Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr / 33. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
2 Kor 5,1-10 | Dan 12, 1-3 | Hebr 10, 11-14.18 | Mk 13, 24-32 |
2 Kor 5,1-10
Stellung im Kirchenjahr
Am Ende des Kirchenjahres liegen Nachhaltigkeits-Themen nicht stark im Fokus. Der November als Trauer-Monat ist gekennzeichnet von Fragen der Vergänglichkeit, von Schuld und Buße. Diese werden meist im Zusammenhang der individuellen Trauer und der eigenen Sterblichkeit gestellt. Der vorletzte Sonntag im Kirchenjahr schlägt als Volkstrauertag hier eine Brücke zur kollektiven Trauer und kollektiven Verantwortung. Aus der Trauer um die Kriegstoten zweier Weltkriege erwächst die Verantwortung zur Erinnerung an die Opfer und die Verpflichtung zum „Nie wieder!“ Gleichzeitig stehen wir zu Beginn des 3. Jahrzehnts des 3. Jahrtausends in der Situation, dass die letzte Generation verstirbt, die den Krieg noch persönlich erlebt hat. Die Kriegszeugen in den Familien sterben aus, das Erinnern ist zwar noch ein kollektives, aber kein persönliches mehr.
Deshalb steht der Volkstrauertag vor der Herausforderung, zu einer inhaltlichen Gestaltung zu finden, in der er auch in Zukunft noch als Tag kollektiver Trauer und kollektiver Verantwortung wahrgenommen werden kann. Die Kirchen hatten bisher einen wichtigen Beitrag wahrgenommen, in dem sie den Charakter als Trauertag für alle Opfer der beiden Weltkriege und nicht als „Helden-Gedenken“ nur für die gefallenen deutschen Soldaten betonten. Für die Zukunft des Volkstrauertages kann es die Verantwortung der Kirchen sein, auch die gegenwärtigen Kriegsopfer und unsere aktuelle Verstrickung in Zusammenhänge von Krieg, Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu thematisieren.
Exegetische Überlegungen
Zusammen mit 2 Kor 4,1-16 geht es in diesen Versen um die Gegensätze zwischen innerlich und äußerlich, zeitlich und ewig, sichtbar und unsichtbar. Paulus verwendet dazu die Bilder vom Haus (Hütte, Zelt) und vom Kleid. Von beidem gibt es jeweils eine irdische und eine himmlische Form. Wenn Paulus davon spricht, dass wir von der neuen Behausung „überkleidet“ werden (V.2) und das Sterbliche vom Leben „verschlungen“ wird (V. 4), deutet dies darauf hin, dass er darauf hofft, nicht erst zu sterben und dann aufzuerstehen, sondern direkt von Gott in das „neue Sein“ überführt zu werden und „daheim zu sein beim Herrn“ (V. 8).
Sowohl vom irdischen als auch vom himmlischen Sein spricht Paulus in materiellen Bildern, es gibt also nach seiner Überzeugung auch eine materielle Existenz beim Herrn. Also gibt es hier sowohl eine Diskontinuität wie auch eine Kontinuität. Dies mildert den starken Dualismus beider Seins-Formen, der auch aus seinen Worten spricht. So ist es trotz der Gegensätze zwischen irdischer und himmlischer Existenz in beiden Seins-Formen (daheim und in der Fremde) nötig, das zu tun, was Gott gefällig ist und sich der Verantwortung vor Gott bewusst zu sein (V. 10).
Das Bewusstsein unserer Vergänglichkeit enthebt uns also nicht der Verantwortung, in der vergänglichen Welt für die vergängliche Hütte und das vergängliche Kleid zu sorgen. Dies kann man als einen nachhaltigen Umgang mit dem eigenen Leib als individuelles Haus und der Erde als gemeinsames Haus beschreiben.
Predigtideen zur Nachhaltigkeit
- „Das letzte Hemd hat keine Taschen“, heißt es häufig. Das, was unser Leben hier materiell ausmacht, zählt nicht, wenn wir „offenbar werden müssen vor dem Richterstuhl Gottes“. Oft wird uns das schon vorher bewusst: Wenn man zum Ruhestand in eine kleinere Wohnung umzieht oder ins Seniorenheim geht, überlegt man sich, was man wirklich braucht, was man verschenken kann, aber auch, was von einem bleiben soll.
