Reminiszere / 2. Fastensonntag (13.03.2022)

Reminiszere / 2. Fastensonntag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Mt 26,36-46 Gen 15, 5-12.17-18 Phil 3, 17 - 4, 1 oder:
Phil 3, 20 - 4, 1
Lk 9, 28b-36


Ich schreibe diese Gedanken im Juni 2021. FĂŒr Predigten in der Fastenzeit 2022. Es fĂ€llt mir schwer. Zu turbulent waren die letzten beiden Jahre mit der Pandemie, den VerĂ€nderungen, EinschrĂ€nkungen und Verwerfungen. Auch und gerade fĂŒr das gottesdienstliche Leben der beiden großen Kirchen in Deutschland. Und wie wird es sein, in neun Monaten? Wie wird die „neue NormalitĂ€t“ aussehen? Der Weg zurĂŒck ist verschlossen, der Weg in die Zukunft – unklar. Zu viel hat sich verĂ€ndert, oder anders gesagt, es hat sich an vielen Stellen in unserem persönlichen wie gemeinschaftlichen Leben mehr oder weniger viel verĂ€ndert. Wie sich das alles im Zusammenspiel auswirken wird? In Arbeitswelt und Wirtschaft sind viele unruhig und schauen mit Bangen nach vorn. Planen, investieren auf Jahre hinaus, wer wagt das?

Corona hat die Klimakrise nur wenig in den Hintergrund treten gelassen, nach und nach kommt sie wieder verstĂ€rkt ins Bewusstsein. Die EU-Kommission hat ihren „Green new Deal“ auf den Weg gebracht, im September sind Bundestagswahlen, wer wird Deutschland in der Fastenzeit 2022 regieren und mit welchem Programm? Mit wie viel nachhaltigem Profil? Und wie weit stellen sich die beiden Kirchen in ihren Organisationen hier neu auf? Fastenzeit, eine Zeit des Innehaltens. „Sieben Woche ohne
“ heißt es in dieser Zeit in evangelischen Kirche, das Motto fĂŒr 2022 steht noch nicht fest.

Mt 26,36-46

Jesus betet im Garten Gethsemane. Eine dunkle Nacht, er fĂŒhlt sich allein gelassen. Ob er in seiner Angst die Schönheit des nĂ€chtlichen Gartens wahrgenommen hat? Die Dunkelheit und die Schatten, vielleicht das Zirpen von Grillen, das Rascheln der BlĂ€tter oder von kleinen Tieren, die im Schutz der Nacht unterwegs sind? Den harten Boden, das weiche Gras, die Rinde des Baumstamms? Hat er in seiner Angst den Schmerz und die Wehmut des Abschieds in dieser Umgebung noch fĂŒhlen können? Die funkelnden Sterne, den Mond, die DĂ€mmerung des kommenden Morgens? Oder war all das ĂŒberlagert von dem Gedanken an den morgigen Tag, von der Angst vor Folter und Tod? Menschen nehmen oftmals in Krisenzeiten ihre Umgebung intensiver wahr. Warum ging Jesus in dieser Nacht in einen Garten, mitten in der Stadt? Warum verbrachte er die Nacht nicht in einem Haus oder verließ Jerusalem noch einmal? Die Schönheit der Schöpfung, die NĂ€he zum Schöpfer und zu seinen Geschöpfen nehmen Menschen in einem Garten besonders wahr. Erinnerung an den Paradiesgarten? An die wohlgeordnete Natur, an eine Natur, mit der ich hier im Einklang lebe? Es macht so oft Sinn, den Kontext einer Begebenheit, eines Textes, einer Geschichte mit in den Blick zu nehmen. Ein nĂ€chtlicher Garten in der Großstadt ist der Ort, den Jesus fĂŒr die letzte Nacht seines Lebens wĂ€hlt. Warum?

