Tag der Geburt / Christfest I / Weihnachten
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Gal 4, 4-7 | am Morgen: Jes 62, 11-12 | am Morgen: Tit 3, 4-7 | am Mo.: Lk 2, 15-20 |
am Tag: Jes 52, 7-10 | am Tag: Hebr 1, 1-6 | am Tag: Joh 1, 1-18 |
Gal 4, 4-7
Dieser Paulustext ist in seiner Logik und Argumentation für uns nicht so ganz einfach zu durchschauen. Was Paulus auf jeden Fall betont, ist: Wir sind Erben Gottes. Erben weil wir Söhne und Töchter Gottes sind.
Söhne und Töchter, die zu Gott, Vater sagen können. Dadurch entsteht eine Familie, die sich anders zusammensetzt als durch Geburt und Zeugung. Für manche ist das überall beworbene Familienidyll an Weihnachten ja einfach weder Realität noch erstrebenswert.
Es gibt da eine andere Zugehörigkeit, die uns einfach geschenkt ist.
Und ein Erbe, das uns erlaubt, uns frei zu machen, von all dem, was man tun muss, um in unsern realen Familien eine „gute Tochter“ oder ein „guter Sohn“ zu sein.
Wir sind frei vom Gesetz, frei von allem was uns so bindet, dass wir unser eigenes nicht leben können.
Wie wäre es an diesen Festtagen einmal zu versuchen, allen in der eigenen Familie ihr ganz eigens zu erlauben. Neugierig zu sein auf die Meinung des Bruders, interessiert am Hobby der Cousine, ohne Vorurteil, ohne Verurteilung, … einfach weil alle zu einer Familie gehören. Einfach, weil alle zu Gott Vater sagen.
Der Paulustext wirft noch eine Frage auf, wozu eigentlich hat Gott uns zu Erben eingesetzt? Martin Buber gibt hier eine wunderbare Antwort:
Dass du Gott brauchst,
mehr als alles,
weißt du allezeit in deinem Herzen;
Aber nicht auch,
dass Gott dich braucht,
in der Fülle seiner Ewigkeit dich?
Wie gäbe es den Menschen,
wenn Gott ihn nicht brauchte,
und wie gäbe es dich?
Martin Buber (1887-1965)
Jes 62, 11-12, Jes 52, 7-10, Tit 3, 4-7, Hebr 1, 1-6
Was (abgesehen von Hebr 1,1-6) alle weihnachtlichen Lesungen verbindet, ist die Freude über die Rettung! Rettung durch den Freudenboten, den Messias, den Christus, das neugeborene Kind!
Ich frage mich, ob wir einstimmen können, in diesen Rettungsjubel!
Ich sehe Menschen die gerettet sind, aus Seenot vor den Küsten Griechenlands und Italiens und weiß gleichzeitig – noch nichts ist gut für sie. Dürfen sie bleiben? Wie wird man sie behandeln? Wenn sie zurück in ihre Heimat gehen müssen, wie werden sie dort wieder Fuß fassen? Oder sich gleich noch mal aufmachen, weil ihre Rettung in Europa zu liegen scheint? Und diejenigen die bleiben können, wie werden sie ihre Rettung nach ein paar Jahren im Rückblick erzählen?
Vor einigen Jahren hatte ich im Advent Besuch von sogenannten „Taufscheinchristen“. Sie gingen in keinen Gottesdiensten, lebten aber im ständigen Bemühen gut mit sich und anderen umzugehen. Am vorgerückten Abend hatten wir plötzlich Lust, Adventslieder zu singen. Aus voller Kehle schmetterte der Bekannte: „Christ der Retter ist da!“ Ich war etwas irritiert über seine Leidenschaft an dieser Stelle. Aber er war wie beseelt und sagte: Das klingt so schön. Das ist so eine schöne Botschaft, gerettet sein. Das tut richtig gut. So sollte es sein.
Und dann kenne ich auch die Erzählung davon, dass mein Großvater gerettet wurde. Er hing mehrere Tage kopfüber in einer Gletscherspalte bis ein Hubschrauber in befreien konnte. Ich weiß, wie meine Großmutter und meine Mutter oft und oft von seiner Rettung erzählt haben und was das für sie bedeutet hat: nur so blieben sie eine Familie. Nur so gab es einen Ehemann, einen Vater, einen Freund. Nur durch diese Rettung wurden das Einkommen der Familie und die Ausbildung der Tochter gesichert. Wenn er nicht gerettet worden wäre, … - so fing meine Großmutter oft an. Sie brach den Satz immer ab. Vermutlich weil er lebte und weil die andere Variante schon allein in der Phantasie schrecklich war und lieber unausgesprochen blieb.
Wenn Jesus nicht geboren worden wäre, … wenn Sie nicht an Gott und seinen Sohn glauben würden, … was alles wäre da wirklich in ihrem Leben anders? Wie würde es sich anfühlen? Wie würden sie leben?
Oder andersherum: Wenn sie gerettet sind, … können sie es benennen, woraus oder wovor sie Christus gerettet hat oder immer noch rettet?
Diese Rettungsgeschichte, unser ganz eigene, sollten wir uns wenigstens selbst hin und wieder erzählen. Und dann klingt es plötzlich ganz anders: „Christ der Retter ist da!“
Lk 2, 15-20
Eine wunderbare Erzählung, die uns zu kritischem Verhalten und genauer Prüfung nicht nur von himmlischen Botschaften ermutigt!
Mach es wie die Hirten, könnte heißen:
- Lass dich darauf ein, wenn Engel dir begegnen wollen und tu diese Begegnung mit „der anderen Welt“ nicht ab: Als Geschwätz, Unsinn, nicht von dieser Welt, …
- Überprüfe alle Botschaften von anderen an und in deiner Realität.
- Sei nicht zu feig, dein Wissen, deine Wahrheit, dein Erkennen mit anderen zu teilen. Erzähle von dem, was dich bewegt!
- Und dann geh auch wieder nach Hause und sei bei dir selbst.
Joh 1, 1-18
Gegen Ende des Johannesprologs heißt es: „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.“ Deshalb ein paar Anregungen zu diesem Wort:
Wikipedia: „Unter Gnade versteht man eine wohlwollende, freiwillige Zuwendung.“
Die Bibel in Gerechter Sprache im Glossar zu Gnade (S. 2339): „Gnade ist Haltung und Tun. … Gottes Gnade steht für die liebevolle, umsichtige und nachsichtige Treue zu Menschen und zum Volk Israels. Diese Freundlichkeit Gottes ist von Dauer.“
Khalil Gibran: „Dass ihr unberührt bleiben möget von Trauer, unberührt vom Schicksal anderer Menschen, das wünsche ich Euch nicht. So unbedacht soll man nicht wünschen.
Ich wünsche Euch aber, dass Euch immer etwas berührt, was ich Euch nicht so recht beschreiben kann. Es heißt „Gnade“. Gnade ist ein altes Wort, aber wer sie erfährt, für den ist sie wie Morgenlicht. Man kann sie nicht wollen und nicht erzwingen, aber wenn sie Euch berührt, dann wisst ihr: Es ist gut.“
Dr. Katrin Brockmöller