Reminiszere / 2. Fastensonntag (08.03.20)

Reminiszere / 2. Fastensonntag


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Röm 5,1-5(6-11) Gen 12, 1-4a 2 Tim 1, 8b-10 Mt 17, 1-9

Zu Gen 12,1-4

Nachdem in den ersten elf Kapiteln des Buchs Genesis die Entstehung der Welt und der Menschheit geschildert wurde, beginnen im 12. Kapitel mit der Berufung Abrahams die sogenannten Vätergeschichten. Der Urgeschichte folgt die Heilsgeschichte des Volkes Israel. Folgende Aspekte möchte ich hervorheben:

Abraham als Urahne des Volkes wird auserwählt und aufgefordert, sich ganz auf Gott zu verlassen bzw. er wird berufen, in eine Beziehung zu Gott zu treten, die ihm Erfolg und Segen verspricht. Die Antwort Abrahams auf diesen Ruf wird Konsequenzen nicht nur für ihn haben (fruchtbares Land, Nachkommenschaft) sondern für das ganze Volk bzw. für „alle Geschlechter der Erde“ (Gen 12,3). Der Heilswille Gottes bezieht sich nicht auf die eine Person allein, sondern gilt der gesamten Menschheit. Das Handeln Einzelner, die Gott beruft bzw. die er mit einer Aufgabe beauftragt, hat das Ziel, eine Veränderung oder ein Fortschreiten zu bewirken, die bzw. das dem ganzen Volk zugutekommen soll.

Die Berufung Abrahams enthält eine Verheißung (den Segen), die als solche Zukunftscharakter hat und die sich über sein ganzes Leben erstrecken wird. Bei der Erfüllung der Verheißung geht es nicht um ein punktuelles Handeln Gottes, das zeitlich und räumlich begrenzt ist. Vielmehr bedeutet sie die Zusicherung, dass Gott ihn sein Leben lang begleiten und beschützen wird, dass er auf seinem Lebensweg immer da sein wird.

Mit der Berufung Abrahams zeichnet sich auch der Plan Gottes als Schöpfer aus, der nicht darin besteht, eine Welt ins Dasein zu rufen, damit sie dann sich selbst überlassen wird. Das Schicksal der Welt und der Menschheit war Gott nie gleichgültig. Das bestätigen die ersten elf Kapitel des Genesisbuches, wo Gott bereits mit Noach einen Bund schließt und sich verpflichtet, nie mehr die Lebewesen durch eine Flut auszurotten. Doch im Kapitel 12 bekommt Gottes Sorge für die Welt eine neue Dimension, denn er erwählt ein Volk, das sein Heil selbst erfahren soll und durch das andere Völker Heil erlangen sollen. Damit bindet sich Gott an die Menschen und an deren Geschichte und wird dieser Bindung bis zum Äußersten nachgehen, indem er dann seinen Sohn für die Menschen hingibt. Gott steht zu seiner Schöpfung, denn das, was er erschaffen hat, ist gut (Gen 1) und zum Leben bestimmt (Joh 10,10). Somit erweist sich Gott vom Anfang an als liebender und fürsorgender Vater, als ein Gott, der für die Welt und die Menschen “da ist”.