- Manche entscheiden sich auch früher für ein möglichst ballastarmes Leben. Sie misten aus, bemühen sich um eine „minimalistische Lebensweise“, leben z.B. in Tiny Houses. Sie versuchen, möglichst wenige Ressourcen zu verbrauchen und Werkzeuge o.ä. auch miteinander zu teilen (share economy). Denn Eigentum verpflichtet auch, kostet Geld und Energie, muss gepflegt und aufgeräumt werden. Anschaffungen und Besitz zu reduzieren ist nachhaltig in Bezug auf das eigene Leben, die eigenen Nachkommen und auch in Bezug auf das Haus, in dem wir alle gemeinsam leben.
- Der Dualismus von Irdischem und Himmlischen kann zu einer Abwertung des Irdischen und damit zu einer nicht besonders nachhaltigen Sicht- und Lebensweise führen. Kulturgeschichtlich hat besonders auch die Gleichsetzung irdisch – leiblich – weiblich – schwach zu einer negativen Bewertung der Frau geführt. Inwieweit die Überhöhung des Männlichen im Gegenzug Kriege und einen ausbeuterischen Umgang mit den irdischen Ressourcen begünstigt hat, könnte anlässlich des Volkstrauertages beleuchtet werden.
- Eine ganzheitliche Sicht auf die „irdische Hütte“, aus der wir uns einerseits seufzend hinaussehnen, für die wir andererseits verantwortlich sorgen sollen, ist in der paulinischen Schöpfungs- und Inkarnationstheologie angelehnt. Gott hat sich ganz in diese von ihm geschaffene irdische Welt hineinbegeben, ist ein Teil von ihr geworden, um sie zu erlösen.
- Wie kann ein Umgang mit unserer „irdischen Hütte“ aussehen, der das Materielle einerseits als vergänglich begreift und sich nicht daran hängt, andererseits ihm aber mit Wertschätzung begegnet, Verantwortung übernimmt und es für nachfolgende Generationen bewahrt? Beispiele von Menschen, die sich für ein minimalistischen Lebensstil entschieden haben, können hier helfen. Auch der Zusammenhang von Ressourcenverschwendung, Raubbau an der Erde und Krieg kann zum Volkstrauertag auf unsere individuelle und kollektive Verantwortung hinweisen. Positive Beispiele zur Verantwortungsübernahme können ergänzen. Auch das Bild des „Kleides“ kann in Richtung faire Kleidung, minimalistische Garderobe, „Grüner Knopf“, Lieferkettengesetz, als ein Beispiel für individuelle und kollektive Verantwortung entfaltet werden.
Mk 13, 24-32
Der Text vom „Kommen des Menschensohnes“ weist wenig Bezug zur Nachhaltigkeitsthematik auf. Das ganz Andere, unerwartet Hereinbrechende wird hier betont.
Vieles wird davon abhängen, wie präsentisch für den Prediger die Rede vom „Kommen des Menschensohnes“ ist und wie der Zugang der feiernden Gemeinde dazu aussehen kann. Ich würde es als Vision deuten, die weniger konkrete Endzeitansage ist, sondern Gottes Willen für seine Welt jetzt und in Zukunft ins Bild setzt.
Der Aufruf zur Wachsamkeit schließt dann den Aufruf zur Verantwortung ein. Ebenso wird deutlich, dass dies ein Geschehen ist, welches nicht nur einzelne Individuen, sondern alle betrifft und erfasst. Hier könnte ein Bogen zur kollektiven Verantwortung und dem Volkstrauertag gezogen werden. Ein Bezug könnte auch sein, dass Krieg dem Bild aus V. 27 entgegen steht, nach welchem die Auserwählten Gottes von allen Enden der Erde, d.h. aus allen Nationen, versammelt werden. Die Menschheit als große Schicksalsgemeinschaft hat Verantwortung füreinander und Verantwortung vor Gott. Aktuelle Zeichen in Natur und Umwelt wie z.B. Klimawandel können dann als Zeichen dafür gedeutet werden, dass es nötig ist, Verantwortung zu übernehmen und wachsam zu sein.
Charlotte Weber, Erfurt