunehmen, die lĂ€ngst in unserer Nachbarschaft angekommen sind. Sie heißen Mahdi, Nima oder Ryan. Als Entwurzelte treffen sie auf Alteingesessene. Opfer von Krieg und Gewalt treffen auf Menschen, die ihre Ruhe haben wollen im privaten GlĂŒck. Muslime treffen auf Christen und auf Menschen, denen Religion nichts bedeutet. Wechselseitiger Respekt vor Religion, Kultur und Weltanschauung wird eine wesentliche Voraussetzung fĂŒr ein gelingendes Miteinander.

Das klare Bekenntnis zu Christus als Kompass

Was bedeutet im multireligiösen Kontext das Christusbekenntnis? MatthĂ€us sagt: Was der historische Jesus im Verborgenen seinen JĂŒngern gelehrt hat, soll jetzt öffentlich ausgerufen werden. Das klingt riskant, gerade in Zeiten, in denen globale Krisen erschĂŒttern, Egoismus und Extremismus zunehmen. Kann das Bekenntnis zu Christus der Kompass sein, der bei stĂŒrmischer See Orientierung gibt? Daran lĂ€sst der Evangelist keinen Zweifel. Und es reicht nicht, das Evangelium nur zu hören, betont Luther: „Hast du das Evangelium und weißt, was es will, so musst du bei deiner Seelen Seligkeit das bekennen“ (WA 10 III, 66, 32 f). Nicht jeder hat den Mut eines Martin Luther. Und doch gilt: Das Wort der Gnade „will mein und dein Bekenntnis werden, sonst ist es totes Papier“ (Bekenntnisschrift 1530).

Zwei Ruder und viel RĂŒckenwind

Wer mit seinem Lebensboot diesem Kompass folgt, bekommt zwei wirkmĂ€chtige Ruder an die Hand: Auf dem einen Ruder steht: „FĂŒrchte dich nicht vor Menschen!“ Der dreimalige Ruf (Mt 10, 26.28.31) gilt zum Beispiel den Resignierten, die meinen, Spalter und Hetzer behalten das letzte Wort.

Seit der Auferstehung von Jesus sind diese Angstgegner aber bereits bezwungen, wenn sie auch ernst genommen werden mĂŒssen. Auf dem anderen Ruder steht: „Du sollst Gott fĂŒrchten und lieben!“

Wer Gott fĂŒrchtet und liebt, wie Luther es im Kleinen Katechismus fordert, anerkennt Gott als die einzige AutoritĂ€t, dem wir mit unserem Gewissen verpflichtet sind. Im Bekenntnis zum Auferstandenen und zur unbedingten AutoritĂ€t Gottes rudern Christen also mit viel RĂŒckenwind vorwĂ€rts, auch bei Wellen von Ignoranz oder Feindschaft.


Phil 1, 18 b-26

Die Perikope ist ein schönes Beispiel dafĂŒr, was Teilhabe unter Christen in der Antike bedeutet haben mag. Paulus lĂ€sst die von ihm in Philippi gegrĂŒndete Gemeinde teilhaben an seinen Charismen.
Er betet fĂŒr sie und stellt seine persönlichen WĂŒnsche zugunsten des Wohles der Gemeinde zurĂŒck.

Die Gemeinde lĂ€sst ihn teilhaben an materiellen GĂŒtern, sendet ihm Nahrung und Geld.

Darauf ist Paulus angewiesen, denn er befindet sich im GefĂ€ngnis. Nur von der jungen Gemeinde in Philippi nimmt Paulus materielle Hilfe an, wohl wissend, dass dies fĂŒr die Gemeinde finanziell zumutbar ist. Bei dieser Teilhabe macht ganz deutlich der Ton die Musik: Zwar wartet Paulus im GefĂ€ngnis auf sein finales Urteil. Doch er stimmt keine dunklen Töne von Todesangst oder Bitterkeit an. Das liegt daran, dass der „fröhliche Wechsel“ von Geben und Nehmen nicht nur Paulus und die Gemeinde in Philippi verbindet. FĂŒr Paulus noch viel dominanter ist: Christus schenkt ihm Anteil an seinem Leiden und Sterben. Die stringente Ausrichtung auf Christus, auf sein Lob, macht den Gefangenen zu einem freien Menschen. Zu einem, der trotz leerer HĂ€nde seine WĂŒrde behĂ€lt.


Lk 14, 1. 7-11

Kann es eine Welt geben ohne Armut und Hunger? Wir kommen den großen Zielen der Agenda 2030 nĂ€her, wenn dies gilt: Aufstehen, auf einander zugehen, voneinander lernen, miteinander um zu gehen. Doch die Sorge, Prestige und Vorteile zu verlieren, erweist sich hier als Hindernis.
Aufstehen, aufeinander zugehen – ein nettes Lied, aber gesellschaftlich und politisch wĂ€re es doch naiv zu meinen, der eigene Verzicht auf Privilegien wĂŒrde wirklich irgendeinem Hungernden etwas nĂŒtzen. Oder?

Kinder rufen einander manchmal zu: Weg gegangen, Platz vergangen! Die Geschichte unserer Kirchen liest sich in manchen Kapiteln wie ein Kampf um die besten PlĂ€tze – im Himmel und auf Erden. Die Mahnung zur Bescheidenheit aus Luk 14, 7 - 11 weitet wohltuend den Blick fĂŒr eine neue Rangordnung, welche die alte Hackordnung unserer Welt ablösen wird: Ganz oben sitzt der, der „hinabgestiegen ist in das Reich der Toten“, Jesus Christus. Dieser Freund der kleinen Leute lĂ€sst die

machtvollen Eroberer an seinem Tisch alt aussehen. Sie mĂŒssen ihre PlĂ€tze rĂ€umen zugunsten von denen, die hungern und dĂŒrsten nach Gerechtigkeit. Weil dieser Tisch heute schon gedeckt ist, wĂ€re es naiv, bis morgen zu warten. Aufstehen, auf einander zugehen ist heute schon möglich, weil niemand zu kurz kommen wird, der auf Gottes Gnade vertraut.

Susanne Storck, Bad Kreuznach