Tag der Geburt / Christfest I / Weihnachten
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
1 Joh 3, 1-6 | Am Morgen: Jes 62, 11-12 Am Tag: Jes 52, 7-10 |
Am Morgen: Tit 3, 4-7 Am Tag: Hebr 1, 1-6 |
Am Morgen: Lk 2, 15-20 Am Tag: Joh 1, 1-18 |
Der erste Weihnachtstag ist traditionell die Ruhe nach dem Sturm. Wir sind sozusagen wieder „unter uns“. Ich beziehe mich hier ausschließlich auf den Abschnitt aus dem 1. Johannesbrief 3, 1-6. Inhaltlich soll das mit der Weihnachtsbotschaft verknüpft sein, das mag dann die Brücke zu den anderen Bibellesungen sein. Ich empfehle im Übrigen, die verschiedenen Übersetzungen zu Rate zu ziehen. Das schafft doch etwas geistigen Spielraum.
1. Johannes 3,1-6
Der erste Johannesbrief ist das erste von drei im NT belegten Schreiben unter diesem Namen und macht sozusagen den theologischen Aufschlag dieser Reihe. Wie beim Evangelium aus dem gleichen Verfasserkreis lässt die Sprache Auseinandersetzungen mit der damals gängigen griechisch geprägten Weltanschauung und ihren religiösen und philosophischen Strömungen erkennen. Die Kernaussage bleibt dennoch schlicht und zugleich grundstürzend aktuell, ja zeitlos:
Wir heißen nicht nur Gottes Kinder, sondern wir sind es auch.
Weihnachten ist vorbei. Die vielen Kindervespern und Gottesdienste haben dies (hoffentlich!) zum Thema gemacht: Dass die Weihnachtslegende des Lukas schlichtweg die geniale Idee der Christuserzählungen bleibt, die Johannes philosophisch auf den Punkt bringt: „Das Wort ward Fleisch und hat unter uns gewohnt“.
Christus tritt als Kind ein in die Welt, verletzlich und gefährdet wie alles Leben. Dort aber Gott zu verorten bleibt absurd und doch die Provokation schlechthin: Alle, die Gott in den Himmeln verehren, müssen sich ins einfachste Leben begeben. Die Welt, die Gott nicht kennt, wie es im johanneischen Kreis immer wieder heißt, hat hier die Anschauung: Was in der Krippe beginnt und am Kreuz seinen Ausgang nimmt, das ist der lebendige Gott mitten unter uns. Das muss uns zuerst in der Kirche neu gesagt sein.
Denn das übersieht die Welt und also auch die Kirche mit aller Macht und Zielstrebigkeit, die sie aufbringen kann. Wie soll sie es denn auch sehen? Wie soll sie denn sehen, dass sie es mit diesem Gott zu tun hat, wo über 20 Prozent der Kinder in Deutschland von der Sozialhilfe (HartzIV) leben müssen, nicht teilhaben können an dem, was wir gesellschaftlich für richtig und wichtig halten. Dass Gott dort sein Zelt aufschlägt und unter ihnen wohnen will, weil er selbst als Kind und Außenseiter in die Welt einzog? Provokation des Glaubens oder soziales Gefasel?
Kein Bildungsprogramm und keine Sozialhilfe können Kindern allein dabei helfen, sich angenommen und wichtig zu erleben. Das können nur Zuwendung und Liebe und Zuspruch. Die Erfahrungen von Respekt und Würde und Angenommensein sind kein kirchliches oder soziales Blabla, sondern Lebensbedingungen, die uns unabhängig von der Herkunft zu Menschen macht.
Dabei reden wir noch nicht von Geflüchteten, nicht von den Millionen Unterdrückten und die vom Hunger bedrohten weltweit, sie alle nah am Herzen Gottes, geliebt als seine Kinder!
