1. Adventsonntag (3.12.23)

1. Adventsonntag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Ps 24 Jes 63, 16b-17.19b; 64, 3-7 1 Kor 1, 3-9 Mk 13, 33-37 oder:
Mk 13, 24-37

Stellung im Kirchenjahr:

Am Beginn des neuen Kirchenjahres betonen die Schriftlesungen des Sonntags auf der einen Seite die Vergänglichkeit des Menschen angesichts von erfahrenen Unsicherheit und existenzieller Gefährdung, auf der anderen Seite mahnen sie eindringlich zur Wachsamkeit, sowohl für das eigene Verhalten als auch die Zeichen der Zeit. Sehr anschaulich wird dies anhand des Türhüters und seiner Verantwortung illustriert. Ihm kommt die prophetische Aufgabe zu, das Kommende, mag es verheißungsvoll oder bedrohlich sein, im Blick zu behalten und die im Haus Lebenden darauf aufmerksam zu machen. Zugleich ist er aber auch Teil der Hausgemeinschaft und steht stellvertretend für sie vor der Tür, nicht zuletzt für jene, die nicht sehen können oder wollen.

Im Umfeld des Sonntags mahnen der Tag, der dem Gedenken an die Abschaffung der Sklaverei gewidmet ist (02.12.), sowie der Tag der Behinderten am 03.12. zum Respekt vor jedem und jeder Anderen. Der v.a. in den USA gefeierte Dach-über-dem-Kopf-Tag (03.12.) und der Weltbodentag (World Soil Day) erinnern daran, dass der Mensch für sein Leben einen sicheren Rahmen, eine verlässliche Heimstatt mit einem schützenden Oben und Unten benötigt, damit sein Leben gelingt.

Exegetische Anmerkungen

Ps 24: Mensch und Schöpfung gehören dem Herrn, betont der Eingangsvers, doch ist diese Zugehörigkeit kein Ruhekissen. Vielmehr wird im Fortgang des Psalms vor Passivität, Naivität, aber auch Fatalismus gewarnt und wiederholt eingeschärft, dass der Mensch durch sein eigenes Verhalten, etwa durch die Versuchung zu lügen oder Meineid zu leisten, in Schuld geraten kann (V. 5f). Umso mehr gilt es Gerechtigkeit – moralisch und praktisch – zu üben, damit der Mensch Gott gegenüber moralisch rechtschaffen (Herzensreinheit, V. 4) bleibt, und diese Rechtschaffenheit sich auch im konkreten Engagement für eine gute und gerechte Gesellschaft niederschlägt.

Jes 63,16b-17.19b; 64,3-7: Der Abschnitt spiegelt die Grundbotschaft von Jes 56-66 wieder, die optimistisch von einem neuen Himmel und einer neuen Erde für Israel und alle Nationen künden. Wie Ps 24 wirbt die Lesung darum, im Bemühen um das eigene Herz nicht nachzulassen, um eine für die Anderen und das Andere offene und zum Engagement bereite Einstellung zu bewahren bzw. wieder zu erlangen (63,17). Ebenso greift er in 64,4 ein Thema des Psalms auf, wo er zum Praktizieren von Gerechtigkeit aufruft, und noch einmal in 64,6, indem Jes auf die Bedrohung durch eigene Schuld abhebt. Der abschließende Vers betont wie Ps 24,1f, dass der Mensch wie die Schöpfung insgesamt das Werk von Gottes Händen sind.

Mk 13,24-37: Im Blick auf den Fortgang der Heilsgeschichte bzw. das Ende der Welt rät Mk nachdrücklich zur Wachsamkeit. Angesichts der Unberechenbarkeit der Natur, die das Leben des Menschen immer wieder auf die Probe, ja aufs Spiel setzt, und der Katastrophen, denen er – nicht nur oder erst am Ende der Welt – ausgesetzt ist, ist ein aufmerksamer, wacher und hinhörender Blick auf die Schöpfung und die Zeichen der Zeit, die sie uns anzeigt, unabdingbar und unumgänglich. Es gilt also Wachsamkeit zu bewahren, auch weil dem Menschen, gerade wenn er mit Gott und seiner letztlich überraschen, aber unbedingten Rückkehr rechnet und er seiner Verantwortung als Gottes Stellvertreter gerecht werden will, die Aufgabe des Türhüters zukommt. Als solcher hat er die Entwicklung außerhalb des Hauses, im Kosmos im Auge zu behalten, auf Bedrohliches hinzuweisen und nach Kräften fernzuhalten. Er nimmt seine Aufgabe aber auch wahr für die drinnen, denen andere Aufgaben zukommen, für die, denen der rechte, nötige Blick abgeht, weil sie noch nicht oder nicht mehr sehen können, nicht über den nötigen Spürsinn verfügen, und letztlich sogar die, die sich blind stellen, gleichgültig geworden sind und den Willen verloren haben, sich für relevante Entwicklungen zu interessieren.

