Sexagesimae / 7. Sonntag im Jahreskreis (20.02.22)

Sexagesimae / 7. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Hebr 4,12-13 1 Sam 26, 2.7-9.12-13.22-23 1 Kor 15, 45-49 Lk 6, 27-38

 

A) In der Feldrede von Lk 6, 27-38 und
B) im Brief an die Korinther von Paulus Kor 15, 45-49

finden sich sechs Voraussetzungen fĂŒr nachhaltige, gewaltfreie Lösungen in persönlichen und gesellschaftlichen Konflikten. Beide Textstellen haben den inneren Bezug zum Themenbereich Schöpfungsordnung. Gottes „Schöpfung“ meint ja im Sinne eines umfassenden „Shalom“ ein friedlich geordnetes, gelingendes, soziales und lebendiges Miteinander alles Geschaffenen.

Da eine nachhaltige Exegese auch bedeutet, eigene Theologie nicht von ihrem jĂŒdischen Erbe abzuspalten, werde ich an drei Stellen auf jĂŒdisches Erbe verweisen.

A) Lk 6, 27-38

1) Als Rabbi und Lehrer gibt Jesus RatschlĂ€ge nur jenen, die sie auch hören wollen: „ ...Aber euch, die ihr hört, sage ich
“ (Lk, 6, 27a). Es fĂ€llt auf: Sein VerhĂ€ltnis zu den JĂŒnger:innen setzt deren Interesse und Selbstbestimmung voraus. Er predigt nicht ungefragt, moralisierend, von oben herab, oder in unpassenden Situationen, sondern er wendet sich nur an die, wenn sie ihm zuhören möchten.

2) Jesus denkt und spricht positiv und einladend. Er als Lehrer lĂ€dt nur ein, aber er ĂŒberlĂ€sst den Lernenden die Entscheidung zur Nachfolge: „Liebt ...! Tut wohl ...! Segnet ...! Betet fĂŒr 
! Bietet ...dar! Verweigere nicht 
dem, der von dir nimmt! Gib jedem ...der bittet! Fordere nicht zurĂŒck ... von dem, der dir nimmt!“ Hier gibt es keine Drohungen. Alle Verben sind einladend und positiv formuliert. (VV 27-31)

3) Gottes Shalom ist kreativ – VergrĂ¶ĂŸere deinen Raum - Nutze deine Schöpfungskompetenz! (VV 27-31) Das ist der Kern seiner Einladungen. Jesus ermutigt dazu, sich in einer destruktiven, gefĂ€hrlichen Lebenslage eine ungewohnt neue Freiheit zu nehmen, um völlig anders entscheiden zu können: „Winde dich heraus aus dem Kreislauf der Vergeltung, begib dich aktiv in eine konstruktive, kreative innere und Ă€ußere Haltung. Finde Deine eigene Vision. Endecke deine tieferen FriedenswĂŒnsche. Lass dir deine Beziehung zum GegenĂŒber durch Andere nicht völlig zerstören. Biete deinem Gegner auf einer neuen, höheren Stufe eine ĂŒberraschende Chance, so dass er dich als Mensch neu wahrnemenkann. Lade ihn dazu ein, zum VerbĂŒndeten fĂŒr eine neue Art der Versöhnung zu werden – im Shalom Gottes. Entscheide dich fĂŒr das Gute! Nach Hildegard Goss - Mayr*1 setzt diese Möglichkeit zur Transformation eines Konflikts an dem Gewissen des sogenannten Gegners an, seinem Herzen, dem inneren Sitz seiner Entscheidung. Weil das Herz der Sitz des Wesentlichen ist, wird dies nachhaltig sein.
Ein Hinweis zu unserem jĂŒdischen Erbe: Das Erste Testament spricht bereits von der aktiven NĂ€chstenliebe, welche die Feindesliebe zur Folge hat (Lev 19, 17f). Sie ist gehört gemeinsam mit der Gottesliebe zum innersten Kern der Thora. Dies greift Jesus als jĂŒdischer Rabbi auf.