Zu 2Tim 1,8-10

Die Briefe an Timotheus so wie der Brief an Titus gehören zu den sogenannten Pastoralbriefen des Apostels Paulus, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie an eine Einzelperson gerichtet sind, aber Hinweise für die Pastoral der jeweiligen Gemeinde enthalten. Im Namen von Paulus geschrieben, wurden sie ca. 60 Jahre nach Paulus Tod verfasst und sind seiner Theologie verpflichtet. Der 2. Timotheusbrief stellt Paulus im Gefängnis vor. Er ist wahrscheinlich sogar in schwerer Haft, aber er lebt im Vertrauen darauf, dass Gott ihm Kraft und Rettung gibt. Im vorliegenden Abschnitt blickt Paulus zurück auf das, was sein Vertrauen gründet hat und stärken kann: Gott hat uns aus Gnade gerufen und uns seine Gnade geschenkt. (Siehe evangelischer Text Röm 5,1-11) Er hat uns in Jesus Christus gerettet und zum unvergänglichen, ewigen Leben bestimmt. Die Erinnerung dient der Vergewisserung des eigenen Glaubens, aber auch des Glaubens der Gemeinden, die er gegründet hat und die nun stark werden sollen, damit sie auf eigenen Beinen stehen können. Der Blick zurück ist nicht zu verstehen als eine romantische Erinnerung an das, was der Vergangenheit gehört, sondern muss Auswirkungen auf die Gegenwart haben: die persönliche Erfahrung, dass Gott sich schon als Retter gezeigt hat, soll den Glauben und das Vertrauen stärken und die Hoffnung auf die Zukunft nähren. Wahrscheinlich befinden sich Timotheus und seine Gemeinde in einer Phase der Glaubensmüdigkeit, in der Zweifel an Jesus Christus und an dem Zeugnis des Paulus aufkommen. Diese Erfahrung ist nicht zu verurteilen: Glauben und Zweifeln gehören zusammen, sie sind die zwei Seiten derselben Medaille und bedingen sich gegenseitig. Selbst Zweifel können den Glauben positiv beeinflussen, wenn sie jeweils ins richtige Licht gesetzt werden. Paulus ermutigt die Gemeinde von Timotheus zur Erinnerungsarbeit, auf den Heilsplan Gottes zu schauen, den Gott vom Anfang an und dann im Laufe der Geschichte der Menschen umgesetzt hat und der nun in Jesus Christus endgültig offenbar wurde. Der Blick auf die Geschichte, als den Ort an dem Gott handelt und sich offenbart, kann der Schlüssel zur Interpretation der Gegenwart und zur freudigen Erwartung der Zukunft sein. Wenn wir daraus im Handeln die richtigen Schlüsse ziehen…

Zu Mt 17,1-9

Jesus und die Jünger sind noch in Galiläa, wo Jesus lehrt und Wunder wirkt. Sein Weg wird ihn allerdings sehr bald nach Jerusalem führen, wo sich die letzten Stationen seines irdischen Lebens ereignen werden. Auf diesem Weg hören die Jünger von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu sowie die Worte von der Nachfolge in Selbstverleugnung. Der vorliegende Abschnitt, der von der Verklärung Jesu auf dem Berg erzählt, gehört in diesem Kontext. Die Reaktion der Jünger auf die erste Ankündigung des Todes und der Auferstehung Jesu in Jerusalem (Mt 16,21ff) zeigen Unverständnis und große Irritation, wenn nicht sogar Fassungslosigkeit. Die Verklärung soll dazu dienen, dass ihr Glaube an und Vertrauen auf Jesus nicht erschüttert werden, sie sollen verstehen, dass Leiden und Tod, Selbstverleugnung und Kreuzesnachfolge nicht das Letzte sind, sondern im Licht der Auferstehung zu betrachten sind. Aus diesem Grund zeigt sich Jesus seinen Jünger für wenige Augenblicke auf dem Berg als Auferstandener. Mose und Elija als Repräsentanten des Gesetzes (Tora) und der Propheten, so wie der Berg und die Wolke, die im Alten Testament im Zusammenhang mit der Gottesbegegnung stehen, stellen eine Verbindung zwischen dem Leidensweg und der Auferstehung Jesu und dem Heilsplan Gottes her, der nun in Jesus offenbart wird und in Erfüllung geht.

Das Besondere dieser Perikope besteht darin, dass zukünftige Ereignisse in Form einer Erscheinung vorgezogen werden und dass den Jüngern einmalig Einblick in die nahe Zukunft gewährt wird. Für die Jünger ist diese Möglichkeit von großer Bedeutung, damit sie in der Lage sind, die Ereignisse, die sie in Jerusalem erleben werden, zu akzeptieren und zu verstehen. Das was einige der Jünger erfahren dürfen, ist der Wunsch von Jedermann, der sich in einer schwierigen Situation befindet oder der vor einer wichtigen Entscheidung steht: einen Blick in die Zukunft werfen zu können, würde vielleicht die Überwindung vieler Ängste bedeuten und eine Ermutigung sein, mit Zuversicht schwere Zeiten durchzugehen und Herausforderungen anzunehmen. Doch haben die Jünger auch wirklich verstanden, was vor ihren Augen geschehen ist? Hatten sie in dem Moment das nötige Werkzeug, um die Erscheinung auf dem Berg richtig zu deuten? Schließlich war Jesus noch lebendig unter ihnen… Sicherlich ist die Verklärung Jesu ein Zeichen gewesen bzw. ein Hinweis auf seine Auferstehung. Und Zeichen gehören in die Gegenwart. Möglicherweise geht es in unserem Leben nicht so sehr darum, zu wissen, was kommen wird, sondern zu lernen, die Zeichen unserer Gegenwart zu erkennen und ernst zu nehmen.

