Rogate / 6. Sonntag der Osterzeit
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
2 Mose 32, 7-14 | Apg 8, 5-8.14-17 | 1 Petr 3, 15-18 | Joh 14, 15-21 |
Gott ins Gebet nehmen
Die Oberschicht des Volkes Israel befindet sich im Exil in Babylon. Die Priester haben keinen Tempel mehr, an dem sie ihren liturgischen und seelsorgerlichen Pflichten nachgehen können, für die Lehrer gibt es keine Schulen und keine Schüler, die Politiker haben jeglichen Einfluss verloren und die wirtschaftlichen Mächtigen müssen sich mit einfachen Geschäften durchschlagen.
In der Mitte des 5. Jahrhunderts von Christus befindet sich die Elite des Volkes in einer verzweifelten und schier ausweglosen Lage. Die Weisungen, die Gott ihnen zum Leben gegeben hat, werden immer weniger befolgt. Der Tempel in Jerusalem ist zerstört und eine Rückkehr dorthin so gut wie ausgeschlossen. In dieser Not scheint nur noch beten zu helfen. Manche erinnern sich, dass es in den Geschichten einzelner Stämme des Volkes schon einmal eine solche ausweglose Situation gab, die ihrer Gefangenschaft in Babylon vergleichbar war.
Als Sklaven hatten diese Stämme unter der Herrschaft des Pharao in Ägypten gelebt. Dann hatte sie Mose im Auftrag ihres Gottes aus Unterdrückung und Ausbeutung herausgeführt. Doch sie hatten nicht den schnellstmöglichen Weg in ihr „gelobtes Land“ nehmen können, sondern mussten 40 Jahre durch die Wüste ziehen, um schließlich an ihr Ziel zu gelangen. Auf diesem Umweg durch die Wüste empfingen sie die Weisung Gottes, der sie folgen sollten. Doch die Belastungen des Wüstenlebens führten sie auf Ab- und Irrwege. Statt dem Gott ihrer Lebensweisung zu vertrauen, machten sie sich ein eigenes Götterbild aus Gold, das sie anbeteten.
Wie das Exil in Babylon so war auch die Wüste ein Ort der Abkehr von ihrem Gott. Denn angesichts der harten Bedingungen in fremder und lebensfeindlicher Umgebung stellten sie die Frage, wo ihr Gott denn nun sei. Sollten sie nicht lieber den Göttern nachlaufen, die ihnen Gold, Einfluss und Zukunft versprachen? Für ihren Gottesglauben war sowohl die Wüste als auch das Exil eine Bewährungsprobe. Denn wenn sie sich von Gott abwandten, dann konnte dieser auch zornig und eifersüchtig werden und wie ein gekränkter Liebhaber reagieren.
Den strafenden Gott machten sie für ihr gegenwärtiges Unheil verantwortlich. Er handelte in der Geschichte und das Verhalten seines Volkes war ihm nicht gleichgültig. Doch er lässt sich auch ins Gebet nehmen. Gegen den goldenen Götzen der Macht und des Goldes steht der barmherzige Gott, der von seinem vernichtenden Zorn Abstand nimmt. Die Bitten des Mose bringen Gott in Bewegung, denn er ist kein unempfindlicher, kalter und ferner Weltenherrscher. Das Flehen des Mose geht ihm zu Herzen und er wird von dessen Argumenten überzeugt.
Wer betet, ist mit dieser Welt, mit sich, mit seinen Mitmenschen und mit Gott nicht fertig. Er hofft, dass die Wüste und das Exil einmal vorbei sein werden, dass Umkehr und eine andere Welt möglich ist. Wo Gott ins Gebet genommen wird, da wird an eine nachhaltige Zukunft geglaubt. Die zunehmende Verwahrlosung und Verwüstung der Erde im Zeichen des goldenen Stieres soll aufhören.
Individuelle Profitgier und gesellschaftlicher Wachstumswahn, für die der Bulle vor den Börsen in Frankfurt und an der Wall Street das unübersehbare Zeichen ist, nehmen nur sehr begrenzt Rücksicht auf die natürlichen Ressourcen der Erde und den verheerenden Wandel des Klimas durch CO-2-Emissionen.
Die fragwürdige Methode des „Fracking“ zur Energiegewinnung kann bewohnbare Landstriche vergiften und verwüsten, der Klimawandel lässt die Wüsten der Erde wachsen, und die Vielfalt der Arten in Luft, Wasser und auf der Erde geht durch die Verschmutzung und Verminderung ihrer Lebensräume immer weiter zurück.