4) Der eigene Standpunkt ist entscheidend (VV 32ff)
Der Standpunkt ist der Ort, wo ich mich verdanke und einen Selbstwert finde. Die wiederholte Formulierung bei Lukas “Welchen Dank habt Ihr?“ spielt in gegensĂ€tzlichen Bildern mit der Frage: „Welchen Standpunkt habt ihr?“ Worin grĂŒndet eurer Dank - auf dem Modus des „Haben-Wollens“, des Vergleichens mit Anderen oder der vergeltenden Gerechtigkeit? Oder grĂŒndet er in der tieferen, unverrĂŒckbaren Gewissheit ĂŒber mein Verdankt-Sein, mein Zuhause, meinen inneren Ruhepunkt, mein „Bei-mir-selbst-Sein?

5) In aller Freiheit – Die eine Kompromisslosigkeit gibt es: Gott ist „gut“. (V 32)
Bei Lukas taucht ein Wörtchen auf, das gegenĂŒber den Zuhörenden argumentierenden Charakter hat und deshalb herausfordert, es ist das „Denn“ in Vers 32! „Denn er (Gott) ist gĂŒtig gegenĂŒber den Undankbaren und Bösen.“ Dieses Denn stellt eine Behauptung dar, theologisch gesehen eine schlichte, positive Setzung: Gott ist gut! Das ist unverrĂŒckbar und fĂŒr Lukas der eigentliche Grund, die Haltung der Liebe und GĂŒte zwingend einnehmen zu mĂŒssen. Diese Gottesvorstellung lĂ€sst es nun nicht mehr zu, bei Unrecht und Diskriminierung einfach nur nicht hinzuschauen. Sie lĂ€dt dazu ein - wo immer es die eigene Kraft, die eigene StĂ€rke, die eigene Ruhe zulassen - dem Bösen, Unguten, Zerstörerischen, Destruktiven schöpferisch entgegen zu wirken und eine aktive Rolle fĂŒr Gottes Frieden einzunehmen. Auch hier knĂŒpfe ich an eine jĂŒdische ErzĂ€hlung im ET an: Genesis 1 erhĂ€lt seine vollendete Gestaltung durch das Wörtchen „gut“.

6) Nachhaltige Gewaltfreiheit trotz Schmerz, Verlust, Leid und Vernichtung – Geht das!? (V 36)
Bei meiner Reise zu den SchUM-StĂ€dten in diesem Sommer habe ich Rabbi Raschi aus dem 11. Jahrhundert entdeckt. Passend zu dem freundlichen Wörtchen „UND“, das 2x in Vers 36 vorkommt, verweise ich vorab auf seine GedankenfĂŒhrung – auf dem Hintergrund seiner Zeit, dem ersten Kreuzzug, der am Mittelrhein auch seine jĂŒdische Kultur betraf. Denn auch die Feldrede spielt auf dem Hintergrund von Zerstörung durch die röm. Besatzung. Raschis Gedanke ist: „Keine Seele“ soll „dem Feind ĂŒberlassen“ werden.*2 Damit nimmt er alle Verantwortung fĂŒr die Tötung von Juden und die Vernichtung ihres Erbes rĂŒckblickend in die eigene Verantwortung des jĂŒdischen Volkes. Damit weigert er sich, den Gegnern den Sieg zuzugestehen. Das Ă€hnelt der eschatologischen Aussage bei Lukas: „UND ihr werdet Söhne / Töchter des Höchsten sein“. Wer sich an den Weisungen der Feldrede orientiert, der wird nachhaltig nichts zu verlieren haben, weil er in eigener Freiheit Gott das vorbehĂ€lt, was nur ihm zusteht: den Standort seiner Seele.

