2. Sonntag nach dem Christfest / 2. Sonntag n. Weihnachten (02.01.22)

2. Sonntag nach dem Christfest / 2. Sonntag nach Weihnachten

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Lk 2,41-52 Sir 24, 1-2.8-12 (1-4.12-16) Eph 1, 3-6.15-18 Joh 1, 1-18

 

Die biblischen Texte zum 2. Sonntag nach Weihnachten legen es nahe, die Spannung zwischen Universalität und Konkretion aufzunehmen, welche den christlichen Glauben bzw. Religion überhaupt kennzeichnet. Die (weihnachtliche) Überzeugung, dass der konkrete Kristallisationspunkt christlichen Glaubens in Jesus Christus universale Tragweite hat, ist nicht als «Anspruch» auszulegen, sondern als Basis für die grenzen- und generationenübergreifende Verpflichtung zu fairem und nachhaltigem Handeln.

«All»-Aussagen zwischen Skepsis und ethischer Relevanz

Grosse allumspannende Metaerzählungen sind der pluralistischen und fragmentarisierten Epoche der Postmoderne ebenso fremd geworden wie absolute Wahrheitsbehauptungen. Sie stehen unter dem Verdacht des Totalitarismus. Solche Skepsis erschwert auch den Zugang zu den biblischen Metaerzählungen, die – wie der Johannesprolog oder der Epheserhymnus – den grossen Bogen der Geschichte von der Schöpfung zur universalen Erlösung spannen und damit «All»-Aussagen treffen.

Andererseits kommen die ethischen Postulate in Sachen Personwürde und Menschenrechte nicht ohne Aussagen menschheitlicher Reichweite aus. Unter Einbezug von Tierrechten und der nicht anthropologische zu vereinnahmenden Eigenwürde der Natur erhalten entsprechende Positionen notwendig universalistische Züge.

Glaubensaussagen mit universaler Reichweite …

Eine Wurzel für derartige ethische Postulate sind religiöse Überzeugungen auch der jüdisch-christlichen Tradition. Die Lesungstexte des 2. Sonntags nach Weihnachten enthalten solche Glaubensaussagen mit universaler Reichweite. Besonders deutlich tritt dieser umfassende Ansatz im Johannesprolog heraus. Joh 1,3 gründet alles, was geworden ist, im Logos, der zugleich die Wurzel für Licht und Leben ist. Die im Johannesprolog mitschwingende weisheitliche Dimension (fundiert in jüdisch-weisheitlicher Tradition, wie sie in Sir 24 zum Ausdruck kommt) expliziert die im Schöpfer gründende Weisheit als eine Grösse, die mit der gesamten Schöpfung zuinnerst vertraut ist. Der im Lesungstext ausgelassene Vers Sir 24,5 wäre hier von hoher Bedeutung: Ihm zufolge bewegt sich die Weisheit souverän zugleich im Kreis des Himmels und in der Tiefe der Abgründe. Vers 6 beschreibt eine Beziehung zur ganzen Erde, zu jedem Volk und jeder Nation.

Auch der Epheserhymnus breitet eine universale Perspektive aus, die hier zeitlich gewendet von der Grundlegung der Welt bis zur Fülle am Ende der Zeit reicht und das All umgreift (vgl. den hier ausgelassenen V 10, der für die Kontextualisierung der Aussagen nicht einfach beiseite gelassen werden kann).

Weniger evident ist dieser universale Bezug im Textausschnitt aus dem 1. Johannesbrief. Allerdings hat der dort verwendete Lebensbegriff eine Tiefendimension. Einerseits scheint die Teilhabe am ewigen Leben eine partikuläre Wirklichkeit zu sein, die an den Sohn bzw. den Glauben gebunden ist. Andererseits ist damit doch zugleich das Leben schlechthin gemeint.

… und konkretem Kristallisationspunkt: Inkarnation

Die paradoxe Zusammenschau von universaler Weite mit einer partikulären, konkret-geschichtlichen Wirklichkeit bestimmt auch die anderen, schon erwähnten Lesungstexte: Sie artikulieren ihre universalen Überzeugungen verbunden mit dem Glauben, dass Gott als Schöpfer von allem sich in der Geschichte konkret manifestiert hat. Die göttliche Weisheit zeltet in Jakob-Israel (Sir 24,8), der Logos zeltet unter den Menschen (Joh 1,14).

Im Kontext der weihnachtlichen Liturgie ist evident, warum diese Texte ausgewählt worden sind: Christen und Christinnen feiern die Inkarnation als Ereignis des Offenbarwerdens Gottes. Der göttliche Urgrund von allem, als göttlicher Logos bzw. göttliche Weisheit schon schöpfungsmittlerisch (und somit universal) wirksam und bedeutsam, macht sich innerhalb von Welt und Geschichte erkennbar und berührbar.

Anspruch?

