Reformationstag (31.10.17)

Reformationstag 2017 - 500 Jahre [III/A]

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Mt 10, 26b-33 Röm 8, 18-25   Lk 13, 18-21

500 Jahre Reformation in Deutschland, Ende der von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 2007 proklamierten Reformationsdekade (die von vielen Lutheranern gern als „Luther-Dekade“ reklamiert wurde): Das ergibt ein BĂŒndel von Bestandsaufnahmen, von Hoffnungen und Erwartungen, insbesondere im Blick auf neue Möglichkeiten ökumenischer Gemeinschaft, aber auch Versuchungen der Selbstdarstellung und abgrenzender Positionsbestimmungen. 

Was dann bleibt, also nachhaltig ist, kann nach reformatorischer Tradition nur das immer neue, selbstkritische und verĂ€nderungsbereite Hören auf Gottes Wort sein. Die „Theologische ErklĂ€rung der Bekenntnissynode von Barmen“ 1934 dazu: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“ In diesem Sinne auch die „Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa“ 1973: „Diese Botschaft macht die Christen frei zu verantwortlichem Dienst in der Welt und bereit, in diesem Dienst auch zu leiden.“

Im Reformationsgottesdienst wird nach der Perikopenordnung der EKD (Reihe III) MatthĂ€us 10, 26b – 33 ausgelegt. Jesus fordert seine JĂŒngerinnen und JĂŒnger in Situationen der Verfolgung zu furchtlosem Bekennen auf.
In der Perikopenordnung der Römisch Katholischen Kirche sind fĂŒr die (1.) Lesung Römer 8, 18 – 25 und als Evangelientext Lukas 13, 18 – 21) vorgesehen. Auch in diesen Texten wird zum Aushalten in Zeiten der Krise und des Leidens aufgefordert und ermutigt.

Wenn wir diese Texte unter dem Gesichtspunkt von Nachhaltigkeit lesen und in uns aufnehmen, lernen wir, dass christliches Engagement von der Gegenwart des gekreuzigten und auferstanden Rabbi von Nazareth lebt und genĂ€hrt wird. Die Botschaft dieser christlichen Texte unterscheidet sich von Resolutionen der Vereinten Nationen (UN) oder staatlichen Gesetzen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung oder auch pseudo-messianischen Ideologien. Sie alle setzen ein verantwortungsbewusstes und zur moralischen Höherentwicklung fĂ€higes Individuum sowie eine gesellschaftliche Übereinkunft zur weltweiten SolidaritĂ€t voraus. Martin Luther hat uns dadurch geholfen, dass er diesen weltanschaulichen Optimismus – der seit Aristoteles prĂ€gend war – hinterfragte und die paulinische Betonung der Beharrlichkeit auch im Leiden neu in den Fokus rĂŒckte. Diese – biblisch verstandene - Beharrlichkeit, dieser lange Atem (hypomonĂ€) ist ein Zeichen christlicher Nachfolge unabhĂ€ngig von Erfolgserwartungen.

Der aus der französischen Philosophie des 18. Jh. stammende Begriff von „Entwicklung“, d.h. von Entfaltung immer komplexerer Lebensformen in einem linearen Reifungsprozess entstammt einer Ära geistesgeschichtlicher Hochstimmung und hat sich in seiner Wirkung als höchst zwiespĂ€ltig erwiesen, weil er auch zum Schwert gegen so genannte „primitive“ Kulturen („Afrika, der dunkle Kontinent“, Indigenas) und zum ideologisch verklĂ€rten Wachstumsfetischismus fĂŒhrte, ohne dass ĂŒberzeugend definiert wĂŒrde, was denn „Wachstum“ eigentlich bedeutet. Die ĂŒber Martin Luther ĂŒberlieferte Anekdote vom „ApfelbĂ€umchen“, das er auch noch am Tage vor dem Kommen des jĂŒngsten Gerichts pflanzen wĂŒrde, trifft den Kern biblischen VerstĂ€ndnisses von Nachhaltigkeit recht gut. Sowohl im so genannten Alten als auch im Neuen Testament wird „Nachhaltigkeit“ nicht durch einen wie auch immer fundierten Entwicklungsbegriff definiert, sondern als „BewĂ€hrung“, als „Standhalten“ nach der „Befreiung“ (aus Ägypten bzw. aus der Todverfallenheit des Menschen, die sich in der Auseinandersetzung mit Jesus Christus offenbart).

