20. Sonntag nach Trinitatis / 30. Sonntag im Jahreskreis 2017 [III/A]
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
1 Mose 8, 18-22 / Rev.: 1 Mose 8, 18-22; 9, 12-17 |
Ex 22, 20-26 | 1 Thess 1, 5c-10 | Mt 22, 34-40 |
Gottes Bundesverpflichtung - 1 Mose / Genesis 8,18-22, 9,12-17
Im 1. Buch Mose steht in der Textstelle vom Tag die Zusage Gottes im Mittelpunkt, das Leben der Menschen und alles Leben auf der Erde zu bewahren. Wenn man den gesamten Text mit den ausgelassenen Versen 9, 8-11 in den Blick nimmt, steht dort insgesamt 7-mal das Wort Bundesverpflichtung (vgl. Übersetzung aus der Bibel in gerechter Sprache) oder Bund (vgl. Übersetzung aus der Jerusalemer Bibel) oder berit (hebräisch). Gott selbst bindet sich an sein Wort, das neben dem Menschen die gesamte Schöpfung einbezieht. Die Zahl Sieben gilt im biblischen Kontext als die heilige Zahl der Vollendung und Fülle, des Alles-Umfassenden, vgl. die sieben Tage der Schöpfung, die sieben Farben des Regenbogens, den siebenarmigen Leuchter, die sieben Sakramente, die sieben Werke der Barmherzigkeit bis hin zu den sieben Tagen der Woche.
In der Perspektive der Nachhaltigkeit zielt der Text deutlich darauf ab, den Menschen, Noach und seine Familien, in seiner exponierten Stellung, durch die er sich von Gott eingesetzt sieht (vgl. 1 Mose 9, 1-7, dieser Abschnitt ist am 20. Sonntag nach Trinitatis ausgespart), zu relativieren, indem alles Geschaffene, alles Beseelte (hebr.:kol hanefesh) in die Bundesverpflichtung, an die Gott selbst sich bindet, durch das Zeichen des Regenbogens, mit einbezogen ist und auf gleicher Stufe steht. Die Wahl eines Naturphänomens, des Regenbogens, der durch die Brechung der Sonnenstrahlen in den Wassertropfen entsteht, als Bundeszeichen entspricht einer Friedenserklärung Gottes, indem er seine Waffe, seinen Bogen in die Wolken hängt. Daneben schafft der Regenbogen den Eindruck einer optischen Verbindung zwischen Himmel und Erde, einem bunten Band gleich, an das sich alle gebunden fühlen: Gott, Mensch und alles Lebendige.
Eine inzwischen weltweit vernetzte Initiative und Organisation hat sich dieses Bundeszeichen zum Erkennungsmerkmal gemacht: Greenpeace. Ein Blick auf deren Homepage, vgl. https://www.greenpeace.de/ zeigt anschaulich, wie nah sich die Menschen von Greenpeace, die sich weder als kirchliche noch christliche Bewegung verstehen, seit 40 Jahren ihrem Auftrag zur Bewahrung und Leben mit der Schöpfung und damit diesem noahitischen Bund mit Gott verpflichtet fühlen.
Eine andere Initiative hat sich, auch unter dem Zeichen des Regenbogens, in den frühen Siebzigern den Weg gemacht, eine neue Form des Zusammenlebens von Juden und Arabern zu wagen: sie gründeten in Israel in der Ebene von Latrun die Dorfgemeinschaft Newe schalom/ Wahat al salam/ Oase des Friedens.
Das Bild mit diesem Regenbogentor (siehe Foto unten) zeigt den Eingangsbereich zum Schulkomplex im Dorf, wo jüdische und arabische Kinder und Jugendliche miteinander lernen, spielen und in beiden Sprachen unterrichtet werden. Nachhaltigkeit beginnt im konkreten Eintreten zum Schutz der Schöpfung und zur friedlichen Verständigung zwischen allen Menschen. Wenn Gott selbst sich siebenfach an diesen Bund bindet, sollte es für uns Menschen ein Leichtes sein, den Bund zumindest ein-fach wach und einzuhalten. Vgl. Homepage: http://wasns.org/-oase-des-friedens-
Ein weiterer Tipp: Der Film „Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen“, in dem Projekte aus aller Welt gezeigt werden, in denen Menschen engagiert für die Rettung der Welt eintreten. Hier eine kurze inhaltliche Zusammenfassung zum Film:
Was, wenn es die Formel gäbe, die Welt zu retten? Was, wenn jeder von uns dazu beitragen könnte? Als die Schauspielerin Mélanie Laurent und der französische Aktivist Cyril Dion in der Zeitschrift "Nature" eine Studie lesen, die den wahrscheinlichen Zusammenbruch unserer Zivilisation in den nächsten 40 Jahren voraussagt, wollen sie sich mit diesem Horror-Szenario nicht abfinden. Schnell ist ihnen jedoch klar, dass die bestehenden Ansätze nicht ausreichen, um einen breiten Teil der Bevölkerung zu inspirieren und zum Handeln zu bewegen. Also machen sich die beiden auf den Weg. Sie sprechen mit Experten und besuchen weltweit Projekte und Initiativen, die alternative ökologische, wirtschaftliche und demokratische Ideen verfolgen. Was sie finden, sind Antworten auf die dringendsten Fragen unserer Zeit. Und die Gewissheit, dass es eine andere Geschichte für unsere Zukunft geben kann.