Arme und Ausgestoßene füllen zu Heiligabend die Kirchen – das bleibt in den allermeisten deutschen Gemeinden wohl ein Traum, oft wohl auch ein Alptraum? Doch eben diese Botschaft zu Weihnachten bringen jedes gute Krippenspiel und alle Gesänge zum Klingen: Gott mitten unter uns, als Kind und darum nie anders als aus Liebe zur Welt, zu allen Menschen und zu seiner ganzen Schöpfung. Wie würde wohl ein Heiligabend in unserer Kirche mit denen aussehen, die unsauber und ungebildet Gottesdienst feiern, weil sie eingeladen sind, und weil ihre kindlichen Gefühle und ursprünglichen Sehnsüchte angesprochen werden, schmerzhaft vielleicht, aber doch auch heilend?
Wissen wir noch um diese Dimension des Festes der Geburt Christi? Wie würden unsere bekannten Lieder wohl klingen, wenn Menschen sie zum ersten Mal hören, sie stammelnd oder schief mitsingen: Heute geht aus seiner Kammer Gottes Held, der die Welt reißt aus allem Jammer?
Es ist Gottes Recht, das hier zum Leuchten kommt, das Recht der unbedingten Liebe zu seiner Welt. Nicht nur zur Weihnachtszeit.
Christus ist mit Heiligabend (und Ostern) für immer in unsere Welt eingezogen. Diese Christuswirklichkeit, aus der heraus z.B. Dietrich Bonhoeffer seine Ethik entfaltet, bleibt für uns das große Geheimnis des Lebens. So unergründlich dieses Geheimnis ist und bleibt, so hat es doch für immer den Namen und die Geschichte, aus der heraus alles geschieht und auf das alles hinausläuft: Christus. Auch wenn wir ihn kennen, sind wir doch von uns aus nicht in der Lage zu sehen, was der 1. Johannesbrief uns vor Augen führt: Dass wir Kinder Gottes sind! Es muss uns gesagt werden. Niemand kann sich selbst zusagen, Kind Gottes zu sein. Es ist immer peinlich, das einfach so von sich zu behaupten.
Doch wo es uns zugesagt wird, wird alles anders. Wie Paulus sagt: Ist jemand in Christus, so ist sie oder er eine neue Schöpfung! Neues ist geworden.
Da wird dann auch die Sünde nicht tabuisiert.
Es ist für uns Heutige schwer geworden, nach fast 2000-jähriger kirchlicher Verballhornung des Sündenbegriffs noch einen Zugang zu dem zu finden, was gemeint ist. Hier kann gerade dieser Abschnitt eine Hilfe sein, denn die Sprache ist einfach, klar und herausfordernd.
Johannes weist sehr konkret auf die Hoffnung hin, die unser Leben bestimmt: Christus, der uns sehen wird und uns in seine Heiligkeit mit hineinnimmt. Weil dies unser wahres Leben ist, haben wir allen Grund, der Sünde zu widerstehen.
In diesem Zusammenhang fällt der Begriff des Unrechts (Luther 2017) bzw. der Gesetzwidrigkeit (Einheitsübersetzung) oder Auflehnung gegen Gott (Neue Genfer Übersetzung).
Es ist entgegen aller leichtfertiger Auslegung festzuhalten, dass der Text sagt: Wer Sünde tut, tut Unrecht und: die Sünde ist Unrecht (nicht umgekehrt). Logischerweise ist jede Gleichung auch in Gegenrichtung gültig. Doch mit der Aussage wie Johannes sie trifft, ist klar: Es ist und bleibt die Sünde, die Unrecht hervorruft und Leben zerstört. Alle Sünde ist Unrecht, weil sie Gottes Recht der Liebe und des unbedingten Lebenswillens verneint.
Jesus ist erschienen, um die Sünde der Menschen wegzunehmen. Das ist wohl eine der schlichtesten und zugleich kräftigsten Aussagen, die die Bibel zu bieten hat. In diesem Satz scheint die verborgene Dimension des Glaubens hervor. So sagt der Johannesbrief denn auch nur folgerichtig, dass wir noch nicht wissen, wer wir sein werden. Wir hoffen, was wir (noch) nicht sehen können. Als freie Menschen, die auf Erfüllung allen Lebens warten.