 

In MatthĂ€us 10, 26b – 33 wird die allbekannte Feststellung „Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!“ zur wahrlich nicht allbekannten und selbstverstĂ€ndlich  akzeptierten Aufgabe der JĂŒngerinnen und JĂŒnger (V 26). Jesus Christus als den alleinigen Retter und Meister transparent, d.h. in einer durch römische Herrschaftsanmaßung und durch Kompromisslerei der jĂŒdischen Elite korrumpierten Gesellschaft öffentlich geltend zu machen, ist eine im wahrsten Sinne des Wortes „fĂŒrchterliche“ Herausforderung (V 27).
Christus machte in seinen Worten und in seinen oft wunderbaren Taten klar, dass alles Leben sich an der FĂŒrsorge fĂŒr und SolidaritĂ€t mit den „Geringsten“ messen lassen muss, und zwar konkret! Und er ist bereit, die bitteren Konsequenzen zu tragen. Und das „mutet“ er seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern auch zu. In Brechts „Galileo Galilei“ antwortet der Meister auf die empörte Frage seiner SchĂŒler, wieso er unter der Folter seine Erkenntnisse widerrufen habe: „Ich esse gern.“ So konnte er sprechen, weil sich seine naturwissenschaftliche Erkenntnis wo und wann auch immer durchsetzen wĂŒrde. Mit der Botschaft und dem VermĂ€chtnis Jesu ist das anders: Die – konkrete – Wahrheit bleibt nur dann Wahrheit und konkret, wenn sie von seinen JĂŒngerinnen und JĂŒngern in Wort und Tat bezeugt und bewĂ€hrt wird. Im HebrĂ€ischen kann „emet“ nicht nur als Wahrheit, sondern auch als „Treue“ ĂŒbersetzt werden, und darin kommt das zum Ausdruck, was wir „nachhaltig“ nennen. Das jĂŒdische „emet“ ist weit entfernt von der Philosophie der griechi- schen Antike, so weit weg wie unser VerstĂ€ndnis von Nachhaltigkeit von dem unserer Regierungen und WirtschaftsfunktionĂ€re.

Die Verse 28– 31 sind eine Aufforderung zur Furchtlosigkeit! So wie Josua in Josua 1,9 aufgefordert  wird, sich nicht zu fĂŒrchten. Das brauchen wir, wenn wir fĂŒr eine nachhaltige Lebensweise eintreten. Ich bin nicht von Hause aus furchtlos. Und das ist auch richtig fĂŒr mein Überleben, dass ich mich vor Gefahren fĂŒrchte und mich davon mache. Aber fĂŒr das, was philippinische Christinnen und Christen „productive suffering“ nennen, das produktive Leiden, das nicht mein Überleben, sondern das „Leben Anderer“ gewĂ€hrleisten soll, brauche ich diesen Zuruf „FĂŒrchtet euch nicht!“, das von Luther so hoch gehaltene verbum externum, das von außen kommt und mein Ohr und mein Herz freudig ĂŒberrascht. In diesen Versen 28-31 wird am Beispiel der Spatzen die wache und anrĂŒhrende FĂŒrsorge Gottes – seine Nachhaltigkeit! - in Erinnerung gerufen, ebenso die Erkenntnis, dass es darum geht, die Seele nicht im Selbsterhaltungstrieb fĂŒr den Leib aufs Spiel zu setzen. (Ausgerechnet ein sozialistischer Politiker, Jacques Delors, französischer Wirtschaftsminister und EU-KommissionsprĂ€sident, sprach von der Seele Europas als der entscheidenden Grundlage fĂŒr das grĂ¶ĂŸte Friedensprojekt nach dem 2. Weltkrieg. Wir merken heute, was es bedeutet, wenn es nur noch auf den „Leib Europa“ ankommt: Europa wird schwach und anfĂ€llig, unglaubwĂŒrdig, wie eine RĂ€uberbande, die nur nach dem eigenen Vorteil entscheidet.)

In den Versen 32 und 33 springt mich zunĂ€chst ein unevangelisches, lĂ€hmendes Drohpotenzial an. Aber es geht ums Ganze. Bekennen oder Verleugnen ist die Alternative. MitlĂ€ufertum, sporadischer Aktionismus, gelegentliches Interesse sind nicht die Vokabeln fĂŒr Gottes MĂŒhe um seine Schöpfung. Da wir nach Jesu Wort „mehr wert sind als viele Spatzen“, setzen wir uns selbst aufs Spiel, wenn wir um kurzfristiger Vorteile Willen den konziliaren Prozess Gottes fĂŒr „Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung“ verraten.

