Tag der Geburt / Christfest I / Weihnachten (25.12.20)

Tag der Geburt Christi / Christfest I / Weihnachten

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Jes 52,7-10 am Morgen: Jes 62, 11-12
am Tag: Jes 52, 7-10
am Morgen: Tit 3, 4-7
am Tag: Hebr 1, 1-6
am Mo.: Lk 2, 15-20
am Tag: Joh 1, 1-18

Tag der Geburt Christi / Christfest I / Weihnachten: „Und Frieden auf Erden!“

Die Verfasserin betrachtet zum einen den Text Jes 52, 7-10, der als evangelischer Predigttext und als 1. katholische Lesung am Tag vorgesehen ist, und die Textpassage der Hirten aus dem Weihnachtsevangelium des Lukas, Kapitel 2, 15-20, im katholischen liturgischen Kalender das Evangelium am Morgen.

Jesaja 52, 7-10

„Diese Friedensbewegten sind weltfremd! Sie sind TrĂ€umer, die die RealitĂ€t nicht sehen.“
Diese Worte waren in den vergangenen Jahren hĂ€ufig zu hören. Die kirchlichen Friedensworte der Jahre 2018 und 2019 seien realitĂ€tsfern, radikal, je geradezu illusorisch, wenn sie von einem „Paradigmenwechsel vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden“ sowie von der „prima ratio der Gewaltfreiheit“ (Friedenswort der EKiR, Kapitel 5, S. 13; vgl. auch die Kundgebung der 12. Synode der EKD auf ihrer 6. Tagung „Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens“, Kapitel 1, S. 2f.) sprechen. Gewaltfreiheit schaffe einen rechtsfreien Raum, aber nicht Frieden, denn fĂŒr Frieden brauche es StĂ€rke, um sich selbst zu behaupten und andere von Handlungen der Gewalt abzuschrecken. Ohne Gegengewalt habe die Gewalt freien Raum und breite sich aus.
Friedensleute sind weltfremd. Sie sind TrÀumer, die die RealitÀt nicht sehen, ja: nicht wahrhaben wollen. Oder?

545 v. Chr. Seit Jahrzehnten – es gab drei Exilierungswellen aus JudĂ€a im Zeitraum 597-582 – sind große Teile des jĂŒdischen Volkes im Exil in Babylon. Darunter auch Propheten. Tief sitzt dem Volk die Erfahrung von Krieg in den Knochen, sie sind Spielball der GroßmĂ€chte geworden, haben am eigenen Leib die Zerstörung der Stadt Jerusalem inklusive des Tempels im Jahr 587, Vertreibung und Verschleppung in ein anderes Land erlebt.
Der Prophet „Deutero-Jesaja“ kennt als einer der Exilierten die Geschichte und das Ergehen seines Volkes. Aber im Zentrum seiner VerkĂŒndigung steht die Hoffnung. Und dabei geht es ihm nicht um die Hoffnung, die in Zukunft kommen wird, sondern er besingt die Hoffnungswelt, wie sie bereits RealitĂ€t ist: die Verben der Verse 9b und 10a stehen im Perfekt! Der Prophet singt eschatologische Hymnen, mit denen er dazu aufruft, bereits jetzt in Lob und Freude ĂŒber Gottes Heil mit einzustimmen.

Ja, Friedensleute sind TrĂ€umer! Sie beginnen bereits heute, die Welt Gottes wahrzunehmen und friedliches Miteinander zu leben. Sie machen nicht mit bei dem Wettkampf, wer der StĂ€rkere ist und lassen sich nicht verfĂŒhren, Gewalt einzusetzen.
Friedensleute sind TrĂ€umer. Denn sie stimmen nicht mit ein in die Klage „So ist es eben. Man kann ja doch nichts Ă€ndern.“ Sie beginnen, den Traum zu leben und in die Tat umzusetzen. Ganz konkret hat die Arbeitsstelle Frieden der Badischen Kirche das Konzept „Sicherheit neu denken“ entwickelt. Sicherheit kann anders, kann neu gedacht und umgesetzt werden. Es ist eine Frage des Wollens!
Friedensleute sind TrĂ€umer. Sie nehmen eine neue Wirklichkeit vorweg. Sie besingen mitten in der Fremde und in der Not die FĂŒĂŸe des Freudenboten, der Frieden verkĂŒndigt. Sie sind fröhlich und jubeln mitten in den TrĂŒmmern. Denn sie wissen, dass Gott der Herrscher ist. Er selbst sitzt auf dem Thron, nicht die MĂ€chtigen, nicht die GroßmĂ€chte, nicht die Sieger. Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, er ist der „König“ der Welt. Und damit ist das Heil mitten in der Welt. Das Heil, das sich in einem der kleinsten und schwĂ€chsten aller Völker offenbart und in einem Kind in der Krippe. Wie trĂ€umerisch ist das denn!

