1. Adventsonntag (28.11.21)

1. Adventsonntag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Jer 23, 5-8 Jer 33, 14-16 1 Thess 3, 12 - 4, 2 Lk 21, 25-28.34-36

 

Vorbemerkung

Advent wird als Zeit der Erwartung empfunden: die Kinder warten auf Geschenke am Heiligen Abend. Die Älteren hoffen auf Familien-Tage und eine Zeit der üppig ausgestalteten Ruhe nach den Wochen des Advents; diese Wochen forcieren gerade die Geschäftigkeit und das Abhaken von Punkten auf der auf einer langen To-do-Liste. Denn was man erwartet, muss man sich zuweilen selbst vorbereiten. Die Früchte, die man unter dem Tannenbaum erntet, wollen zuvor gesät sein.

Gegen eine gute Vorbereitung ist prinzipiell nichts zu sagen – wenn denn dabei die andere, die offene, die zwar verlässliche, aber doch unkalkulierbare Erwartung nicht verloren geht. Um dieses Zusammengehen dessen, was wir selbst tun und was uns von woanders her in die Hände und Herzen gelegt und vor Augen gestellt wird, könnte es an diesem 1. Advent gehen. Denn: Handeln für Nachhaltigkeit benötigt gerade diese beiden Aspekte zusammen, wenn sie nicht einerseits in sinn- und herzlosen Aktivismus oder aber andererseits in von unserer Lebenswelt abgetrennte Träumereien abgleiten will.


Jer 23,5-8 & Jer 33,14-16

In diesem Jahr haben in Jer 23 und 33 die evangelische und die römisch-katholische Kirche fast identische Texte vorgeschlagen: eine Dublette im Jeremia-Buch, die wohl weniger ein Versehen des antiken Autoren-Konsortiums ist als vielmehr das Gesagte betonen soll.

Denn Jeremia wusste immer wieder in grellen Farben das moralische Elend seiner Zeitgenossen auszumalen. Der scharfsinnige politisch-moralische Analytiker und wortgewandte Kommentator aus der Sicht dessen, was ihm aus seinem Glauben aufgegangen war, hat seine Zeitgenoss:innen nicht darüber im Unklaren gelassen, wie er die Dinge sah. Geholfen freilich hat das nicht immer, und auch die beschwichtigenden Reden anderer führender Stimmen bereiteten nur die nächste Katastrophe vor („sie sagen allen, die im Starrsinn ihres Herzens wandeln: Es wird kein Unheil über euch kommen“, Jer 17). Manchen, auch in einer Kirchengemeinde, die teils seit Jahren und Jahrzehnten zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung arbeiten, ist diese prophetische Erfahrung sicher nicht unbekannt.

Die Formulierung einer großen Erwartung, nämlich eines mit Recht und Gerechtigkeit regierenden Königs, der hilft und sicher wohnen lässt, könnte jedoch zweifach missverstanden werden: entweder als der eschatologisch verkappte Ruf nach einem starken Mann, oder aber als der letzte theologische Kniff eines ausgelaugten Dauermahners. Recht verstanden aber geht es um beides nicht: Denn bei aller innerweltlichen Dummheit und Trägheit oder auch Einsatzbereitschaft und Schläue sind wir doch angewiesen auf etwas, was von uns, unseren Fertigkeiten und Gefühlen weglenkt, über uns hinaus geht und nicht nur unseren Blick auf die Dinge, sondern uns selbst weitet. „Gott ist unsere Gerechtigkeit“. Sie liegt in einem anderen. Nicht in unserer Rechtschaffenheit – denn dann würden wir uns wohl überschätzen – und ebenso wenig in frommer Gesinnungstreue – denn dann wäre der Glaube nicht mehr als ein penibel zu beachtendes Regelwerk. In der Art wie wir uns selbst sehen, auch in allem Engagement, können wir uns gewisser machen lassen durch den Blick Gottes auf uns. Der Blick verheißt Liebe, Trost, zuweilen Begeisterung, und lässt uns wissen, dass wir an seiner Gnade genug haben.

Und ein Letztes bedeutet der Davidide: Wir sollten stets damit rechnen, dass es mehr gibt unter Gottes Himmel als unsere Hoffnungen und Enttäuschungen. Wir sollten offen sein für die Überraschungen Gottes, ihn auch dort treffen zu können, wo wir ihn nicht vermuteten. Es kann sein, dass wir nachher fragen, wo wir Gott hungrig sahen und ihm zu essen gaben (Mt 25,35), unsere Hoffnung also schon da ist! Es kann sein, dass wir das nicht mitbekommen, aber wir können sicher sein, dass es so kommen wird. Vielleicht heute.

