Septuagesimae / 6. Sonntag im Jahreskreis (13.02.22)

Septuagesimae / 6. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Jer 9,22-23 Jer 17, 5-8 1 Kor 15, 12.16-20 Lk 6, 17.20-26

 

Vom grünen Baum war die Rede, ausdrücklich vom grünen. Wer seine Wurzeln zum Herrn ausstreckt, gleicht einem grünenden Baum am Wasser. Da kann man fragen: Wie grün ist das Christentum eigentlich?

Gibt es schon die ersten Umweltheiligen? Gar ökologisch Verfolgte? Ich vermute, dass es sie längst gibt und immer gegeben hat, etwa in den Regenwäldern Lateinamerikas. Christen, die sich für einen Einklang von Menschen, ihrer Kultur und der Natur, für faires und nachhaltiges Wirtschaften einsetzten - bis zur Hingabe des eigenen Lebens.

Man kann gleich einwenden, es ginge hier in den Metaphern von Lesung und Psalm um die Gottesbeziehung, nicht um die zu einem Bach oder zur Natur. Aber noch als Kurienkardinal hat Joseph Ratzinger in seinem Buch „Salz der Erde“ darauf hingewiesen, dass der katastrophale Zustand der Schöpfung von Menschen gemacht ist und solche Verwüstungen Abbild einer inneren Wüste und Leere in der Seele des Menschen sind. Wir leben uns aus. Wir leben zu stark aus materiellen Quellen, wir verbrauchen zu viel, um zu genießen, wir fischen dabei immer noch vor fremden Küsten und mit der Masse der höher industriell entwickelten Länder schmälern wir die Nahrungsgrundlagen der ärmeren und verdrängen sie von ihrem eigenen Reichtum. Wir, die wir uns gern als Entwicklungshelfer sehen, sind verantwortungslos, rücksichtslos, lieblos- oder um es in der Sprache der Lesung und des Psalmes zu sagen: gottlos unterwegs, weithin jedenfalls. Um es nicht bei selbstanklagender Rhetorik zu lassen, die dann doch fehl geht: Sind wir das tatsächlich? Die genannten Attribute sind so emotional, dass wir sie ablehnen würden, wir als Deutsche insgesamt, als Christen ganz besonders. Wir sehen uns nicht rücksichtslos, gar gottlos. So wollen wir auch nicht sein. Wir erleben uns nicht so. Vielleicht sind wir aber in der Summe, wir also als die vielen, dennoch genau so in der Geschichte unterwegs. Weil wir alle ein wenig, die einen sicher mehr als die anderen, über unsere Verhältnisse leben, ist das Ergebnis für die Umwelt desaströs. Und vielleicht ist es hier wie so oft, dass das Übel nicht durch gezielten Willen und Bewusstsein bewirkt wird, sondern durch Unaufmerksamkeit, Übersehen, Leichtsinn oder Verharmlosung. Katastrophale Verkehrsunfälle kommen selten durch bösen Willen zustande. Insgesamt könnte für die Folgen unseres Lebensstils gelten: Wir wollen es eher nicht so genau wissen und am liebsten in einer Art seliger Unwissenheit bleiben. Da und dort tauchen prophetische Figuren auf, diese Unwissenheit zu zerstören: schon vor Jahrzehnten der Club of Rome. Mahner in der Wüste. Aktueller: Greta Thunberg, Mahnerin in der Wüste. Sie sei krank, hörte ich, als Argument sie nicht ernst zu nehmen. Hauptsache, wir sind gesund, nicht wahr? Als wenn Krankheit nicht auch das Tor wäre, um bestimmte Wirklichkeit sensibler wahrzunehmen. Großen und heilsamen Veränderungen im persönlichen Leben gehen nicht selten Krankheiten voraus. Vieles an Thunberg erinnert mich an Heiligenbiografien: Unbeugsamkeit, Hartnäckigkeit, Bereitschaft, körperliche Strapazen auf sich zu nehmen, asketisches Aussehen, Furchtlosigkeit, Zielstrebigkeit, Überzeugung. Bei manchen erntet sie nur Spott, bei anderen milde Verachtung. Eine Kranke eben…. Wenn das krank ist, was ist dann gesund? Gesund spielen ist die größte aller Krankheiten. Und eben das wäre zu erfragen im Angesicht dessen, vor dem wir leben, insbesondere hier uns versammelt haben. Wir sollen ja die sein, die über seine Weisung nachsinnen bei Tag und Nacht. Und es bedeutet nicht wenig, dass wir hier her gekommen sind, um das zu tun. Spielen wir am Ende gesund?