In unserem Verständnis von Zeit gehen wir wie selbstverständlich von der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft aus. Während Vergangenheit und Gegenwart Gegenstand unserer Erkenntnis und unseres Wissens sind, besteht für die Zukunft diese Möglichkeit nicht. Sie entzieht sich somit unserer Kontrolle, sie ist und bleibt eine Dimension menschlichen Lebens, die wir nicht steuern können, wie wir uns vielleicht wünschen. Diese Ungewissheit kann ein Gefühl der Unsicherheit, wenn nicht sogar der Angst vermitteln und jeder von uns geht auf andere Art und Weise damit um. Eine Strategie kann darin bestehen, ins Heute einzutauchen, im Hier und Jetzt uns ganz ausleben. Wir begrüßen von Tag zu Tag den technisch-technologischen Fortschritt und verstehen ihn gleichzeitig als Fortschritt unseres Lebens. Alles scheint leichter, einfacher, schöner, schneller zu sein. Und das gibt uns ein gutes Gefühl. Doch diese Haltung kann auch fatale Folgen haben, wenn wir damit das Bewusstsein verlieren, dass wir Teil der menschlichen Geschichte sind, die als solche eine Vergangenheit und eine Zukunft hat. Es gibt eine Zeit vor uns, aber es wird auch eine Zeit nach uns geben. Die vorliegenden biblischen Texte laden uns dazu ein, diesen Zusammenhang nicht aus den Augen zu verlieren. In Gen 12,1-4 steht die Zukunftsperspektive im Vordergrund und in 2Tim 1,8-10 geht es um die Bedeutung der Vergangenheit, aus der wir immer viel zu lernen haben. Schließlich macht Mt 17,1-9 deutlich, dass Zeichen in der Gegenwart zu finden sind, die uns wichtige Hinweise bzgl. der Zukunft liefern können.

Was wir heute sind und machen, hat Auswirkungen auf die Generationen, die nach uns kommen werden. Für diese und nicht nur für uns selbst tragen wir Verantwortung. Ein Blick in die Vergangenheit könnte uns helfen, Zusammenhänge zu erkennen und Fehler bzw. Fehlentscheidungen aufzudecken, deren Konsequenzen wir heute tragen. Die Zeichen der Gegenwart zu erkennen und zu deuten, könnte uns davon abhalten, Dinge zu tun oder Entscheidungen zu treffen, die künftig irreparable Folgen haben können. Nachhaltig zu handeln, darf nicht lediglich als frommer Vorsatz oder als eine unter vielen anderen moralischen Pflichten verstanden werden. Nachhaltig zu handeln muss vielmehr dem Bewusstsein entspringen, dass wir Verantwortung gegenüber unseren Kindern tragen und muss ihr Ausdruck sein.

Zu Röm 5,1-5(6-11)

Dieser Römerbrief-Text zum Sonntag „Reminiszere“, dem zweiten Fastensonntag, mit dem lateinischen Motiv „Gedenke, Gott, deines Erbarmens!“ (Psalm 25,6), ist – religiös betrachtet – der Nachhaltigkeits-Text schlechthin! Es ist der theologisch-biblische Grundlagentext, der jede Art menschlicher Verantwortung im zuvorkommenden Gnadenhandeln Gottes begründet. Wenn wir Nachhaltigkeit ganz grundsätzlich verstehen als einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, der nicht mehr verbraucht, als wieder nachwachsen kann. Und wenn wir ein solches Verhalten aus Verantwortung gegenüber den nachwachsenden Generationen („enkelgerecht“) anstreben, dann tun wir Christinnen und Christen dies letztlich, weil Gott uns vorleistungsfrei bereits all das geschenkt hat, was wir nun weiterzuschenken berufen sind. Weil Gott uns im Glauben allein aus Gnade „gerecht gemacht“ hat, uns vorleistungsfrei Versöhnung und Hoffnung schenkt, darum streben wir in unserem Handeln Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung (die klassische christliche „Trias“ der Nachhaltigkeit) an.

Valentina Perin, Frankfurt a. M.