Septuagesimae / 4. Sonntag im Jahreskreis (28.1.18)

Septuagesimae / 4. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Jer 9, 22-23 Dtn 18, 15-20 1 Kor 7, 32-35 Mk 1, 21-28

Mit dem Sonntag Septuagesimae (70 Tage bis zum Sonntag nach Ostern) ist die Epiphaniaszeit zu Ende, die Vorfastenzeit beginnt. Der Wochenspruch aus Dan 9,18 („Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit“) reflektiert die Existenz des glaubenden Menschen vor Gott.

Auf je unterschiedliche Weise geht es in den vier ausgewählten Bibeltexten dieses Sonntags um Gestaltungsformen der Gottesbeziehung, mal unter anthropologischen, ethischen, christologischen oder eschatologischen Aspekten. Der Mensch vor Gott erkennt seine Grenzen – auch in der Weise seiner Gotteserkenntnis: Er erfährt sich als angewiesen auf Wahrheit „extra nos“, auf Weisungen zur guten Lebenspraxis, auf Begegnung mit dem lebendigen Gott. Wo der Mensch sich darüber hinwegsetzt, indem er sich selbst absolut setzt und sich selbst genug ist, verliert er wesentliche Dimensionen seiner eigenen Existenz und gefährdet darüber hinaus den Fortbestand allen Lebens.

Jeremia 9, 22-23: Das rechte Rühmen

Die beiden Verse sind durch die einleitende Botenspruchformel und den bestätigenden Schluss (Spruch Jahwes) herausgehoben: Ein Weisheitswort, das nicht auf menschlicher Erfahrung basiert, sondern das als Gotteswort ausgerichtet wird. Mit der Gegenüberstellung (rechtes oder falsches Rühmen) erhalten die HörerInnen eine klare Botschaft - der Weg zum Leben besteht nicht in der Trias Weisheit-Stärke-Reichtum, sondern in der Erkenntnis Gottes und des rechten Tuns.

Zweimal zitiert Paulus in Kurzform Jer 9,23: „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“ (1 Kor 1,31 und 2 Kor 10,17). Einmal setzt er dabei die Torheit der theologiacrucis der Weisheit dieser Welt entgegen, das andere Mal verteidigt er sich und sein Wirken als Apostel gegenüber seinen Gegnern, denen er vorwirft, sich selbst zu rühmen.

Ähnlich wie in Jeremias Gegenüberstellung spitzt Luther in seiner Auslegung des 1. Gebots im Großen Katechismus am Beispiel des Reichtums zu: Der Mammon „klebt und hängt der Natur an bis ins Grab. Also auch, wer trotzig darauf vertraut, dass er große Kunst, Klugheit, Gewalt, Gunst, Freundschaft und Ehre hat, der hat auch einen Gott, aber nicht diesen rechten einzigen Gott. Darum sage ich noch einmal, dass die rechte Auslegung dieses Gebotes [des 1. Gebots] sei, dass einen Gott haben heißt: etwas haben, worauf das Herz gänzlich vertraut.“

Predigtimpulse

Ist das Rühmen tatsächlich in unseren Gottesdienstgemeinden verbreitet, oder überwiegen nicht vielmehr Zaghaftigkeit, Klage und Ratlosigkeit? Sind die Weisen, Starken und Reichen erkennbar unter uns? Reden über Andere und über Themen, die nichts oder kaum etwas mit uns zu tun haben, lassen HörerInnen unberührt. Dagegen dürfte die Sehnsucht nach Gotteserkenntnis und das Bemühen um ein Leben nach Gottes Willen eher prägend für die Hörerschaft sein. Dabei könnte Luthers Bildwort „Woran du dein Herz hängst“ eine Brücke zwischen dem Jeremiatext und der Gegenwart darstellen. Wer das Thema Reichtum aufgreifen möchte, kann das Wort aus der Bergpredigt (Mt 6,21: „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“) aufgreifen und die Gemeinde ein Herz mit zwei Händen formen lassen (vgl. DEKT 2011 in Dresden).

