16. Sonntag nach Trinitatis / 24. Sonntag im Jahreskreis (11.09.16)

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16. Sonntag nach Trinitatis / 24. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
2 Tim 1, 7-10 Ex 32, 7-11.13-14 1 Tim 1, 12-17 Lk 15, 1-32

Der Autor betrachtet den Predigttext der EKD Reihe sowie den Text der kath. 1. Lesung. Anknüpfungspunkte im Blick auf das Stichwort „Nachhaltigkeit“ lassen sich bei dem EKD Text aufzeigen, wenn man die Trias von 1 Tim 1,7 auf die Trias des konziliaren Prozesses bezieht. Um nicht der Ermüdung durch die sich nicht einstellenden grundlegenden Veränderungen zu erliegen, braucht es die ermutigenden Gaben des Geistes Gottes, um sich dennoch  zu engagieren. Der Text aus img008Ex 32 führt ein Grundmuster menschlichen Verhaltens vor Augen: sich von Gott ein wunschgemäßes Bild zu machen und Gott in den Griff zu nehmen. So nehmen Götzen auf  vielerlei Weise Besitz von des Menschen Herz und produzieren eine gottferne, für die Menschheit  und die ganze Schöpfung unheilvolle Welt im Kleinen und im Großen. Gottes teure Gnade verpflichtet dazu, den Götzen zu widerstehen.

Bildlegende: Das goldene Kalb wurde auf einem Kirchentag aufgestellt

Exegetische Anmerkungen und Anregungen zur Auslegung

2 Tim 1,7-10

A: Der 2. Timotheusbrief ist einer der drei Pastoralbriefe und ist wahrscheinlich zwischen 80 und 100 n. Chr. geschrieben worden. Vorausgesetzt wird, dass Paulus (Pl) sich in Rom in Gefangenschaft befindet. Der Nachwelt soll durch Tim 2 nicht nur die Lehre, sondern auch ein Bild von dem leidenden Apostel eingeprägt werden (vgl.1,12). Viel spricht dagegen, dass der Brief von Pl selbst stammt. Pl garantiert (1,16f; 3,10f) mit seiner vorbildlichen Person und seiner Lehre die Überlieferung, auf der die Kirche beruht. Es geht um die Bewahrung und Aneignung des anvertrauten Gutes (1,14). Er legitimiert die sich Ende des 1. Jahrhunderts entwickelnde kirchliche Ordnung. Die aktuelle Situation ist gekennzeichnet durch die Auseinandersetzung mit Irrlehrern  und die Gefahr der Abspaltung.

Zum Text: Aus der Gewissheit der Auferstehung des Christus Jesus, der dem Tod die Macht genommen hat, erwächst ein Verhalten, wie es in 1,7 beschrieben wird. Der in uns wohnende Geist (V. 14) ermächtigt zur Gestaltung eines verantwortlichen Lebens. Gott gibt nicht den zur Feigheit neigenden Geist der Verzagtheit. Vielmehr ist es ein Geist der Kraft, mit dem Energie, Dynamik, Stärke und Durchhaltevermögen einhergehen. Er äußert sich nicht in Kraftmeierei und Machtgebaren, denn er ist eins mit der Agape und der Besonnenheit.

B: Zu einem verantwortlichen Leben ermutigen im Geist der Trias von Kraft, Liebe und Besonnenheit

Was hat es mit der Besonnenheit auf sich? Bei Platon rangiert Besonnenheit unter den vier Kardinaltugenden an erster Stelle vor Tapferkeit, Weisheit und Gerechtigkeit. Bei ihm ist sie das Vermögen, die sinnlichen Begierden so weit in Grenzen zu halten, dass sie nicht die beherrschende Macht über den Menschen gewinnen. Es ist die Tugend des rechten Maßes, ohne die der Mensch der Maßlosigkeit verfällt. Besonnenheit hat einen Bezug zum Handeln.
Nicht nur Umsicht im Tun gehört zur Besonnenheit, sondern sie hat auch das Ziel des Handelns,  die Tragweite des Tuns im Auge, Der Besonnene macht sich die Folgen seines Tuns klar. Herder hat in der Besonnenheit das entscheidende Merkmal gesehen, das den Menschen zum Menschen macht, Vernunft und Sprache ermöglicht.

Die in 2 Tim 1,7 durch die Trias ausgesprochene Ermutigung lässt sich uneingeschränkt auf die Trias von Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung beziehen. Für deren Eintreten sind  Kraft, Liebe und Besonnenheit unverzichtbar. Der Geist der Verzagtheit ist dabei ein Hemmnis, das nicht unterschätzt werden sollte. Bei nicht wenigen Christen hat sich Verzagtheit breit gemacht.
Bei der Unübersichtlichkeit und Komplexität der Verhältnisse und Fragen stellen sich Ohnmachtsgefühle, wenn nicht gar Lähmung ein. Sie werden dazuhin noch ausgelöst durch Enttäuschungen über intransparente politische Vorgänge und das Aufschieben dringend erforderlicher, auf die Zukunft ausgerichtete Entscheidungen. Der Eindruck, dass die Absicherung von Machtinteressen Vorrang hat vor vielleicht unpopulären, aber dem Gemeinwohl aller langfristig dienenden Maßnahmen, führt zu Enttäuschungen. Man denke nur an die kaum reduzierte Menge an exportierten Rüstungsgütern an oft überaus fragwürdige Empfänger. Oder man denke, wie kläglich die Mittel sind, die entgegen hehrer Versprechen von unserer Regierung, von anderen ganz zu schweigen,  für den Fond zum