Predigtskizze:

Die Predigt könnte ansetzen bei Gefährdungen, Schieflagen und Katastrophen, ob bereits geschehen oder vorhanden oder als latent bedrohende Szenarien (Mk 13). In diesem Kontext gilt es, sich auf das Grundlegende zu besinnen, nämlich die Tatsache, dass der Mensch Gottes Geschöpf und als solches schlicht und ergreifend Teil der Schöpfung ist (Ps 24; Jes 63f). Der Mensch ist Teil von ihr und steht ihr zugleich gegenüber, in seiner Verantwortung für sie (Türhüter) und in der Notwendigkeit, sie aufmerksamst und wach zu beobachten, um so die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Als dieses Gegenüber – beauftragt und bevollmächtigt von Gott – kommt ihm Verantwortung für sich selbst zu (Bewusstsein von Schuld, Bemühung um Herzensreinheit und Aufrichtigkeit), für die, die nicht verstehen, verstehen können oder wollen, und schließlich für die, die sich nicht selber helfen können. Hinzu kommt der geforderte Einsatz für Gerechtigkeit: es ist essentiell und notwendig, sich um den eigenen, persönlichen moralischen Kompass zu mühen, damit der Mensch als einzelner im Lot mit Gott ist, bleibt oder wieder in diesen Zustand zurückkehrt und damit die Welt im Lot mit Gott ist und bleibt und dort, wo sie aus menschlicher Schule aus den Fugen geraten ist, wieder ins Lot mit dem Schöpfer gerät.

Die Zielrichtung der Predigt ginge entsprechend dahin, den Zuhörenden bewusst zu machen, dass wir, ob wir es wollen oder nicht, zu ihm, unserem Gott, gehören, der das Leben will. Es gilt, ermutigend daran zu erinnern, dass wir vor ihm – unabhängig von unseren Verdiensten, Leistungen, Stärken und Schwächen – Ansehen genießen. Und das sich daraus die Verpflichtung ergibt, dieses Ansehen, diesen Respekt, jedem und jeder zu erweisen in Wort und Tat.

Bezüge zur Nachhaltigkeit und weitere Kontexte

1. Der Überheblichkeit wehren (Ps 24; Jes 63f)

In „Die Geschichte der Dienerin" verfilmte Rainer Werner Fassbinder 1990 Margaret Atwoods „The Handmaid's Tale" von 1985 und schildert, wie Staat und Gesellschaft der Vereinigten Staaten aufgrund von weißem Überlegenheitswahn und exaltiertem Machismus entarten. Gegründet auf einem korrumpierten Bibelverständnis – der Staat nennt sich Gilead – werden Frauen selektiert, indoktriniert und zur Prostitution gezwungen, Afro-Amerikaner zur Zwangsarbeit deportiert und versucht, die äußere Ordnung durch die ständige Konfrontation mit Feindbildern und einen skurrilen Militarismus aufrecht zu erhalten. Während über die Medien die Bevölkerung geknechtet und manipuliert wird, aufgestaute Emotionen bei öffentlichen Hinrichtungen freizulassen, gestatten sich die führenden Männer, die sogenannten Gründerväter und ihnen finanziell sehr zugetane Unternehmer, in ihnen eigens vorbehaltenden Etablissements ihre Triebe nach Lust und Laune auszuleben.

