Septuagesimae / 6. Sonntag im Jahreskreis 2017 [III/A]
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Lk 17, 7-10 | Sir 15, 15-20 (16-21) | 1 Kor 2, 6-10 | Mt 5, 17-37 |
Lk 17, 7-10: Abschaffen jeder Sklaverei: Wir tun, was wir zu tun schuldig sind.
Auf keine Weise dürfen wir Christinnen und Christen Strukturen, welche Sklaverei bewirken, unterstützen. Das gilt es in aller Schärfe und Klarheit zu sagen. Zu oft und zu lange haben sich christliche Kirchen hinter Strukturen feige versteckt. Zum Glück haben wir dazugelernt. Zur christlichen Berufung gehört heute unabdingbar, dass wir uns gegen Sklaverei jeder Art einsetzten. „Ich wehre mich gegen Rassismus und jede Ordnung, welche Menschen versklavt“. So bekennt es das indonesische Glaubensbekenntnis, das im evangelisch-reformierten Gesangsbuch der deutschsprachigen Schweiz unter der Nummer 268 abgedruckt ist. Gerade Nachhaltigkeit bedeutet, die Augen nicht zu verschließen vor einer grauenhaften Realität: Dass es heute weltweit über 36 Millionen Sklaven gibt. Und jeder einzelne ist einer zu viel. Hinzuschauen und zu benennen: Das gehört zum christlichen Dienst. Hoffnungsvoll Erfolgsgeschichten weitererzählen: Auch das können christliche Kirchen heute tun. Zum Beispiel auf den Pulitzer-Preis des Jahres 2016 hinweisen. Die Reportage-Serie «Seafood from Slaves» (Meeresfrüchte von Sklaven) führte die Reporter Margie Mason, Robin McDowell, Martha Mendoza und Esther Htusan in vier Länder. Sie berichteten über Sklaverei bei der Produktion von Crevetten. Dank ihrer Reportage kamen über 2000 Sklaven frei.
Unser Dienst, unsere Rolle
Es ist unsere Berufung und unsere Aufgabe, dies zu tun. Dafür sollen wir ums Himmels Willen keinen Dank erwarten. Das stete und allgegenwärtige pseudo-christliche „Danke sagen“ in allen Situationen kann einem auch auf die Nerven gehen. Tun wir denn nicht einfach das Selbstverständliche? Spielen wir nicht einfach unsere Rollen? Wir sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Reiche Gottes. Wir sind die Stewards, welche sich gegen Versklavung von Menschen und Ausnützung der Tiere und der Schöpfung wehren. Verlangen wir dafür keine Dankbarkeit! Dieser Teil des Textes gefällt mir: Tun wir einfach, was uns aufgetragen ist. Verlangen wir nicht große mediale Aufmerksamkeit oder Dankbarkeit, weder von der Gesellschaft noch von der Kirche. Tun wir einfach, was uns Gott durch seine heilige Geistkraft aufgetragen hat. Denn „Gott will, dass wir mit ihm wirken, der Welt und den Menschen zugute“ (ökumenisches Glaubensbekenntnis von Rainer Röhricht und Jörg Zink).
Sir 15, 15-20: Das lebensfördernde und gute Gesetz
„Gott gab den Menschen seine Gebote und Vorschriften. Wenn du willst, kannst du das Gebot halten; Gottes Willen zu tun ist Treue.“
Nachhaltigkeit meint, dass wir, trotz aller systemischer Zwänge, in denen wir mitschuldig oder unschuldig verstrickt sind, doch selbst auch entscheiden können, welche Wege wir gehen können. Deshalb: „Wenn du willst, kannst du das Gebot halten“. Die Einsichten von Regeln zu nachhaltigem Handeln können umgesetzt, Ziele können erreicht werden. Sie sind nicht zu schwierig oder zu steil. Die globale Analyse kann uns da schon manchmal lähmen. Wir denken: „Das Einhalten von nachhaltigen Regeln ist ja nur ein Tropfen auf den berühmten heißen Stein“. So what. Machen wir, was möglich ist! Die jüdische Thora ist auch so gedacht, dass ihre Umsetzung möglich ist, dass sie nahe an den Menschen sein will, damit das Leben gelingen kann. Das meint auch unser Text. We have a choice. Wir können uns entscheiden. Wir können nachhaltig denken und handeln. Wir können uns auch politisch einsetzen. Wir müssen dabei nicht verzagen, wenn der uneinsichtige Nachbar nicht mit uns einig geht. Streck einfach deine Hände aus nach dem, was dir gefällt, was dir gut tut, was nachhaltig ist. Vielleicht steckst du ja damit die Nachbarin an. Richten über sie musst du nicht. Gott tut es, denn er kennt alle Taten. Vertrau darauf: Gott kann alle Menschen, auch den dummen, uneinsichtigen, nicht nachhaltigen Übernächsten, immer überraschend ändern. So können wir, nach getanem nachhaltigem Tagwerk, Gott bitten, dass er uns ruhig schlafen lässt und den weniger nachhaltigen, kranken Nachbarn auch.