Entwurf einer gerechten Gesellschaftsordnung - Exodus 22,20-26
Der erste Satz mit dem Hinweis auf den Umgang mit Fremden bietet sich an, um die aktuelle Diskussion zum Umgang mit Flüchtlingen in Europa auch als wesentlichen Aspekt von Nachhaltigkeit zu erkennen. Gott fordert an dieser Textstelle sein Volk auf, eine Gesellschaftsordnung zu errichten, die sich an der göttlichen Blickrichtung orientiert, d.h. die Schutzbedürftigen, egal ob Fremde, Waisen, Witwen, Mittellose, sie alle stehen im Fokus der göttlichen Zuwendung und Unterstützung. Dieser Perspektivenwechsel beinhaltet eine Abkehr von Wirtschaftswachstum und Egozentrismus hin zu tatkräftigem Einsatz im Hören auf den Hilferuf Notleidender oder den Hilferuf der geschundenen Natur.
Der 1 Thessalonicher Brief 1, 9 unterstützt diesen Gedanken mit der Abkehr von Götterbildern hin zum lebendigen und wahren Gott. Sobald Gott auf ein bestimmtes Bild reduziert wird, menschengemacht und zweckgesteuert, z.B. als männlicher Rachegott, als Talisman für den Privatgebrauch, oder von einzelnen Menschen instrumentalisiert wird für den „gerechten“ Krieg, für das Abschlachten der „Ungläubigen“, für die Unterdrückung der Frau u.v.m. kippt die göttliche Weltordnung und gefährdet menschliches Leben.
Der Mensch bindet sich an Gott - Matthäus 22,34-40
In diesem Textabschnitt findet sich die Grundformel für unsere Bibel bzw. die Bibel Jesu, die Tora. Jesus wiederholt hier die Weisung, die dem Volk Israel von Moses aufgetragen wurde. Sie ist die Grundlage des Bundesschlusses. Und auch der zweite Teil des Gebotes, die Nächsten- und Selbstliebe, ist eine Wiederholung aus dem Buch Leviticus(19,18), aus dem Abschnitt, in dem die zweite Fassung des Dekalogs aufgeschrieben steht. Die Aufforderung, Gott mit ganzem Herzen, mit ganzer Kraft und dem ganzen Verstand zu lieben, ist ganzheitlich und alle Lebensbereiche des Menschen umfassend. Es geht hier nicht um ein Lippenbekenntnis, sondern um Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe, die mit allen Sinnen zu leben ist.
Die jüdischen Beter_innen verhelfen sich hierbei eines wichtigen Hilfsmittels. Mit den Tefillin (=Gebetsriemen) werden der linke Oberarm umwickelt, wobei sich die kleine Kapsel an der Bizepsinnenseite befindet, und der Riemen um die Stirn so angelegt wird, dass die zweite kleine Kapsel direkt auf der Stirn aufsitzt. In den Kapseln befindet sich das jüdische Glaubensbekenntnis. Mit ganzem Herzen beten heißt, es auch wirklich körperlich zu spüren, indem die Kapsel am linken Arm an das Herz gedrückt wird. Mit ganzer Kraft beten zeigt sich im ständigen in Bewegung-sein beim Gebet wie im Hin-und Herschaukeln mit dem Oberkörper. Und mit dem ganzen Verstand beten wird durch die Kapsel, die auf die Stirn drückt, betont. Siebenmal werden die Tefillin um den Arm gewickelt – der Mensch bindet sich wie Gott siebenmal an den Bund (vgl. 1 Mose/Genesis 9,8-17).
So bildet die Evangeliumsstelle des Tages aus dem katholischen Lektionar eine wunderbare Brücke zu der Lesungsstelle im evangelischen Lesezyklus. Der Bund Gottes mit Noah und der ganzen Schöpfung, in dem Gott sich selber bindet, findet seine Antwort in der Bindung des Menschen durch das Gebot der Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe. In dieser Bindung geschieht auch eine menschliche Selbstverpflichtung, die sich die göttliche Blickrichtung zu Eigen macht: Leben in all seinen Erscheinungsformen zu schützen und zu bewahren.
(Bild am Seitenanfang aufgenommen am 21.10.2015 in den frühen Morgenstunden auf der Pilgerwanderung nach Jerusalem)
Karin Müller-Bauer, Trier