Gen 15, 5-12.17-18

Gott schließt einen Bund mit Abraham und seinem Volk, verspricht ihm zahlreiche Nachkommen. Die Hoffnung auf eine gute Zukunft fĂŒr die eigenen Nachkommen hat Menschen immer bewegt. Vielfach war sie auch Antrieb – nicht nur das eigene Leben sollte leichter, schöner, angenehmer werden, sondern auch das der Kinder und Kindeskinder. Der Drang nach Fortschritt hatte auch hierin einen wesentlichen Antrieb. In den letzten Jahrzehnten ist diese Hoffnung nach und nach brĂŒchig geworden. „Ihr sollt es einmal besser haben als wir!“, diesen Satz habe ich oft von meinen Eltern gehört, er war ihnen wesentlich und wichtig in den sechziger Jahren. Sie selbst hatten zwar keine wirtschaftlichen Sorgen, aber sie litten beide darunter, dass sie nicht studieren konnten. Ihre Söhne sollten es besser haben, Abitur war Pflicht, Studium ihr sehnlicher Wunsch. Mein Bruder und ich haben dies verwirklicht, die Dringlichkeit in den Worten unserer Eltern haben wir erst spĂ€ter erkannt und verstanden. Ich wĂ€re aber nie auf die Idee gekommen, diesen Satz meinen Kindern zu sagen. Zu sehr war das Erfolgsmodell Wirtschaftswachstum schon in die Krise gekommen. Und heute? Die Initiative „FĂŒr unsere Enkel“ von dem mittlerweile pensionierten Pfarrer und ehemaligem StaatssekretĂ€r Ulrich Kasparick ist etwas in den Hintergrund geraten, da bei Fridays fĂŒr future viele Großeltern wie selbstverstĂ€ndlich mit laufen. Heute steht die Hoffnung auf zahlreiche Nachkommen nicht im Vordergrund, aber die Hoffnung ist lebendig, dass es – verbunden mit der schmerzlichen Erkenntnis, dass wir schuldhaft verwoben sind in das System – ĂŒberhaupt „gut“ weitergehen möge. Die Zusage Gottes an Abraham höre ich so: „Ich stehe zu meinem Bund, aber ich nehme euch eure Verantwortung nicht ab!“ Ich werde im September, wenn alles gut geht, erstmals Großvater. Mein Enkel hat gute Chancen, dass 22. Jahrhundert zu erleben. Mir wird mulmig bei dem Gedanken daran, aber ich vertraue auf Gottes NĂ€he.

Phil 3, 20 - 4, 1

Zu diesem Text fĂ€llt mir ein, dass die Folgen des VerhĂ€ltnisses Glaube/Unglaube (um die es hier geht), eventuell an Themen von Nachhaltigkeit verdeutlicht werden kann. Insbesondere klingt dies in Vers 21 an, der eine Anspielung auf Gen 1,28 zumindest in der deutschen Übersetzung nahelegt: mir alle Dinge untertan machen können wird hier auf Jesus Christus bezogen, ER kann uns verwandeln, so dass wir die Kraft erhalten, uns „alles“ untertan machen zu können. Im Status des Unglaubens, der SĂŒnde fĂŒhrt dies in die Irre. Von hier aus könnte prĂ€zise beschrieben werden, welches WeltverhĂ€ltnis der Glaube impliziert und welche Folgen SĂŒnde bzw. Unglaube haben. Das mag in der Trias: ErnĂŒchterung, Entlastung und Ermutigung aufgehen.

Lk 9, 28b-36

Hier scheint mir ein möglicher Bezug zur Nachhaltigkeit Ă€hnlich wie bei der Nacht im Garten Gethsemane im rĂ€umlichen Kontext zu liegen. Ein Berg ist der Ort dieser Begebenheit. Ein Ort, von dem aus ich weit schauen kann. Ein Ort, den ich nur mit körperlicher Anstrengung erreiche. Ein Ort, der hĂ€ufig das AlltĂ€gliche klein und weit weg erscheinen lĂ€sst. Ein Ort, nahe am Himmel. Kein Wunder, dass die JĂŒnger hier bleiben wollen, hier oben mit Jesus allein, nachdem sie ihn so sehen, wie er ist. Ob die Abgeschiedenheit, die Entfernung zum normalen Leben der Grund war, dass ihnen Jesus so klar, so ver-klĂ€rt erschien? Der Berg, ein RĂŒckzugsort, ein guter Ort fĂŒrs Fasten. Welche Orte können noch geeignet sein fĂŒr solche Gotteserfahrungen? Dem könnte die Predigt nachspĂŒren. Und zugleich deutlich machen, dass der Alltag meines, unseres Lebens „dort unten“ in der Ebene, im Tal stattfindet. Jesus weist das Ansinnen der drei JĂŒnger ab, nicht der RĂŒckzugsort ist der BewĂ€hrungsort des Glaubens, sondern der Kontext meines Alltags. Aber solche Bergerlebnisse tun gut und hier spiegelt sich in der Schönheit und GrĂ¶ĂŸe der Natur sowohl auch ihre Verletzlichkeit als auch ihre FĂ€higkeit, die BrĂŒcke zum Himmel zu schlagen, stets neu und nie ein fĂŒr allemal.

Dr. Matthias Jung, Hannover

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