Rogate / 6. Sonntag der Osterzeit (09.05.21)

Rogate / 6. Sonntag der Osterzeit

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Sir 35,16-22a oder:
Dan 9,4-5.16-19
Apg 10, 25-26.34-35.44-48 1 Joh 4, 7-10 Joh 15, 9-17

 

Der 6. Sonntag der Osterzeit ist der sog. Rogate-Sonntag („Bittsonntag“). An den Tagen vor Christi Himmelfahrt, so die historische Herleitung des Namens, wurden und werden traditionell Bittprozessionen über die Felder abgehalten, bei denen um eine gute Ernte gebetet wird.

Die extremen Wetterereignisse der vergangenen Jahre zeigen, dass eine gute Ernte keineswegs selbstverständlich ist. Man denke an die für die Land- und Forstwirtschaft viel zu trockenen Frühjahre bzw. Sommer der vergangenen Jahre mit Temperaturrekorden. Sie indizieren, dass sich die Erderwärmung bereits auf das Wetter auswirkt. Dies betrifft Mitteleuropa – und hier lassen sich problemlos Beispiele aus der jeweiligen Region benennen, etwa das Absterben der Fichtenbestände in den Wäldern, Einbrüche bei der Maisernte etc. Dies betrifft aber vor allem auch den globalen Süden. Laut UN verließen allein in Afrika rund 900.000 Menschen aufgrund von Dürre und Trockenheit 2017 ihren Grund und Boden, ihre Heimat. Getrieben durch die Erderwärmung und daraus resultierende Ernteverluste nimmt der Hunger laut FAO wieder zu. Dem Klimawandel erstens entgegen zu wirken und zweitens die Menschen des globalen Südens zu unterstützen, wenn sie mit den Auswirkungen des Klimawandels und der Umweltzerstörung zu kämpfen haben, sind damit zentrale Themen globaler Gerechtigkeit.

In der Auslegung der biblischen Texte zum Sonntag lassen sich diese Aspekte, die durch den Rogate-Sonntag schlaglichtartig beleuchtet werden, aufgreifen. Hierbei ergeben sich mehrfach inhaltliche Bezüge zwischen den Texten der katholischen und evangelischen Leseordnung, die folgend durch Querverweise kenntlich gemacht werden. Um Dopplungen zu vermeiden werden die Perikopen ferner wie folgt besprochen: Dan 9, Apg 10, 1 Joh 4, Joh 15, Sir 35.

Dan 9,4-5.16-19

In den vergangenen Jahren ist in den christlichen Kirchen das Bewusstsein dafür gewachsen, dass es auch eine echte ökologische Schuld gibt (vgl. etwa Bedford-Strohm 2011[1], Ökumenischer Rat der Kirchen 2009[2]). Die Perikope aus dem Buch Daniel, die allgemein im Blick hat, dass Israel nicht auf die Propheten gehört hat und Gott untreu geworden ist, empfiehlt sich so zur Relektüre unter jenem Aspekt: Das Gebot und der Auftrag Gottes an den Menschen, die Erde zu hüten (Gen 2,15), wird missachtet, verwüstet liegt nicht die Stadt Jerusalem, sondern die Natur vor uns, die von alters her ebenfalls als ein Ort gesehen wurde, durch den und an dem sich Gott offenbart und an dem seine Gegenwart zu spüren ist (vgl. z.B. Ps 147 und 148). Angesichts des desaströsen Zustandes von Klima und Biodiversität erscheint es mittlerweile so, als könnte Hilfe und Rettung vor dem ökologischen Kollaps nur noch von Gott, durch sein „großes Erbarmen“ (V. 18) kommen. Diese setzen freilich das Schuldeingeständnis, die Reue und die ernsthafte Umkehr, also ein beherztes Handeln für Klima- und Naturschutz („gute Taten“ [vgl. ebd.]) voraus, auch wenn Gottes Eingreifen so nicht erzwungen werden kann.

Apg 10,25-26.34-35.44-48

War soeben schon im Buch Daniel aus der evangelischen Perikopenordnung von Gottesfurcht und dem Halten der Gebote (Dan 9,4) die Rede, werden sie auch in dem ersten Text der katholischen Leseordnung angesprochen: in jedem Volk ist Gott willkommen, „wer ihn fürchtet und tut, was recht ist“ (V. 34). Was aber ist die wahre Gottesfurcht und das Rechte? Vers 31, der nicht gelesen wird, deutet es an: Gebet und Almosen. Dieser Einsatz für die Armen, für die Gerechtigkeit (vgl. Apg 10,22) lässt sich heute aber nicht mehr denken ohne den Einsatz für eine intakte Umwelt. Dies gilt sowohl für Mitteleuropa, wenn die wenig Begüterten an den vielbefahrenen Straßen wohnen müssen und unter Lärm und Abgasen leiden, als auch für den globalen Süden, wenn die Böden aufgrund der Erderwärmung keinen Ertrag mehr bringen (s.o.). Papst Franziskus hat dies klar zum Ausdruck gebracht, als er in der Enzyklika Laudato si᾽ (139) schrieb: „Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise.“ Der Einsatz für die Armen, für soziale Gerechtigkeit muss folglich den Natur- und Klimaschutz ganz selbstverständlich einschließen.