Ich frage das nicht im Ton der Anklage, aber doch vor dem Hintergund, dass mehr individuelle Umkehr notwendig ist, als bei der Mülltrennung realisiert wird: Wie krank sind wir im Sinne der Unfähigkeit, noch verzichten zu können, unseren Verbrauch zu drosseln? In wie viele ökologisch schädliche Dinge sind wir längst verstrickt, um uns noch herausziehen zu können, angefangen vom Microplastikshampoo über Essgewohnheiten, Urlaubsansprüche, Mobilitätszwänge, die angeblichen eingeschlossen, und und und… Ist unser Leben, ohne dass wir ausdrücklich eine böse Tat (die große Umweltsünde) begehen, vielleicht erschreckender in seinen ökologischen Folgen als wir meinen, ungerechter, zerstörerischer? Dies ist kein Bußgottesdienst, um den ökologischen Fußabdruck zu prüfen. Wir müssten uns da ohnehin viel von Wissenschaftlern sagen lassen. Wir können aber schon feststellen, ob wir uns etwas sagen lassen wollen und dann auch Konsequenzen ziehen können. Wir halten es für das Privileg der Reichen, mit einem viel Sprit verbrauchenden Auto durch die Gegend zu fahren. Es sollte ein Privileg derer sein, die sich kein neues leisten können. Wohlstand verpflichtet, mehr Geld für Ökologie auszugeben, teurere und sauberere Lösungen zu bevorzugen. Aber im Grund wissen wir das alles. Viele Magazinsendungen predigen das in Rundfunk und Fernsehen, die Zeitungen schreiben es. Wir sprechen von Verbotsparteien und machen ausgerechnet wichtigste Innovationen von freiwilliger Zustimmung abhängig. Dahinter steckt eine hohe Auffassung von der Vernunft im Menschen. Aber lehrt uns nicht der gesunde Menschenverstand, dass die Vernunft im Menschen kein Alleinherrscher ist, dass im selben Haus auch Bequemlichkeit und Begierde wohnen, ach ja: und Geiz. Die Unmäßigkeit habe ich vergessen. Wenn der Mensch ein so vernünftiges Wesen wäre, hätten wir doch diese Probleme gar nicht. Ich wünsche mir das eine oder andere Verbot, um mir ein Maß zu schaffen, wenn ich zu träge geworden bin, es mir selbst einzurichten.

Ich bin nicht so rein, so gerecht, so offen, so arm, dass ich nicht auch anders als vernünftig sein könnte. Der Mensch ist es nicht. Das eine oder andere Verbot kann helfen, das Gebotene zu halten bis es sich fester in uns verankert hat.

Man kann gegen alle diese Überlegungen einwenden, es gehe den Menschen gar nicht um ethischen Anspruch, sie wollten einfach glücklich sein, und das hätte die Kirchen und die Öko-Parteien bis heute nicht verstanden mir ihrem ewigen Predigen. Ich kann mich erinnern an die an den Flughäfen Interviewten, ihre darüber strahlenden Gesichter, endlich nach Abklingen einer Pandemiewelle wieder nach Mallorca fliegen zu dürfen. Sicher gibt es Ähnliches in meinem Leben. Wir Menschen wollen einfach glücklich sein. Ist damit alles über den Menschen gesagt? Unschuldig glücklich? Das gibt es nicht. Es hat alles einen Preis. Also kein Glück möglich?

Es gibt Seligkeit! Das ist Glück aus dem Bewusstsein, Richtiges zu sagen oder zu tun im Einklang mit der Schöpfung, mit Gottes Willen, mit dem Glück der anderen. Es gibt den Verzicht, der nicht nimmt, sondern gibt: unerschöpfliche Kraft des Einfachen. Heidegger wusste das und hat es so formuliert: „Der Verzicht nimmt nicht, er gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.“. Jeder, der verzichtet, kennt etwas davon. Das ist Glück, das in Kauf nimmt, dass es jetzt Einschränkungen geben muss, dass es vielleicht Spott gibt, Unverständnis auch noch, aber doch Glück entet aus dem Ziel, die eigenen Bedürfnisse um eines höheren Zieles willen zurückzustellen. Die nun bald beginnende Fastenzeit ist ein Entgegenkommen gegenüber dem in uns, was mehr Disziplin sucht, mehr Maß oder Gerechtigkeit, Rücksicht, Bescheidenheit. Und dabei zu wissen, dass ich nicht allein unterwegs bin.

Ein letzter Einwand: „Das bringt doch alles nichts mehr. Wir schaffen die Klimawende nicht.“ Auch das ist noch nicht ausgemacht. Aber selbst wenn, für jeden kann es einzeln, und bleibe er allein, Bedeutung haben, nicht länger an dem mitzuwirken, was wüst ist und leer, hohl könnten wir auch sagen. Als Christen bauen wir an einer Welt, die Gottes ist. Wir bauen nicht am persönlichen Schlaraffenland. Wir suchen den Einklang mit Gott in dem, was er für alle geschaffen hat. Ja, und wenn das gelingt, ist das etwas von der Seligkeit, in der das, was zum Weinen war, ins Lachen überging, das Geschmähte seinen Lohn sieht, Armes reich erlebt wird. Dann grünt wie ein Baum am Wasser, was wir unsere Seele nennen. Selig, die nicht gesund spielen, denn sie werden Heilung finden.

Thomas Hürten, München