18. Sonntag nach Trinitatis / 29. Sonntag im Jahreskreis (20.10.19)

18. Sonntag nach Trinitatis / 29. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Jak 2, 14-26 Ex 17, 8-13 2 Tim 3, 14 - 4, 2 Lk 18, 1-8

Glaube und Werke gehören zusammen (Jak 2,14-26)

Wie verhalten sich Glaube und Werke zueinander? Über diese Frage wurde am Beginn des 16. Jahrhunderts heftig gerungen. Luther lehnte sich auf gegen eine Werkfrömmigkeit, wie er sie in der Kirche seiner Zeit vorfand. So sehr, dass er den Jakobusbrieffast ganz ans Ende seiner Bibelübersetzung gestellt hat – vor allem wegen des Satzes: „So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein“ (V 24).

Gottlob ist der jahrhundertelange Gegensatz zwischen dem „solafide“ der Reformatoren und einer von Werken wie dem Ablass, der Verehrung von Reliquien und der Wallfahrt geprägten katholischen Frömmigkeit heuteim Großen und Ganzen überwunden. In der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre halten Katholiken, Lutheraner, Methodisten, Reformierte und Anglikaner fest: „Wir bekennen gemeinsam, dass gute Werke – ein christliches Leben in Glaube, Hoffnung und Liebe – der Rechtfertigung folgen und Früchte der Rechtfertigung sind“ (GER 37).

An die Stelle des alten konfessionellen Gegensatzes über die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Werke ist jedoch inzwischen ein neuer getreten. Die einen sagen: „Ich bin auch ohne Glaube ein guter Mensch!“, während andere behaupten: „Mein Glaube ist Privatsache und geht niemanden etwas an!“ Aufs Neue wird auseinandergerissen, was zusammengehört. „Glaube ohne Werke ist tot“, schreibt der Verfasser des Jakobusbriefes jenen ins Stammbuch, die ihre Gottesbeziehung nur in der innersten Kammer ihres Herzens pflegen – bloß innerlich, weltabgewandt oder jenseitsbezogen. Jene müssen sich die Anfrage Jesu gefallen lassen: „Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr auch mir nicht getan“ (Mt 25,45). Umgekehrt sagt er denen, die meinen, auch ohne Gott ein gutes, erfülltes Leben führen zu können: Aus dem Glauben an den rechtfertigenden Gott erwächst die tiefere Motivation, sich für eine friedliche und gerechte Welt einzusetzen. Wer sich und alle Menschen von Gott geliebt weiß, dem erwächst der Wille und die Kraft, mitzubauen an Gottes Reich – hier und heute!


Die Zweifel besiegen (Ex 17,8-13)

Amalek im Kampf gegen Israel. Vordergründig geht es um eine kriegerische Auseinandersetzung zweier Stämme an der Grenze Palästinas vor über 3000 Jahren. Schon die jüdische Überlieferung sah darin jedoch eine tiefere, Raum und Zeit des damals Geschehenen übersteigende Bedeutung. Die chassidischen Lehren weisen darauf hin, dass das Wort „Amalek“ mit den Begriffen Zweifel und Verwirrung zu tun hat. Der beschriebene äußere Krieg wirdso zugleich als innerer Kampf der Israeliten gedeutet: Obwohl Gott sein Volk mit mächtiger Hand aus Ägypten heraus- und in die Freiheit geführt hat, wird das Volk Israel von Zweifeln befallen: Können wir Gott wirklich trauen? Wird er uns auch durch die Wüste führen? Können wir mit seiner Hilfe das verheißene Land in Besitz nehmen?Nur durch das unerschütterliche Gottvertrauen des greisen Mose– versinnbildet durch seine erhobenen Arme –, der durch Aaron und Hur gestützt wird, gelingt der Sieg.

Zweifel gibt es auch heute mehr als genug. Wird es uns gelingen, den Klimawandel mit seinen verheerenden Auswirkungen zu stoppen? Wird im Nahen Osten, in Afghanistan und an den vielen anderen Konfliktherden der Erde irgendwann Friede herrschen? Sind wir je in der Lage, das Nord-Süd-Gefälle zu überwinden und die Güter der Erde so zu verteilen, dass alle Menschen ein gutes Leben haben?

Die Lesung ruft dazu auf, es dem Volk Israel gleich zu tun. „Israel“ bedeutet bekanntlich „Gottesstreiter“. Auch wenn uns die Unkenrufe in den Ohren gellen, die Unheilspropheten recht zu behalten scheinen, eine Kehrtwende in Politik und Gesellschaft nicht in Sicht ist: Christen sollen dennoch die Hände zu Gott erheben, mit ihm streiten, sich gegenseitig stützen und so nicht zulassen, dass der Zweifel sich in lähmende Ohnmacht verwandelt. Mit Gott, der auch uns hilft, das uns Mögliche und oft unmöglich Erscheinende zu tun, werden auch wir die Zweifel besiegen und das „gelobte Land“in Besitz nehmen. Mit seiner Hilfe wird es uns gelingen, unsere Erde in einen Ort zu verwandeln, in dem Milch und Honig für alle fließen.