2. Respekt und Einsatz für benachteiligtes und behindertes Leben (Jes 63f)

Cristina Cangemi vom „Kairos Forum", das vor allem in Großbritannien und Italien wirkt, unternimmt und bestärkt zahlreiche Initiativen auf theoretischer, insbesondere theologischer und philosophischer Ebene, aber auch mit Projekten ganz praktischer Art im Einsatz für und mit Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen. Nicht zuletzt unter Einbezug des Lebenszeugnisses und des Einsatzes von Edith Stein zugunsten von körperlich, sozial und aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit Benachteiligten ist Cangemi in den letzten Jahren zu einer Vorkämpferin für die Rechte behinderter Menschen geworden, vor allem hinsichtlich des ihnen geschuldeten Respekts und ihrer (leider noch nicht immer überall) selbstverständlichen Teilhabe. Das Kairosforum erhielt Anfang Juli 2023 durch eine von Baroness Sheila Hollins im Oberhaus des britischen Parlaments ermöglichte Veranstaltung eine besondere Plattform und eine wunderbare Möglichkeit, sich einer breiteren Öffentlichkeit prominent zu präsentieren.

www.kairosforum.org

3. Aufmerksam und wach für die Zeichen der Zeit (Mk 13)

Julian Rad ist österreichischer Tierfotograf und lenkt ähnlich wie sein britischer Kollegen Paul Joynson-Hicks die Aufmerksamkeit auf das Kleine und die Kleinen in der Schöpfung. Das gelingt ihm durch Aufnahmen, die eine ganz ausgeprägte Geduld erfordern, nämlich die Geduld und das Ausharren für den einen Moment, in dem alles passt, wo z.B. der Hamster die Blüte erklimmt, ansetzt, die Blütenblätter zu kosten und dann auch noch gerade in die Kamera blickt. Joynson-Hicks gelingt es mit seinen Aufnahmen die Schwere von manchen Zuständen in der Natur ein wenig wegzunehmen und das Heitere, Lebendige herauszufiltern. Es ist dann, als ob Gott uns nicht mit dem moralischen Zeigefinger droht oder zurechtweist, sondern mit einem – eigentlich viel wirksameren – Augenzwinkern aus der Komfortzone eines amüsierten, aber letztlich indifferenten Zuschauers herauslockt, damit wir uns für seine Schöpfung neu begeistern, sie in unser Herz schließen und uns beherzt unserer Verantwortung für ihren Erhalt stellen.

www.radwildlife.comwww.joynsonhicks.comwww.comedywildlifephoto.com

4. Türhütende sein (Mk 13)

Sei ein Türhüter deines Herzens und lass keinen Gedanken ohne Befragung herein. Befrage einen jeden Gedanken einzeln und sprich zu ihm: 'Bist du einer der Unseren oder einer unserer Gegner?' (Josua 5,13) Und wenn er zum Hause gehört, wird er dich mit Frieden erfüllen. Wenn er aber des Feindes ist, wird er dich durch Zorn verwirren oder durch eine Begierde erregen. (Evagrius Ponticus)

Die im römischen Kontext „Ostiarier" genannt Türhüter übernahm die Kirche im dritten Jahrhundert als besonderen Dienst in der Gemeinden. In der Zeit der Christenverfolgung Bewacher und Warner vor nahenden Soldaten, erhielten sie später die Aufgabe, Ungetauften und Büßern einen Platz im Eingangsbereich zuzuweisen und die Glocken zu läuten. Im englischsprachigen Raum, besonders in anglikanischen Gemeinden hat sich dieses Amt als „Church Usher" erhalten, auch in Deutschland. Der oder die Usher (eine weibliche Form ist nicht gebräuchlich) begrüßt die Ankommenden am Kircheneingang, fragt nach ihrem Wohlbefinden, händigt die nötigen Bücher und Texte aus und begleitet – sofern gewünscht – zum Platz. Beim Kommuniongang hilft er mit, Ordnung zu wahren und steht auch für Fragen zur Verfügung. Mit diesen und weiteren Tätigkeiten trägt er sehr dazu bei, dass Menschen sich im Gottesdienst aufgenommen und aufgehoben fühlen, Unsicherheiten abgebaut werden und die konkrete Gemeinde als eine Gemeinschaft erfahren wird, die nicht um sich selbst kreist, sondern auch noch Außenstehende, Interessierte und neu Hinzukommende willkommen heißt.

Dr Joachim Feldes, Dannstadt-Schauernheim

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