Weihnachten hat mit dem Kind zu tun, und darum mit allen Kindern. Das ist deshalb so wichtig, weil wir alles, was wir als Kind erfahren haben, im Leben so oder so weiterführen. Nicht die bloße (und banale) Feststellung, dass Kinder unsere Zukunft sind, ist hier im Blick, sondern zunächst der Raum, den wir dem Kind in uns selbst geben, unsere Sehnsüchte und Hoffnungen, unsere Bilder und Wünsche, die uns insgeheim bestimmen. Es hat etwas mit dem urkindlichen Vertrauen zu tun, das bei uns allen irgendwann infrage gestellt wird. Dieser Vertrauensbruch verstört uns tief. Es entspricht eben jener Auffassung der Sünde, dass solche Brüche im Leben und Abbruch des Vertrauens nie zu vermeiden sind. Auf diesem Hintergrund erhält auch der Begriff „Heiland“ neuen Sinn.
In den Wochen, in denen diese Zeilen entstehen, ist die Ehe für alle im Bundestag beschlossen worden. Ein nachhaltiger Konfliktpunkt, auch in unseren Kirchen. Was kann sich alles ändern, wenn wir nur einmal bereit wären, die Verletzungsgeschichte derer in den Blick zu nehmen, die wegen ihre sexuellen Orientierung jahrzehntelang ausgeschlossen, erniedrigt oder zumindest mitleidig beäugt wurden und zum Teil noch werden? Wie sähe das aus unter uns, wenn jene Hoffnung auf das, was wir sein werden, uns leitet? Wir sind alle immer und überall als unvollständige Menschen unterwegs, aber eben als die, denen die Kindschaft zugesagt ist? Hier ist der wahre Grund unserer Gemeinschaft sichtbar. Toleranzgedanken oder moralische Appelle mögen noch dazu kommen, doch die Christuswirklichkeit umschließt uns alle von Anfang an, ohne Ansehen der Person.
Noch ein weiteres, was wir in eben diesen Tagen im Juli erleben sei angemerkt: Der G20 Gipfel ist vor allem durch seine Krawalle als Feld der Herausforderungen in den Fokus gerückt. Wir haben uns in der Szene und als kritische Bürger selbstverständlich gegen diesen Gipfel aufzustellen und (fast) alle Aktionen gegen G20 gutgeheißen. Christenmenschen, die ökumenisch unterwegs sind, werden die meisten vernichtenden Analysen über die Armut, das Unrecht und die zerbrechende Weltgemeinschaft teilen. Angst macht sich breit im Blick auf die Zukunft in Europa und weltweit, gerade auch im Blick auf die kommenden Generationen.
Und dennoch: die Gleichung „Mächtige gegen Zivilgesellschaft“ (und umgekehrt) ist oft schlicht zu einfach. Protestaktionen sind ein wichtiger Teil der demokratischen Willensbildung. Aber jenes Wissen um die Sünde, um die gemeinsame Verstrickung ins Unrecht - und vor allem um die Vorläufigkeit unseres Lebens - müsste uns doch gesprächsbereiter und klarer zugleich werden lassen. Weil wir noch nicht wissen was wir sein werden, aber auf das Neue hoffen und dahin unterwegs sind, fordern wir die heraus, die keine Veränderung wollen, ermutigen alle, die noch zögern und stellen uns denen in den Weg, die menschenverachtend und rassistisch unser Leben dominieren und uns ausgrenzen wollen, übrigens links wie rechts.
Es bleibt immer der Versuch, im Unvollständigen und Vorläufigen den Blick auf die Zukunft wieder zu finden. Darum beginnt der Abschnitt auch mit jenem alten und bedeutungsvollen: „Seht“. Es entspricht dem oft gehörten „Siehe“, mit dem so viele Verheißungen beginnen, so wie der erste Schöpfungsbericht alles zusammenfasst: Siehe, es war sehr gut! Und hier bei Johannes: Seht, welche Liebe Gott uns erwiesen hat(!), dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und es auch sind.
Das reicht, immer und für alle Zeiten. Bis nicht mehr in Frage steht, was wir sein werden.
Solange sind wir unterwegs, voller Angst und oft ohne Mut, aber doch nie ohne Hoffnung.
Martin Domke, Herne