B) Kor 15, 45-49

Hier schreibt Paulus zum Themenbereich Nachhaltiger Friede und Soziale Gerechtigkeit – ebenfalls unter den Spannungen zur Zeit der römischer BesatzungskrĂ€fte. Er schreibt fĂŒr Menschen mit ihren materieller Sorgen um die ErnĂ€hrung ihrer Familie, mit Furcht vor dem Verlust des Hofes und Hauses, der Angst vor sozialem Abstieg und vor Ausgrenzung. Sie möchten sich in aller Drangsal nicht korrumpieren lassen und zur Gewalt greifen, sondern sich vielmehr weiterhin um Andere kĂŒmmern und nicht verraten - kurzum, die nach dem „Bild“ Jesu das Gute leben wollen. Er bezeichnet sie als „Menschen des Himmels“(ouranoi, gr.) und stellt sich damit der hellenistischen Philosophie entgegen, denn diese Himmelsmenschen kommen nicht etwa vom Himmel, sondern sie gehen aus ihrem gelebten irdischen Leben hervor(epigeioi, gr.), als „Bilder“ Adams. So werden sie mit ihrem gesamten, körperlichen Erleben ernst genommen werden. Diejenigen, die noch gar nicht tot sein werden, wĂŒrden sich zeitgleich in Himmelsmenschen verwandeln – sobald die Zeit anbricht.
Nachhaltig leben bedeutet also: Nichts AlltĂ€gliches ist umsonst. Nur durch die Tiefe des Erlebens und Lebens hindurch wird eine Auferstehung stattfinden, die uns mit Haut und Haaren schĂ€tzt. Es lohnt sich, intensiv zu leben und sich trotz Schmerz, Verlust, Leid und Vernichtung fĂŒr den Shalom Gottes einzusetzen.

C) 1 Sam 26, 2.7-9.12-13.22-23

ist eine Friedens- und Streitschlichter-ErzÀhlung.
Sie eignet sich wunderbar fĂŒr die Katechese oder das darstellende Spiel.
Aufgrund ihrer Symbolik spricht sie fĂŒr sich. Sie ist ein anschauliches Praxisbeispiel zu Lukas. Besonders lohnt sich die Wahrnehmung des „Speeres“, als Symbol der Macht zu töten, aber auch als Chance, das Töten zu lassen! Neben Saul steht nicht zufĂ€llig ein „Wasserkrug“ - ein Überlebenssymbol.
Ebenso wertvoll ist die Wahrnehmung des „weiten Raumes“ in dem kurzen Moment der Umdrehung des MachtverhĂ€ltnisses der beiden Rivalen. David schafft Raum und Abstand. Beides sind Voraussetzungen fĂŒr eine gewaltfreie Kommunikation und die Lösung von Konflikten – passend zum Geist der Feldrede.

D) Hebr 4,12-13

Der Text passt zum Themenbereich Frieden, denn er veranschaulicht die große Bedeutung wertschĂ€tzender Kommunikation.
Die Schwertsymbolik im 1. Samuelbuch taucht noch einmal im HebrĂ€erbrief auf: Treffender als jedes Schwert sei das lebendige Wort. Das bezieht sich natĂŒrlich nicht nur auf das Wort Gottes, sondern auch auf jedes lebendige, ermutigende Wort zwischen den Menschen. Um den Unterschied zwischen den Treffsicherheiten eines Schwertes /Messers und der Treffsicherheit eines ausgesprochenen Wortes anschaulich verstehen zu können, lohnt sich auf jeden Fall das Gedicht „Unaufhaltsam“ von Hilde Domin.*3

Bernadette Ackva, Schöffengrund


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*1 Hildegard Goss-Mayr, Der Mensch vor dem Unrecht, Wien 1976
*2 D. Krochmalik, Festvortrag 4.4.05, in: Raschi 1105 – 2005, Worms-Verlag 2005, S. 55
*3
https://www.gewaltfreie-kommunikation-seminare.com/gedicht-unaufhaltsam-hilde-domin)
   s. auch H. Halbfas, Das Menschenhaus, Patmos 2016, S. 35
*4 Zur wertschÀtzenden Kommunikation verweise ich auf zahlreiche Veröffentlichungen von Marshall Rosenberg, ebenso auf die grundlegende Literatur von Hildegard Goss-Mayr;