1 Joh 4,7-10

Damit deuten Dan 9 und Apg 10 bereits an, dass die Liebe zu den Menschen und zu Gott (die der Autor an dieser Stelle nicht unterscheidet) bzw. die Liebe Gottes zu den Menschen unsere „Schwester Erde“ (LS 53) inkludieren muss. Wenn es, wie oben dargestellt, eine wirkliche ökologische Schuld (so auch Papst Franziskus in Laudato si᾽ [51]) gibt und wenn das Wohl und Wehe des Nächsten von einer intakten Umwelt abhängig ist, dann handeln wir gegen Gott und den Nächsten, wenn wir die natürlichen Lebensgrundlagen zerstören oder uns auch nur gleichgültig ihnen gegenüber verhalten. Dass aber auch die Liebe Gottes und sein Heilshandeln an uns durch den Tod seines Sohnes (V. 10) die Erde, ja, alles was existiert, tatsächlich mit umfasst, legt z.B. Röm 8,19-22 nahe.

Joh 15,9-17

Einander zu lieben (und die Gebote zu halten) kann somit in einer Menschheitsfamilie[3], die durch ihre Technologien mittlerweile massive Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem zeitigen kann, nicht mehr ohne diese Zusammenhänge gedacht werden. Einander zu lieben umfasst so auch Abstriche am eigenen Wohlstand, an den eigenen Bequemlichkeiten (V. 13). Zugleich stellt sich damit die Frage nach dem rechten Handeln als Einzelne(r) und nach der richtigen Form der Ökonomie als Ganzes. Wie lässt sich soziale Gerechtigkeit schaffen wider ein System, das auf lange Sicht mehr Armut und Not durch die Zerstörung der Umwelt mit sich bringen wird? Wie lässt sich Klimagerechtigkeit schaffen, in der nicht dem globalen Süden die Kosten des Lebensstils des Nordens aufgezwungen werden? Zu lieben bleibt dann nicht abstrakt, sondern hat sich in der Antwort auf diese Fragen zu konkretisieren und zu bewähren im Halten der Gebote Jesu – sprich in der geschwisterlichen Liebe, dem Einsatz für die Armen, für die gesamte Menschheitsfamilie –, soll es nicht bei frommer Plattitüde und Schwärmerei wie bei den Gnostikern bleiben.

Sir 35,16-22a

Auf welcher Seite Gott steht, markiert abschließend der Text aus Jesus Sirach: Der Schrei der Armen, so Verheißung und Drohung in einem, wird erhört werden. Verheißung ist dies für die Armen, die unverschuldet (V. 16) unter der Umweltzerstörung und unwürdigen Produktionsbedingungen leiden (beides hängt – s.o. LS 139 – auf das Engste zusammen); Drohung ist es für jene, die auf Kosten anderer ihren Wohlstand pflegen (V. 19) und dem Opferkult mehr Aufmerksamkeit schenken als den Armen. Wohl denen, die sich auf die Seite der Marginalisierten schlagen, wie es Gott wohlgefällig ist (V. 20). Zugleich macht der Autor Mut im Kampf gegen die Gleichgültigkeit und im Einsatz für Mensch und Natur, der oft nur langsam und schleppend vorankommt: Es braucht anscheinend eine gewisse Beharrlichkeit, eine hartnäckige Demut (V. 21). Und wer weiß, vielleicht lässt sich dieser Hinweis auf diese hartnäckige Demut auch übertragen, wenn Sie z.B. gegen den Widerstand des Kirchenvorstandes oder gegen die Trägheit der Institution Kirche für eine klimaneutrale neue Heizungsanlage in ihrem Pfarrheim eintreten …?

Dirk Preuß, Hildesheim

Literatur

[1] www.ekd.de/news_2011_05_20_1_bedford_strohm_jamaica.htm
[2] www.oikoumene.org/de/resources/documents/central-committee/2009/report-on-public-issues/statement-on-eco-justice-and-ecological-debt
[3] Dass die Unterscheidung zwischen Menschen verschiedener Herkunft aufgehoben ist, deutet bereits oben Apg 10,26 (sowie V. 28) an.