Neujahrstag / Hochfest der Gottesmutter Maria (01.01.22)

Neujahrstag / Hochfest der Gottesmutter Maria

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Spr 16, (1-8)9 Num 6, 22-27 Gal 4, 4-7 Lk 2, 16-21

 

Neues Jahr, neues … Predigen

In dieser Predigtanregung verbinden sich methodische Überlegungen zum Predigen im Jahr 2022 mit einer Auslegung der Perikope aus dem Lukas-Evangelium.

Der Jahresanfang ist die Zeit der guten Vorsätze und sich verrückte Dinge vorzunehmen: Mehr Sport, weniger Rauchen, mehr Zeit für Freunde und Familie, weniger Plastik, mehr Fahrrad.

Wie wäre es also, sich auch für die Predigten etwas Neues vorzunehmen und es zumindest in einem Punkt dem (vorreformatorischen) heiligen Franziskus nachzutun: nämlich den Tieren zu predigen?

Gewiss käme es uns seltsam vor, wenn jemand den Vögeln im Felde eine Predigt halten würde wie der Poverello aus Assisi (1). Dafür sind wir heute zu verkopft und vermutlich auch nicht heilig genug. Aber vielleicht reicht der Mut aus, um den Perspektivwechsel wenigstens als Gedankenexperiment zu wagen: Was würden wir den Tieren heutzutage predigen? Was würden wir den Tieren sagen, wenn wir ihnen die heutigen Lesungstexte auslegen sollten?

Hierzu ein paar Gedanken für das Tagesevangelium, das sich für eine Predigt an die Schafe eignet. Ich würde den Schafen predigen, …

… dass in der Perikope zwar nur die Hirten erwähnt sind. Wir wissen aber aus den Versen zuvor, dass sie bei ihrer Herde lagerten. Die Verheißung, dass heute der Heiland geboren wurde, gilt auch (euch,) den Schafen (sowie den Ziegen, die vermutlich ebenfalls zur Herde gehörten, und allen anderen Tieren). Denn, so sagt es Paulus im Römerbrief: Die gesamte Schöpfung liegt in Geburtswehen und soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden (Röm 8,21f). Kaum jemand hat dies wohl so deutlich gesehen und in ein Bildprogramm umgesetzt wie der hl. Franziskus. Er hat in seiner Krippendarstellung die Tiere mit in den Stall von Bethlehem gestellt und damit Ochse, Esel und Schafen einen festen Platz an der Seite des Heilands reserviert.

… dass das Schaf zoologisch zu den Wiederkäuern zu rechnen ist und im Wiederkäuen zum Vor- und Sinnbild für Maria wird. Denn ein Wort aus der Schrift immer wieder neu zu wiederholen und so das Wort zu „verkosten“, den Gefühlen und Assoziationen nachzuspüren, die hierbei aufsteigen, bezeichnet man auch als ruminatio, also als Wiederkäuen. Martin Luther hat diese alte christliche Meditations- und Gebetspraxis als „Wiederkäuen im Herzen“ (ruminare in corde) (2) bezeichnet. Nichts anderes aber wird von Maria geschildert, die alle diese Worte bewahrte und in ihrem Herzen erwog, wie es im Tagesevangelium heißt. (Ihr) Schafe und (wir) Menschen stehen also zusammen an der Krippe, um durch unsere Existenz und auf je unsere Art die Zusage des Heils zu verkosten, die uns an Weihnachten verheißen wurde.

… dass sich die Menschen zwar zugutehalten, als Bild Gottes erschaffen zu sein (Gen 1,27), dass (ihr) die Schafe aber das Bild Christi sind. Subtil ist dies bereits in der kurzen Szene des heutigen Evangeliums angedeutet: Jesus liegt in einer Krippe. Vermutlich in einem Stall geboren aber wird, so wird es uns durch die bildgewaltige Sprache der Offenbarung des Johannes vor Augen geführt und aufgelöst, Christus, das Lamm Gottes (3). Über dreißig Mal taucht die Rede vom Lamm im letzten Buch der Johannesapokalypse auf und setzt das Schaf auf den Thron zur Rechten des Vaters. Auf den ersten Blick ist das wehrlose, unbedarfte und schwache „Lamm“ nur ein Bild. Aber es ist mehr: Es ist eine Form, es ist die Form, in dieser Welt zu leben. Und diese Lebensweise betrifft nicht nur das zwischenmenschliche Miteinander. Denn längst ist klar, dass Frieden in dieser Welt zugleich nach einem Ende der rücksichtlosen Ausbeutung der Natur verlangt. Anlässlich des Weltfriedenstags, den wir heute begehen, hat Papst Franziskus daher „eine Veränderung unserer Beziehungen zu unseren Schwestern und Brüdern, zu den anderen Lebewesen, zur Schöpfung in ihrer so reichen Vielfalt und zum Schöpfer, dem Urgrund allen Lebens“ (4) gefordert. Und dies beträfe eben auch die Beziehung zu (euch,) den Schafen.

Schnell wird bei diesem Perspektivwechsel deutlich: Wir predigen zwar (fiktiv) den Tieren, erzählen hierbei aber noch mehr uns selbst und über uns selbst. Vielleicht ist dieser Wechsel der Perspektive eine Möglichkeit, die alt- und neutestamentlichen Lesungstexte neu zu entdecken und auszulegen. Und wenn wir es nur bis zu jenem Zeitpunkt versuchen, zu dem auch unsere anderen Neujahrsvorsätze bröckeln …

Dr. Dr. Dirk Preuß, Hildesheim

 

(1) Vgl. Thomas von Celano, Erste Lebensbeschreibung oder Vita des hl. Franziskus. In: Berg, D. & Lehmann, L. (Hg.), Franziskus-Quellen. Die Schriften des heiligen Franziskus, Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seinen Orden. Kevelaer 22014, S. 195-288 (hier: Nr. 58 [=S. 234f.]).

(2) Martin Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe, 3. Bd. Weimar 1885, S. 19.

(3) Vgl. Thomas Ruster, Das Lamm Gottes. Ein Tier erklärt den Sinn der Welt. In: Horstmann, S. et al. (Hg.), Alles, was atmet. Eine Theologie der Tiere. Regensburg 2018, S. 323-339.

(4) http://www.vatican.va/content/francesco/de/messages/peace/documents/papa-francesco_20191208_messaggio-53giornatamondiale-pace2020.pdf.