Und: Nein, es ist nicht weltfremd, fĂŒr den Frieden einzustehen, Frieden zu verkĂŒndigen. Der Prophet steht mitten in der Welt. Er kennt Not und Elend, Verschleppung und Gewalt. Mitten in der Not und im Elend der Welt singt er das Lied vom Frieden. Mitten im Krieg hört er die Schritte der Freudenboten, die Frieden verkĂŒndigen.
Die Friedensbotschaft ist nicht weltfremd. Sie steht der Gewalt in der Welt entgegen, schafft mitten in der Wirklichkeit der Welt den Anfang einer neuen Welt. Sie trotzt den RealitĂ€ten: Friedensengagement macht stark, denn sie ist das „Trotzdem“ gegen eine RealitĂ€t, die menschen- und lebensfeindlich ist. Friedensengagement setzt sich den zerstörerischen KrĂ€ften von Gier und Neid entgegen, wehrt sich gegen die Gewalt der MĂ€chtigen gegenĂŒber den OhnmĂ€chtigen und deckt ungerechte Strukturen auf und prangert sie an.

Der Bibeltext ruft auf zu einem Friedensengagement, das mitten in der Welt eine neue Welt ertrĂ€umt und – trotz allem – nicht davon ablĂ€sst, sie in die Tat umzusetzen.

Lukas 2, 15-20

Der Vers vor diesem Bibeltext verrÀt seine zentrale Botschaft: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens (Lk 2,14). Die Weihnachtsgeschichte jagt dem Frieden nach und lÀsst erahnen, dass gesellschaftliche Teilhabe und eine VerÀnderung der MachtverhÀltnisse möglich sind.

Die Engel waren ausgerechnet zu den Hirten gekommen: Zu denen „draußen auf dem Feld“, denjenigen, die rund um die Uhr gefordert waren, harte und auch gefĂ€hrliche Arbeit kannten und meist als Nomaden ohne festen Wohnsitz lebten. Leben am Rande der Gesellschaft, soziale Spaltungen, eine große Schere zwischen Arm und Reich - das waren schon damals zentrale Probleme.

Es ist wohl kein Zufall, dass die Engel zu den Hirten kamen: viele andere hĂ€tten wohl die Engel ĂŒberhört mit ihrem Gesang - dazu ist ihr Alltag viel zu laut und zu hektisch. Andere hĂ€tten sie nicht wahrgenommen, da es in ihrem Leben so viel Wichtigeres gibt als den Gesang von Engeln. Andere hĂ€tten die Botschaft womöglich nicht geglaubt, die Erscheinung von Engeln und die Rede von einem neugeborenen König fĂŒr einen Traum gehalten.

Die Hirten aber hören genau hin. Denn das können sie: in die Stille lauschen, zuhören, GerÀusche wahrnehmen und deuten. Sie sind sich nicht zu schade, den Worten, die wie ein Traum zu ihnen kommen, zu glauben. Und die Hirten reagieren, sie handeln. Sie kennen aus ihrem Alltag, dass es nichts hilft, nur zu hören und zu reden. Sondern wenn es darauf ankommt, dann muss man handeln, und zwar jetzt und sofort.
Also machen sie sich auf. Sie kennen sich ja aus mit neuen unbekannten Wegen. Sie kennen sich aus damit, Probleme zu lösen und Herausforderungen zu meistern. Ihnen ist es auch das Suchen sehr vertraut. Sie haben besondere Kompetenzen, die genau in diesem besonderen Augenblick von zentraler Bedeutung sind.

Und dann finden sie den Stall mit dem Kind in der Krippe. Sie sind als erste bei dem Heiland, dem neugeborenen König. Auf einmal drehen sich die VerhĂ€ltnisse um: Der König liegt in einer Krippe - und die Hirten, die Menschen am Rande der Gesellschaft, sind die ersten, die ihn begrĂŒĂŸen. Das Wort Jesu aus Lk 13,30: „Letzte werden die Ersten sein“ bewahrheitet sich hier ebenso wie beim großen Abendmahl (Lk 14, 15ff.).

Die Hirten verbreiten, was sie gehört und gesehen hatten. Die Hirten verkĂŒndigen, dass der Messias geboren ist, der Heil bringen wird. Die Hirten sind die Prediger des Friedenswortes, denn sie haben am eigenen Leibe erfahren, dass sich die VerhĂ€ltnisse umkehren und neu geordnet werden können. Frieden auf Erden ist möglich, wenn gesellschaftliche VerhĂ€ltnisse durchlĂ€ssig werden, wenn Könige im Stall geboren werden und Hirten die ersten und Wichtigsten sind. Gesellschaftliche VerhĂ€ltnisse können sich Ă€ndern, wenn auch die anderen Kompetenzen zĂ€hlen, die leisen und vorsichtigen: Zeit haben, hören, und staunen, Unglaubliches fĂŒr wahr halten und sich auf den Weg machen. Hirten verkĂŒndigen das Heil, das eine Gesellschaft nicht aufteilt in „die einen“ und „die anderen“, sondern in der alle gebraucht werden und alle wichtig sind. Die Hirten der Weihnachtsgeschichte sind Botschafter des sozialen Friedens, nicht nur damals, sondern auch heute.

Martje Mechels, Moers