Ein anderer Zugang wäre, das explizite Rühmen sozusagen unter neuem Gewand als das Bemühen um „Selbstoptimierung“ zu verstehen. Styling nicht nur äußerlich, sondern als lifestyle und als Trend zur „eigenen Marke“: Zu mir gehören nur bestimmte Freunde, Lokalitäten, Lebensmittel, Aktivitäten – da kann selbst ein Ehrenamt, ein Sponsoring oder eine geistliche Praxis opportun sein. Rückzufragen wäre, ob die eigene Identität dahinter verschwimmt und inwieweit der Nächste als Mittel für eigene Zwecke benutzt wird. Schließlich könnte dem Anpassungsdruck der Moderne mit ihrem Ideal der Stärke und der Ökonomisierung vieler Lebensbereiche der Glaube an den Gott gegenübergestellt werden, der den Bund mit seinem Volk nicht aufgibt, der sich auch schwach und ohnmächtig zeigt und der somit ebenso auf uns angewiesen ist wie wir auf ihn.

Nachhaltigkeit

„Soziale Gerechtigkeit“, die Forderung, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergeht, sowie die Hilfe für Notleidende sind Kennzeichen prophetischer Kritik und diakonischen Handelns. J.H. Wichern hat 1849 in seiner Denkschrift an die Deutsche Nation als „Christenliebe“ formuliert, dass sie Besitz und äußere Güter „…kennt und verwaltet als ein Darlehen (!, J.N.) von oben zur Handreichung der Liebe für die Ärmeren.“Profanisiert findet sich diese Forderung in dem Rechtssatz „Eigentum verpflichtet“ (GG Art. 14 und BGB 823) wieder. Auch als „homo oeconomicus“ bleibt der Mensch ein Beziehungswesen. Gewinnmaximierung generiert letztlich Verluste auf allen Seiten.

Deuteronomium 18,15-20: Das prophetische Mittleramt

In den vorangehenden Versen werden mantische Praktiken (Hellsehen, Zauberei, Geisterbeschwörung u.a.) der Nachbarvölker Israels als warnendes Beispiel vorgestellt. Aus dem Mund Moses, der seinem Volk vor der Landnahme die Rechtsordnungen Jahwes vorträgt, klingt das anachronistisch. Da auch die Prophetie als Instanz der Offenbarung Gottes an Israel in den folgenden Zeilen dieses Prophetengesetzes bereits von verschiedenen Gesichtspunktenbetrachtet wird (die Frage nach dem Erweis von Wahrheit und Irrtum prophetischer Rede in V. 21f gehört zur Perikope dazu), sind diese Ausführungen nach G.v. Rad „das Ergebnis eines langen Nachdenkens Israels über das Besondere der profetischen Offenbarung“ (ATD S. 88). Die Verheißung eines neuen Mose, der wie damals am Horeb zwischen Gott und seinem Volk vermittelt, spiegelt einen kritischen Grundton gegenüber damaliger Prophetie wider.

Predigtimpulse

Die wechselvolle Geschichte Israels eignet sich zur exemplarisch-existenziellen Aneignung. So wie im Deuteronomium kollektive Glaubensgeschichte kritisch reflektiert wird, so weiß auch der/die Glaubende in der Regel um die Gebrochenheit des eigenen Gottesverhältnisses und um die Herausforderungen hinsichtlich religiöser Kommunikation und ihrer Gewissheiten. Greifbar, sichtbar, verstehbar soll der/die/das sein, woran ich glaube. Zugleich spüre ich die Scheu vor allem Unmittelbaren, das mich umdrängen, vereinnahmen und entblößen könnte. Nun ließe sich die Verheißung eines neuen Mose auf Christus beziehen. Als Sohn Gottes ist er einerseits für Glaubende mehr als ein Mittler, andererseits haben wir ihn nicht anders als eben vermittelt durch Wort und Sakrament. Im Unterschied zur katholischen Mariologie und dem Petrusamt kommen nach evangelischem Verständnis auch keine anderen Vermittlungsinstanzen in Frage. So bleibt letztlich die Aufgabe, im Hören, Beten und Unterscheiden (1 Thess 5,19: „Prüfet alles und das Gute behaltet“) dem Wort Gottes Vertrauen zu schenken.