In der Geschichte des Christentums ist dieser Glaube auch als «Anspruch» ausgelegt worden. Unter Berufung auf ihren Ursprung im menschgewordenen Gott beanspruchte der christliche Glaube bzw. seine Verkörperung in einer kirchlichen Gemeinschaft, auch selbst an göttlicher Absolutheit teilzuhaben. Ein solcher Absolutheitsanspruch wurde gegen andere religiöse Überzeugungen und gegen andersreligiös gebundene Menschen und Institutionen ins Feld geführt. Ausschlussstrategien wirkten nicht nur destruktiv nach aussen, sondern höhlten gleichzeitig das aus, was eine universale Dimension des christlichen Glaubens in Wahrheit bedeuten kann. Die anfangs benannte Skepsis gegenüber den umgreifenden Erzählungen und absoluten Wahrheitsansprüchen hat hier eine berechtigte Stossrichtung.

Verpflichtetsein!

In kritischer Relecture von christlichen Anspruchsformulierungen ist es dringlich, die christliche Überzeugung vielmehr als universales Verpflichtetsein auszubuchstabieren. Der Glaube an die inkarnatorische Präsenz Gottes in Jesus Christus ist in der Selbstbindung an diese Konkretion zugleich als Verbundenheit und Verbindlichkeit gegenüber den menschheitlichen, kosmischen und universalen Dimensionen der Schöpfung zu lesen und zu leben. Statt einen absoluten Wahrheitsbesitz zu behaupten gilt es, die eigene Überzeugung in Relation zu anderen Erkenntnisperspektiven zu setzen und sich davon bereichern zu lassen. Partikularinteressen welcher Art auch immer sind auf ihre Kompatibilität mit universalen, grenz- und zeiten- bzw. generationsübergreifenden Standards von Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu prüfen. Mit den biblischen Lesungen des 2. Sonntags nach Weihnachten formuliert: Die Heilsgüter Licht, Leben, Weisheit und Erkenntnis lassen sich nicht vereinnahmend anstreben. Herrlichkeit (Glanz, Pracht, Gewicht, Wucht) ist unteilbar. Daraus folgen menschheitliche ethische Postulate in Sachen Gerechtigkeit, Freiheit und Fairness hinsichtlich der Teilhabe an den Gütern dieser Erde und an sozialen Strukturen.

Theologischer Ausblick

Als Anregung sei diese Auslegung noch in den Kontext eines neueren theologischen Entwurfes gestellt. In seiner 2021 vorgelegten Reformulierung der Entmythologisierung als theologische Wahrheitssuche beschreibt Gerd Theissen Religion als Spannungsverhältnis zwischen Unendlichkeit und Konkretion, so wie er die göttliche Wirklichkeit selbst in diese Spannung einschreibt: «Gott ist das geheimnisvolle Ganze der Wirklichkeit – geheimnisvoll, weil es eingeschlossen ist in einen sich unendlich vertiefenden Raum und gleichzeitig paradox konzentriert an einer konkreten Stelle». Näherhin unterscheidet Theissen drei Dimensionen: «das alles umfassende Ganze, das mehr ist als seine Teile, ferner den regressus ad infinitum in eine unendliche Tiefe jenseits der Grenzen des Ganzen, schließlich die Transparenz des Ganzen, das an einer konkreten Stelle ‹erscheint›».

Die Religionen sieht Theissen, wenngleich auf unterschiedliche Weise gemeinsam in diese Spannung gestellt: Sie sind über die Gesamtheit der Wirklichkeit hinaus bezogen auf eine unendliche Tiefe. Zugleich verorten sie sich in Bezug auf eine Konkretion: «Alle Religionen konzentrieren diese geheimnisvolle Realität an konkreten Stellen, wo sie transparent und für Menschen zugänglich wird, in einem Offenbarer, einem Ritus oder heiligen Ort». Schliesslich aber setzen die Religionen Menschen «in Beziehung zur ganzen Wirklichkeit durch Resonanzerfahrungen mit dem Ganzen der Wirklichkeit und zwischen den Menschen» (Gerd Theissen: Botschaft in Bildern. Entmythologisierung als theologische Wahrheitssuche. Stuttgart: Kohlhammer, 2021 [Theologische Interventionen 6], 80).

In diesem von Theissen skizzierten Dreiklang scheint eine Dynamik auf, die für Postulate der Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit fundamental ist. In Aufnahme der Motive der biblischen Lesungen des 2. Sonntags nach Weihnachten formuliert: Christen und Christinnen begegnen Jesus Christus im Glauben daran, dass in ihm der zu Gott gehörige schöpfungsgründende Logos bzw. die mit Gott und der Schöpfung vertraute Weisheit bzw. der Sohn und Inbegriff des Lebens zugänglich geworden ist. Dadurch dürfen Glaubende sich als mit Gott, der unendlichen Tiefe jenseits des Ganzen der Wirklichkeit, verbunden und durch göttliches Leben, Liebe und Gnade beschenkt sehen. Zugleich sind sie dadurch verwiesen auf die Gesamtheit der Wirklichkeit. Denn dieselbe «Konkretion» (der Menschgewordene), in der sie sich mit Gott verbunden glauben dürfen, ist auch Grund (Joh 1,3) und Ziel (Eph 1) der ganzen Schöpfung. Daraus folgen «All»-Aussagen, die nicht auf möglichst umfassendes Beherrschen zielen, sondern auf universale Resonanzverhältnisse. Gemeint sind Beziehungen respektvoller (fairer) Offenheit in der Bereitschaft, sich von der (mir frei begegnenden) Eigenwirklichkeit der Mitwelt berühren zu lassen.

Dr. Eva-Maria Faber, Chur