Bereit sein zum „Aber“ (2 Tim 3,14 – 4,2)

„Du aber …“ ruft der Verfasser des 2. Timotheusbriefes seinem Adressaten, einem Seelsorger im antiken Kleinasien des 1. Jahrhunderts, zu. Du aber … lass dich nicht beirren, wenn man deine Botschaft nicht hören mag. Du aber … folge nicht dem Beispiel derer, die nur den eigenen Vorteil suchen, lügen und Böses tun. Du aber … bleibe bei dem, was du von Gott gehört hast, was dich die Hl. Schrift lehrt. Du aber … erzähle von Gott, ob man dich hören will oder nicht.

Es ist nicht leicht, „Aber“ zu sagen. Gegen den Strom zu schwimmen und sich gegen das zu stemmen, was alle denken, sagen und tun. Seine Visionen zu bewahren und sich nicht einfach mit dem abzufinden, was ist. Sich trotzdem an Gott festzumachen, auch wenn man damit zu einer Minderheit gehört. Und doch ruft die Lesung dazu auf, den eigenen Überzeugungen treu zu bleiben – dem, was man von Kindesbeinen an gehört hat und was Gottes Wort einem sagt.

Der Ruf zum „Aber“ ist weder eine primitive Durchhalteparole noch eine bloße Trotzreaktion um des Prinzips willen. Dieses „Aber“ beruht auf einer zweifachen Erfahrung. 1. Wer böse lebt, wird immer mehr in das Böse hineingeraten (V 13). Die Wirklichkeit zeigt uns, dass das stimmt: Die negativen Konsequenzen unseres zerstörerischen Verhaltens werden uns immer stärker bewusst: Klimawandel als Folge eines ungezügelten Energieverbrauchs, Vermüllung des Planeten als Folge unkritischen Konsumverhaltens, Migrationsbewegungen als Folge von Kriegen, deren Ursachen wir mitverschuldet haben uvam. 2. Die Hl. Schrift kann weise machen (V 15). Die Vergangenheit und Gegenwart unserer Kirchen halten uns unzählige Beispiele von Männern und Frauen bereit, die dem Wort Gottes getraut haben und sich von ihm weise machen und senden ließen: zu den Ausgestoßenen in den Slums von Kalkutta, mitten hinein in die Auseinandersetzungen um die Rassentrennung in Südafrika, in die Flüchtlingszentren in den Mittelmeerländern und an all die anderen Orte, wo auch heute Zurechtweisung, Ermahnung, Trost und Hilfe nötig sind.


Gott verschafft Recht (Lk 18,1-8)

„Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“, so lautet ein bekanntes Sprichwort. Damit ist gemeint: Trotz Grundgesetz und BGB ist nicht immer gewährleistet, dass sich das Recht durchsetzt. Fehlurteile gibt es immer wieder – durch sich irrende Zeugen, inkompetente Sachverständige oder geschickt agierende Anwälte.

Ein solches Fehlurteil droht auch der Witwe im Gleichnis Jesu. Sie ist zwar im Recht, doch scheint alles darauf hinzudeuten, dass ihr Widersacher – vielleicht ein Verwandter oder ein Schuldeneintreiber, die sich das bisschen, das ihr als Witwe geblieben ist, auch noch einverleiben wollen – den Prozess gewinnt. Schuld daran ist ein Richter. Von ihm heißt es: Er fürchtet Gott nicht – jenen Gott, der im Alten Testament unzählige Male in der Thora und durch die Propheten dazu aufruft, sich der Witwen und Waisen anzunehmen. Er nimmt auf keinen Menschen Rücksicht – und damit vor allem wohl auf jene, die ihm aufgrund ihres sozialen Status eh nicht gefährlich werden können. Und er will schlicht und ergreifend nicht – weil es prestigeträchtigere und spannendere Fälle gibt als die Streitereien einer armen Witwe. Und doch erfüllt er schließlich doch noch seine Pflicht – einzig und allein deshalb, weil die Witwe ihm keine Ruhe lässt und er Angst hat, sie könnte ihn mit einer Ohrfeige öffentlich demütigen.

Wenn schon der ungerechte Richter – nicht aus Gnade, sondern schlicht und ergreifend, weil das Gesetz auf ihrer Seite steht – der Witwe zu ihrem Recht verhilft, um wieviel mehr Gott, so die Schussfolgerung Jesu. Gott verschafft denen Recht, deren fundamentale Rechte mit Füßen getreten werden – das Recht auf Leben, auf das zum Leben Notwendige, auf Freiheit und Selbstbestimmung. Gott steht auf der Seite der Armen und Ausgestoßenen und will, dass auch sie menschenwürdig leben können.

Bleibt der letzte Satz des Evangeliums: „Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?“ (V 8). Wenn Jesus heute auf die Erde käme: Fände er Menschen vor, die aus dem Glauben an den Recht verschaffenden Gott leben? Fände er Menschen vor, die sich treffen lassen vom Schicksal derer, die unter Unrecht leiden? Fände er Menschen vor, die sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass auf unserer Erde Friede und Gerechtigkeit herrschen? Und: Gehörte ich zu diesen Menschen?

Dr. Thomas Stubenrauch, Speyer