Nachhaltigkeit

Die Frage nach falscher und wahrer Prophetie wird in den V. 19f mit radikaler Ernsthaftigkeit gestellt. V. 21f benennen dann als entscheidendes Kriterium, ob die Aussagen eingetroffen sind oder nicht. In Zeiten von fake news steht uns jedoch vor Augen, welche aktuellen Wirkungen Halbwahrheiten und selbst offensichtliche Lügen haben können. Und im Blick auf den Klimawandel erscheint es wenig ratsam darauf zu warten, ob die Warnungen Recht behalten.

1 Korinther 7,32-35: Empfehlung zur Ehelosigkeit

Paulus geht es vorrangig um die ungeteilte Liebe und Dienstbereitschaft des Menschen zu Gott. Dafür erscheint ihm die Ehelosigkeit das bevorzugte Modell zu sein. Seine Empfehlung gilt Männern wie Frauen gleichermaßen. Dafür dürften sowohl die Naherwartung (7,29: „Die Zeit ist kurz“) als auch die eigene Bereitschaft, als Missionar das eigene Leben einzusetzen, ausschlaggebend sein. Für Paulus ist Ehelosigkeit kein „Gebot des Herrn“, aber ein guter Weg ohne zusätzliche Sorgen.

Predigtimpulse

Die Vielfalt der Lebensformen wird zunehmend als hohes Gut gesehen. Weitgehend überwunden sind die Zeiten, in denen entweder Ehelosigkeit oder Ehe als allein seligmachend propagiert wurden. Interessant erscheint mir weniger die Auseinandersetzung mit Paulus, inwieweit der Familienstand (Ledige) Auskunft darüber geben kann, ob jemand tatsächlich „ungeteilt“ für Gott lebt oder leben kann. Genau diese Idee des „ganz bei der Sache sein“ kann aber sehr wohl anschlussfähig sein: Wir kennen das heute weniger aus dem Bereich der Religion, eher aus dem Leistungssport. „Fokussiert sein“ ist das neue Mantra, dem sich Talente frühzeitig unterzuordnen haben.

Nachhaltigkeit

Gegenüber allen Forderungen nach ungeteiltem Dienst (24/7) in einer Wettbewerbs- und Leistungsgesellschaft sind Zeiten für Freundschaft, für Gottesdienst und Sonntagsschutz, für Ausgleich und Gesundheit, für Bildung und Weite Geschenke Gottes, der aus Güte teilt.

Markus 1,21-28: Heilung eines Besessenen in Kapernaum

Mit Jesu Wirken in Wort (1,15) und Tat (1,21-28) bricht die „basileiatheou“ an. Nach V.27f ist der Sitz im Leben die Missionsgeschichte. Der Exorzismus basiert nicht auf besonderer Praxis, sondern allein auf der Vollmacht Jesu. Der seltene Titel „Heiliger Gottes“ (V.24) findet sich noch im johanneischen Petrusbekenntnis (Joh 6,69).

Die Dramatik in der Begegnung des Gottessohnes mit dem Dämon während des Synagogengottesdienstes gleicht einem „showdown“, wie wir ihn nur noch als filmisches Mittel, nicht aber als apokalyptisches Zeichen kennen. Der Kampf um Gut und Böse hat etwas Verstörendes, weil er das Dogma einer allumfassenden Harmonie in Frage stellt.

Kirchenund charismatische Kreise nahmen bzw. nehmen die „exousia“ Christi in fragwürdiger Weise für sich in Anspruch. Im Grunde geht es dabei um Zugehörigkeit oder Ausschluss aus einer Gemeinschaft. In den Evangelien finden wir viele Beispiele für Einladung und Dialog, hier jedoch auch zur Grenzziehung (V.25). Vielleicht eine Hilfe für den Umgang mit AfD-Positionen?

Joachim Naurath, Limburg