 

Der Abschnitt aus dem Brief an die Römer 8, 18 – 25 endet mit dem Wort „Geduld“. Darunter ist zu verstehen, dass Christinnen und Christen in den „Leiden der gegenwĂ€rtigen Zeit“ (V 18) nicht flĂŒchten, sondern standhalten, wörtlich ĂŒbersetzt: „nachhaltig darunter bleiben“, d.h. die Last der VergĂ€nglichkeit der Schöpfung aushalten und tragen. Das können wir nur durch die Hoffnung, dass „die Schöpfung von der VergĂ€nglichkeit befreit werde zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.“ (V21) Die BestĂ€ndigkeit wird genĂ€hrt durch eine Hoffnung, die ihrer Grundlage gewiss ist (V18). Paulus hat, wie wir in Apostelgeschichte 9 und 2 Korinther 12 erfahren, unaussprechlich beseligende Erfahrungen mit Christus gemacht, zu vergleichen vielleicht mit Jesu Erfahrungen auf dem Berg der VerklĂ€rung. Daraus speist sich die Kraft, in der Nachfolge Christi das Leiden nicht zu verdrĂ€ngen, sondern an zu nehmen (vgl. 2 Kor 4 u.ö.). Die Gemeinde in Rom wird ermutigt, in SolidaritĂ€t mit der leidenden Schöpfung auszuharren. Mit der geknechteten Schöpfung warten auch die Gemeindeglieder auf die Erlösung ihres Leibes – wohlgemerkt: nicht Erlösung von ihrer Leiblichkeit!  Letzteres wurde zum Programm einer leibfeindlichen Kirche, aber ohne jede biblische Grundlage. Die philosophisch gespeiste Leibfeindlichkeit der Antike verbindet sich in der Moderne mit dem Mythos der Beherrschbarkeit alles KreatĂŒrlichen, zur Freude aller Ausbeuter der Natur.

Paulus sieht die Christinnen und Christen im Zentrum einer Kreatur, die in den Geburtswehen liegt, aber nicht in der Agonie (V22). Sie sind nicht die beati possidentes, die schon alles Leid hinter sich haben. Sie sind so bedĂŒrftig selbst in ihrem intimsten spirituellen Leben, dass sie ohne die Intervention des Heiligen Geistes nicht bestehen können (V26).

Der Ökumenische Patriarch, seine Allheiligkeit Bartholomeus, verwies am 1.9.2008 in seiner Enzyklika zum Tag des Schutzes der Umwelt ausdrĂŒcklich auf die Verse 20 und 22 unseres Texts. Schon wie Patriarch Dimitrios, sein VorgĂ€nger, unterstreicht er die Bedeutung der Einrichtung des Schöpfungstags am 1.9. und der internationalen und interdisziplinĂ€ren Symposien des Ökumenischen Patriarchats. Seine Vision ist die universale eucharistische Gemeinschaft der ganzen Menschheit in einer versöhnten Gemeinschaft mit Gott und seiner Schöpfung. In seinen Worten wird deutlich, dass Menschen, die nicht willens zum Mitleiden sind, asozial werden und sich in ihrer Gier selbst zerstören.

 

Das Gleichnis vom Senfkorn und das vom Sauerteig steht in der Fassung von Lukas 13, 18 – 21 ebenfalls im Kontext einer Krise: Mahnung zur Umkehr, Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum, Bild von der engen TĂŒr und von der verschlossenen TĂŒr. Die Perspektive ist Jerusalem, der Ort des Leidens. Aber schon gegen- wĂ€rtig ist Jesus in der Gefahr, von Herodes getötet zu werden (V31). Wer hĂ€lt so etwas aus! Wir erfahren im Zentrum des Kapitel Ermutigung: Eine seit achtzehn Jahren gelĂ€hmte Frau wird am Sabbat geheilt (V 10-17) und Angefochtene und Verzagte werden mit zwei Gleichnissen getröstet. In ihnen können wir getrost unsere naturwissenschaftlichen Evolutionsvorstellungen vergessen und uns in die Vorstellungswelt der Antike versetzen: Es ist ein unbegreifliches Wunder, dass ein derart kleines Samenkorn zu einem Baum werden kann, der den Vögeln des Himmels Schutz gewĂ€hren kann. ( Die „nistenden Vögel des Himmels“ sind ein Hinweis auf den politischen Text in Daniel 4. Es geht um die Herrschaft Gottes.)

Wie mit dem Senfkorn ist es mit dem Sauerteig: unbegreiflich, unvorstellbar, aber wirklich und wunderbar!

Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu sind immer wieder verunsichert durch die Bedrohung der AutoritĂ€t Gottes und die Unscheinbarkeit des Beginns seiner neuen Welt. Die  große Kluft zwischen der Unsicherheit der Gegenwart und der weitreichenden Hoffnung der Glaubenden quĂ€lt. In diesem Text wird nachhaltiges Leben durch tröstende Ermutigung geschaffen. Wer sich durch Gottes Trost zur Gewissheit von Gottes neuer Welt beflĂŒgeln lĂ€sst, kann auch lĂ€ngere Durststrecken aushalten und braucht die Unscheinbarkeit nicht zu fliehen. 

Wilfried Neusel