1. Thess 3,12-4,2

„Werdet darin noch vollkommener!“, schreibt uns der Apostel. Das erinnert an elterliche Ermahnung, unschöne Episoden in der Schule oder Forderungen am Arbeitsplatz. Die Disziplin, um die es geht, ist grundsätzlich, nämlich wie wir leben müssen. Das Große und Ganze also. Das dürfte auch ein Thema pädagogischer Bemühungen für mehr Nachhaltigkeit sein. Sachkenntnis, ein gewisses politisches Verständnis, Problemlösungskompetenz und anderes mehr angesichts ganz grundsätzlicher Themen des Überlebens der Menschheit können einen ganz schön aus der Puste kommen lassen. Die sich auf diesem Gebiet engagieren, stoßen möglicherweise auch daher auf Lethargie oder wenig Motivation. Das Thema scheint so groß und so viel, lohnt es sich denn überhaupt anzufangen? Ist das nicht aussichtlos?

Vielleicht ist es ein guter Rat, Paulus zu folgen und zu sagen, um was es denn bei all dem eigentlich geht: dass wir reich werden in der Liebe zueinander und zu allen! Ich würde mit Röm 8 ergänzen: auch zu allem! Dazu kann man gern wissen, dass Gott das macht, wie der Apostel schreibt, denn Liebe ist nur dann Liebe, wenn sie nicht als solitäre Fähigkeit und Eigenschaft verstanden wird. Vielmehr ist sie eine Beziehung, die zwischen Gott und Mensch, Mensch und Mensch, Mensch und Natur sich je ereignet. Und dazu kann man auch gern wissen, dass das nicht mit einem Mal da ist, sondern man kann darin vollkommener werden und wachsen. Wie alle Fertigkeiten ist das etwas, was man nicht lernt, wenn man nur darüber redet. Man muss es (aus)üben. Im Fall der Liebe wird dann eben keine Fähigkeit daraus, über die ich verfüge, sondern es ist ein Einleben, ein Eingrooven in ein getröstetes und dann vielleicht unbekümmertes Liebes-Leben. All die eingangs genannten Fähigkeiten für mehr Nachhaltigkeit stehen dahinter zurück, auch wenn sie dringend notwendig sind. Aber sie finden sich bei jeder und jedem anders, da dürfen wir ganz sicher sein.

Lk 21,25-28.34-36

Naheliegend, aber auch wohlfeil ist es, wenn man angesichts dieser apokalyptischen Motive an das europäische Hochwasser im Juli 2021 denkt. „Toben und Donnern des Meeres“ und die „erschütterten Kräfte des Himmels“ sind hier Begleiterscheinungen des Erscheinens des Messias, der sich uns abschließend offenbart. Für eine heute angemessene und weiterführende Nachhaltigkeits-Mentalität ist jedoch an diesem Text aufregend, dass das Erscheinen des Messias und die uns nahekommende Erlösung diese alle Welt bewegende Gestalt bekommt. Wenn das passiert, dann kann die ganze Schöpfung nicht abseits stehen, nicht ruhig bleiben oder das „business as usual“ pflegen. Da muss die ganze Schöpfung ordentlich Radau machen. Ähnlich lesen wir das auch im Jesaja-Buch, dass nämlich „Berge und Hügel vor euch frohlocken sollen mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen“ (Jes 55,12). Schöpfungsgemeinschaft ist hier auch Aufmerksamkeits- und Freuden-Gemeinschaft. Aber Aufmerksamkeit für die Offenbarung Gottes ist eben nicht nur ein Wohlfühl-Seminar, sondern man darf auch sagen, dass durch sie ein paar Dinge klar gestellt werden. Übrigens ahnen wir nur, welche es sein werden.

Wenn schon die Gestirne, der Himmel und das Meer ihren deutlichen Beitrag leisten, dann sollten wir nicht hintan stehen. Alkohol-Rausch und die Sorgen des Alltags, die hier interessanterweise in einem Atemzug genannt werden, können einen ganz unschön davon abbringen, das Wesentliche zu erfassen. Solche und andere Mechanismen, die die Aufmerksamkeit ersticken, sind damit entlarvt. Mir würde noch einfallen, dass Menschen in den Kasuistiken der Problemlösung, im Klein-Klein durchaus notwendiger Geschäfte die große Linie verlieren – und damit die Lust an den Themen und dem Zutrauen in das eigene Tun. Der Evangelist wirbt dagegen dafür, sich diese Lust auf die Offenbarung zu erhalten, eben da zu sein, wenn es passiert. So sang es vor einigen Jahren auch die Band „Wir sind Helden“: „Ein, ein Blitzschlag nur für mich / und die, die bei mir sind. / Wer jetzt zweifelt, sieht nicht klar. / Ganz egal, wie viel davon die Zeit sich nimmt, / wer jetzt blinzelt, war nicht da. … Ich will da sein, / wenn die Zeit gefriert. / Ich will da sein, / wenn sie explodiert. / Und wenn sich dabei / mein Verstand verliert. / Ich will da sein, / wenn es passiert.“

Dr. Thomas Schaack, Kiel 

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