1 Kor 2, 6-10 Gottes Geist schenkt uns Liebe zur Schöpfung
Wenn sich Menschen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen treffen, so kommt es mir manchmal vor, dass sie eine Offenbarung haben, die andere nicht teilen. Sie bilden beinahe eine esoterische Gruppe. Und man hört oft: Warum teilen die Politiker, die Wirtschaft, die Nationen unsere Einsichten noch nicht? Es ist ja auch oft zum Verzweifeln. Das Schwierige an der Debatte über Nachhaltigkeit ist, dass wir Christinnen und Christen unsere Einsichten, zu denen wir über die uns geschenkte Liebe zur Schöpfung gelangen, übersetzen müssen in allgemein zugängliche Weisheiten, die allen Menschen guten Willens und Verstandes einleuchten.
Dabei können wir auf die Hilfe des göttlichen Geistes stets zählen. Diese Geistkraft ist die Verbindung mit dem Leben. Mit dem Schönen. Deshalb leiden wir ja auch, wenn die gute Schöpfung gequält und ausgenutzt wird. Es ist also nicht ein esoterisches Wissen. Es ist eine enge Verbundenheit mit Gott und seiner Schöpfung. Wir wissen es nicht besser als andere Menschen. Aber aus dieser geschenkten Verbundenheit strengen wir uns immer wieder an, um mit Verstand, Wissenschaft und Fantasie herauszufinden, welche Zusammenhänge bestehen und was wir als Individuen und als Gesellschaft, auch mit neuen Gesetzen, ändern können, damit Gottes gute Schöpfung weiterhin schön bleibt.
Mt 5, 17-37: Gesetz ohne Moralinsäure
Was ist die Stellung des Gesetzten in der Nachhaltigkeitsdebatte? Wollen nicht viele Einsichten übersetzt werden in nationale und internationale Gesetze? Es ist doch so: wirkliche Erfolge sind nur über internationale Vereinbarungen, die auch in Gesetzte gegossen werden, zu erreichen. So wie das etwa in Paris 2015 am UN-Klimagipfel historisch versucht wurde. Ja, es braucht unbedingt Gesetze! Denn nur über sie lassen sich Ziele anpeilen und die Nichteinhaltung von Vereinbarungen sanktionieren. Insofern kann gesagt werden: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; in bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen“. Die Freiheit im Denken, zu der uns Christus befreit hat, lässt uns den Sinn der Gesetze erkennen: Gutes Zusammenleben aller Menschen mit allen Nationen. Wir dürfen und sollen überall solche neuen Gesetze erfinden und einfordern.
Neue Haltung: Einsatz ohne Besserwisserei
Von der Haltung her sollten wir uns aber immer selbstkritisch prüfen: predigen wir nur das Gesetz? Sind wir moralinsauer und verderben anders Denkenden ihren Brei, wenn wir ständig nur apokalyptische Visionen widerholen, um notwendigste Gesetze zum Klimaschutz zu fordern? Es ist wahrlich ein schwieriger Balanceakt für uns christliche Nachhaltigkeitsengagierte: Wir wollen Salz der Erde sein und bleiben. Wir wollen deshalb immer auch Pfeffer in zu fade, desillusionierte Debatten bringen. Wir wollen immer wieder Mut machen. Eins aber will stetig bedacht sein: Dass wir Christenmenschen das Gesetz nicht als heilsbringend ansehen. Dass wir nicht gesetzlich werden. Dass wir nicht verbrämt und verhärmt sind noch werden. Sondern dass wir aus lauter Liebe und Dankbarkeit uns einsetzen für die geplagte Schöpfung. Dass wir dabei die Menschenliebe gerade nicht verlernen, auch wenn das eine ganz grosse Versuchung. Dass wir „locker“, frei und offen bleiben, wenn wieder einmal zynisch über allgemeinste Einsichten hinweggelacht wird.
Ins Detail gehen ist nicht von Übel
Und dann dürfen wir noch eines wissen: In der Nachhaltigkeitsdebatte gibt es in der Tat oft nur eine Seite, in der klar „Ja, ja“ gesagt werden kann, ohne Zweifel. Dass wir aber argumentieren müssen, ja dürfen, und dass dieses Argumentieren in den Details weit über ein „Ja, ja. Nein, nein“ hinausgeht, das dürfen wir uns sagen, auch gegen den Bibeltext. Dieses Darüber-Hinausgehen ist nun gerade nicht vom Übel. Es ist gerade not-wendig not-wendend, dass wir differenzieren und ins Detail gehen. Es ist gerade der wunderbar komplizierten, geheimnisvollen, schönen Schöpfung geschuldet. Das stete dumme Verkürzen von Twitter, das Verlangen der Medien nach knackigen Sätzen ist Gift für eine seriöse Suche nach gangbaren und einsichtigen Lösungen auf dem Weg zu gerechter Ökonomie, menschlicher Ökologie und sozialer Gerechtigkeit. Werden wir auch hier nicht Sklaven von Verdummungsabkürzungen, sondern lassen uns darauf ein, mit allen Menschen guten Willens und Verstandes, auf die freie und lustvolle Suche nach tragbaren Lösungen, die sich irgendwann, so Gott will, in Gesetze übersetzen lassen werden, Gesetze, die den Menschen und der Schöpfung zu gute kommen.
Andreas Peter, Zürich