Das Gebet ist der dringliche Ruf zur Umkehr, damit die Menschen vor den schrecklichen Folgen ihres eigenen Tuns verschont werden. Sie sind mit dem ökologischen Raubbau wieder auf dem Weg ins Exil, diesmal allerdings sind es nicht die Babylonier, die sie dorthin zwingen, sondern sie selbst. Indem sie sich in der Ausbeutung und Beschädigung der natürlichen Lebensgrundlagen nicht begrenzen und auch Gott um nichts mehr bitten zu müssen glauben, schwingen sie sich zu Herren auf, die selber herrenlos geworden sind.
Angesichts solch desaströser Entwicklungen bleibt am Ende nur noch das flehentliche Bitten um Erbarmen. Zu einer ökologischen Gebetslitanei gehört stets auch das Arbeiten für die dauerhafte Bewahrung von Gottes Schöpfung. Was schließlich auch von kirchlichen Umweltaktivitäten bleiben wird, ist das Beten und das Tun des Notwendigen.
Für Denkschriften und Expertisen, langatmige Warnungen und zaghafte Änderungen wird es im Blick auf die irreversiblen Zerstörungen der Umwelt eines Tages zu spät sein. Und dieser Tag rückt näher. Auf den Klimawandel richtet man sich bereits ein, weil er in einem bestimmten Ausmaß längst nicht mehr zu stoppen ist. Das öffentliche Beten wird man wohl wieder lernen müssen, denn das private Kämmerlein ist für dieses Gebet zu still. Gott gilt es an seine Treue und an seinen barmherzigen Bund mit den Menschen zu erinnern – wie Mose dies in der Wüste tut -, damit sie noch eine lebenswerte Zukunft haben. Die Sehnsucht nach dem Ende von ökologischer Wüste und menschlichem Exil findet im Gebet ihr Zuhause.
Auch in den katholischen Lesungen Apg. 8, 14-17 und 1. Petr. 1, 3-7 stellt sich die Frage, wem mehr zu vertrauen ist, dem barmherzigen Gott und seinem Geist oder dem Geld und seiner scheinbaren Macht. Mit der Bitte der Apostel Petrus und Johannes um den heiligen Geist entsteht auch in Samaria, in der eine jüdische Sekte zu Hause war, die von den Autoritäten in Jerusalem eher ausgegrenzt wurde, eine Gemeinschaft derer, für die Gottes Barmherzigkeit in Jesus Christus den Aufbruch aus Exil und Wüste bedeutet.
Von den Rändern des Volkes Israel her soll das Zentrum des jüdischen Glaubens, die Tora, als Weg zur Umkehr und Erneuerung wieder entdeckt werden. Der Magier Simon will Petrus und Johannes Geld geben, damit er an der Macht ihrer Bitten um den heiligen Geist teilhat. Doch diese Vollmacht und der damit verbundene Geist sind nicht käuflich. Für Simon kann nur um Vergebung angesichts seines ökonomischen Denkens gebeten werden. Nachhaltige Entwicklung wird ohne die Erkenntnis, dass entscheidende Dinge nicht zu kaufen sind, unmöglich sein. Und der Lobpreis über die große Barmherzigkeit Gottes in Jesus Christus in 1. Petr. 1 macht ebenfalls deutlich, dass Gottvertrauen viel kostbarer ist als das vergängliche Gold.
Dieses Vertrauen, das alle Sicherheiten, die Gold und Geld versprechen, übersteigt, ist die Grundlage jedes Gebets. Der Horizont der Ewigkeit, dem sich das Gebet öffnet, begründet eine Hoffnung, die dem menschlichen Ringen um eine ökologisch gerechte Welt einen langen Atem verleiht.
Wie sehr das Bitten und das Tun miteinander verknüpft sind, ist Thema des Evangeliums in Joh. 14,.12-14. In seinen Abschiedsreden an seine Jüngerinnen und Jünger versichert Jesus ihnen, dass er im Verhältnis zu Gott, seinem Vater, das tun wird, worum sie ihn bitten werden. Der Glaube an ihn wird auch zum entsprechenden Tun führen. Gott wird ins Gebet genommen, damit endlich getan wird, was längst notwendig ist: einen friedlichen, rücksichtsvollen Umgang miteinander und mit der Schöpfung einzuüben, bei dem Gottes Schalom, die Ganzheit von Mensch und Natur sichtbar wird.
Werner Schneider-Quindeau