Schadenersatz und zur Begrenzung von Klimaschäden bereitgestellt werden. Gegenüber der Kurzfristigkeit, mit der oft innen-und außenpolitisch entschieden wird, braucht es für den Prozess einer globalen Transformation der bestehenden Gegebenheiten zu einer ökologischen und sozial verantwortlichen Wirtschafts- und Lebensweise den langen Atem derer, die sich für eine solche Kehrtwende einsetzen. Das ist mühsam und mit Unsicherheiten verknüpft, z.B. auch mit der Furcht vor Einbußen des eigenen Lebensstandarts, wenn eine Ethik des Genug und damit des „Weniger“ maßgebend werden würde.
Das auf Eigennutz ausgerichtete Denken kann nur überwunden werden, wenn die Agape für das gute Leben von allen an allen Orten leitend wird. Sie umfasst nach biblischem Verständnis auch das Ringen um Gerechtigkeit. Es gibt im (meist überschaubaren Umfeld) vielerlei Möglichkeiten, die Agape besonnen mit der Energie/ “dynamis“ des Geistes Gottes auszuüben (z.B. im Bereich von Energiemanagement, Flüchtlingsarbeit, Nachbarschaftshilfe).

Ex 32,7-11.13-14

A: Der Text steht im Zusammenhang der Darstellung der Ereignisse am Sinai. Es geht dabei einerseits um die Übermittlung von Gottes Weisungen mit den Zehn Geboten und dem sog. Bundesbuch an Mose sowie um den Bundesschluss am Sinai. Andererseits wird über das erste Abfallen der Israeliten von Gott berichtet. Unser Text setzt ein mit der Aufforderung Gottes an Mose,  seinen Aufenthalt auf dem Berg Sinai zu beenden und zu seinem schon lange wartenden Volk zurückzukehren. Das Volk war inzwischen mit Nachdruck an Aaron herangetreten, mit einem aus Gold gegossenen Kalb den Gott sichtbar vor Augen zu stellen, von dem die Israeliten meinten, er sei  mit dem Exodus aus Ägypten in Verbindung zu bringen.
Der Text enthält die Anklage Gottes mit Strafankündigung und  die Einrede von Mose. Gott tritt in doppelter Weise in Erscheinung. Zum einen als ein rachsüchtiger Gott, der sein ungehorsames Volk zu vernichten trachtet. Zum anderen als ein Gott, der sich umstimmen lässt, der Abstand nimmt von seinem Vernichtungswillen und der Reue zeigt. In der einen Erscheinung begegnet uns der fremde, verborgene, abwesende Gott. In der anderen ist es der Gott, der sich an seine Heilsversprechen erinnern lässt und mit seinem Volk weiter in Liebe verbunden zu sein gedenkt.
Der Alttestamentler Westermann sieht in dem Bruch des Bundes eine deutliche Parallele zu dem in Gen 2 und 3 beschriebenen Vorgang. Hier die Existenz Israels begründende Rettungstat, dort die Erschaffung des Menschen. Beides Mal ergeht das Gebot Gottes, das gebrochen wird. Trotz des Ungehorsams  wird die Geschichte Gottes mit dem Menschen bzw. mit dem Volk weitergeführt. Gottes Vergebung schafft eine neue Lebensmöglichkeit.

B: In Gottes Langmut gründet die Kraft, den Götzen zu widerstehen

Menschen sind versucht, sich nach eigene Vorstellungen und Wünschen ein fertiges Bild von Gott zu machen. Wir können vermutlich gar nicht umhin, mit „Gott“ Vorstellungen zu verbinden. Von Bonhoeffer stammt die Äußerung: „Die Unsichtbarkeit macht uns kaputt… Dieses wahnsinnige dauernde zurück geworfen werden auf den unsichtbaren Gott selbst.“ In der Bibel begegnet uns nicht ein einziges Gottesbild, sondern im Lauf der jüdisch-christlichen Offenbarungsgeschichte sind es wechselnde Gottesbilder. Schließlich hatte sich der Glaube an den allein zu verehrenden und alleinigen Gott durchgesetzt (1.Gebot; Dtn 6,4f).
Nach Calvin ist des Menschen Herz eine Götzenfabrik. Dazu gehört auch ein Bild von Gott als dem ausschließlich lieben Gott, der für die Verführbarkeit des Menschen in unendlicher Langmut ein Nachsehen hat.  Die Bitte des Vaterunsers „erlöse uns von dem Bösen“ weist auf die Macht des Bösen, die Paulus zu dem Ausruf veranlasst: „Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem todverfallenen Leib retten?“ Nicht billige Gnade, sondern teure Gnade ist es, die wir von Gott empfangen. Sie nimmt uns in Pflicht, im Spiegel der Lebenshingabe, der Worte und Taten von Jesus  den Mächten des Bösen in ihren totalitären Ansprüchen den Kampf anzusagen.
Diese Mächte aufzudecken und in der Kraft Gottes entgegenzutreten, ist der nie endende Auftrag jedes einzelnen Christen und der Kirche in ihrer Gesamtheit. Zu den beherrschenden, die Welt durchdringenden Mächten gehört der unbeirrbare, unheilvolle Glaube an den freien Markt und das permanente wirtschaftliche Wachstum. Die zerstörerischen Folgen für die Menschheit und die Schöpfung sind offenkundig. Bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rats in Busan/Korea 2013 wurde als eine der Grundüberzeugungen festgehalten: „Wir bekräftigen, dass die Ökonomie Gottes auf den Werten der Liebe und Gerechtigkeit für alle basiert und dass die verwandelnde Mission sich dem Götzendienst in der freien Marktwirtschaft widersetzt.“

Gerhard Fritz, Landau