Reminiszere / 2. Fastensonntag (24.2.13)

Reminiscere

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 8, (21-26a) 26b-30 Gen 15, 5-12.17-18 Phil 3, 17 - 4, 1 oder
Phil 3, 20 - 4, 1
Lk 9, 28b-36

Gedanken zum Proprium des Sonntags Reminiscere

„Reminiscere miserationum tuarum" - Gedenke deiner Barmherzigkeit – heißt es im vierten Vers des 25. Psalms, dem der 2. Sonntag der Passionszeit seinen Namen verdankt – Reminiscere.
Diese von Ewigkeit an zu Gottes Wesen gehörende Barmherzigkeit gipfelt liturgisch im Wochenspruch Röm 5,8, in dem es heißt „Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren." Gottes Barmherzigkeit ist also nicht nur von Ewigkeit her, sondern sie geht auch all unserem Tun voraus. Sie ist vorauseilende Gnade und somit Voraussetzung dafür, dass der Mensch überhaupt verantwortlich handeln kann. Denn wie sonst sollte der Mensch die Last der vollen Verantwortung für all sein Tun schultern können, wenn nicht in der Zuversicht und Gewissheit, dass ihm überall da, wo er mit seinen Kräften und seinem Können an Grenzen kommt, er also entweder schuldig wird oder zumindest etwas schuldig bleibt, Gottes Barmherzigkeit begnadigend entgegenkommen wird?
Natürlich ist der eigentliche Adressat der Psalmbitte nicht Gott, der es wohl kaum nötig hat, an sein eigenes Wesen erinnert zu werden. Die Bitte an Gott, er möge seiner Barmherzigkeit gedenken, zielt viel mehr auf den Beter, der sich im Beten selbst die Barmherzigkeit Gottes ins Gedächtnis ruft, um daraus Zuversicht für die Zukunft zu gewinnen. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten steckt darin die Weisheit, dass die Gegenwart nicht nur irgendeinen beliebigen Punkt zwischen Vergangenem und Künftigem darstellt, sondern vielmehr aus einer Spannung zwischen beidem gestaltet werden muss.
Eine Gegenwart, in der wir ohne Bezug zur Vergangenheit handeln, kann noch so zukunftsorientiert sein, ihr fehlen die Wurzeln und es besteht die Gefahr, Fehler der Geschichte immer wieder zu wiederholen. Eine Gegenwart hingegen, in der man sich ohne Ziel nur an der Vergangenheit abarbeitet, versäumten Chancen nachtrauert, am eigenen Versagen verzweifelt oder das Zurückliegende Glorifiziert ist hoffnungslos und ohne Perspektive.

„Oh Augenblick verweile doch du bist so schön"

Vom rechten Umgang mit besonders „heiligen" Augenblicken geht es auch im Evangelientext der katholischen Gottesdienstordnung. Lukas berichtet in Kapitel 9, 28b-36 wie Jesus mit drei seiner Jünger zum Beten auf einen Berg steigt. Wohl nicht zufällig weist die Geschichte gewisse Parallelen zum nächtlichen Beten Jesu im Garten Getsemane auf. In beiden Erzählungen scheitern die Jünger daran, mit Jesus zu wachen. Sie verschlafen die entscheidenden Momente. Als sie endlich erwachen und der Besonderheit des Augenblicks gewahr werden, wollen sie den Moment konservieren. Man fühlt sich an Faust erinnert „Oh Augenblick verweile doch, du bist so schön!"
Zur Frage der Nachhaltigkeit wäre es unter Umständen reizvoll den Unterschied zwischen der Bewahrung des Status Quo und der Idee der Nachhaltigkeit zu beleuchten. Konservismus versucht das Ergebnis zu verewigen, nachhaltiges Handeln versucht die Voraussetzungen zu bewahren, die immer wieder aufs Neue das Entstehen des Gewünschten ermöglicht.

Erwählung – Ehre oder Entmündigung?

Als 1. Lesung ist in der katholischen Ordnung die Bekannte Erzählung vom Bundesschluss Gottes mit Abraham in Gen 15/5-12.17-18 vorgesehen. Der Text lebt von der Spannung zwischen Verheißung und Erwählung. Hier bietet sich die Chance zu zeigen, wie sehr sich das Verhältnis dieser beiden Begriffe in der Abrahamserzählung vom heute Üblichen unterscheidet. Denkt man beispielsweise an heutige Wahlkämpfe, dann ist auch dort an Verheißungen und Versprechungen kein Mangel. Diese oft vollmundigen Ankündigungen sind im Sinne einer „Lohnankündigung" der Anreiz für das Volk, die richtige Wahl zu treffen. Auch aus der Werbung sind wir es gewohnt, dass die Verheißung der Wahl vorausgeht und diese beeinflussen und bewirken will. Zudem sind in all diesen Zusammenhängen der Verheißende und der Wählende zwei verschiedene Akteure.
Ganz anders verhält es sich in der Abrahamserzählung. Hier geht die Erwählung der Verheißung voraus, sie ist deren Voraussetzung. Die Versprechen Gottes sind die Bestätigung und der Erweis des Bundes und nicht der Anreiz für eine Erwählung Gottes durch Abraham, denn in Gen 15 sind der Erwählende und der Verheißende identisch. Abraham bleibt passiv, er wird erwählt und seine Erwählung ist der Grund der Verheißungen, die an ihn ergehen.
Hat es der Glaube heute vielleicht auch so schwer, weil der moderne Mensch – daran gewöhnt, ständig und überall die Wahl zu haben – im Erwählt werden keine Ehre mehr sieht, sondern eine Entmündigung, weil er ihr gänzlich passiv ausgeliefert ist?

Wachstum und Segen

Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten durchaus auch interessant sind die Verheißungen selbst. Modern formuliert bestehen sie allesamt in dem Versprechen von Wachstum und Expansion. Sind hier schon in abrahamitischer Zeit wirtschaftliche Leitideen der Moderne religiös grundgelegt oder unterscheiden sich die biblische und die moderne Auffassung von Wachstum?
Der Unterschied zwischen dem „Wachstumsversprechen" an Abraham und den „Wachstumsversprechen" der modernen Ökonomen scheint doch darin zu bestehen, dass die Erfüllung der Verheißungen im Alten Testament die Sache Gottes ist, während Wachstum in der heutigen Ökonomie als Ergebnis der richtigen Wirtschaftspolitik verstanden wird, also letztlich von der richtigen Wahl der Menschen abhängt.

Weit weniger ergiebig zum Thema Nachhaltigkeit ist der zweite Lesungstext der katholischen Ordnung aus dem Philipperbrief Kapitel 3/17-4/1 und der, in der evangelischen Perikopenordnung vorgeschlagene, Text aus dem Johannesevangelium Kapitel 8 ,21-30. Deshalb wird an dieser Stelle darauf verzichtet, auf diese Texte näher einzugehen.

Dirk Reschke