Erntedankfest / 16. Sonntag nach Trinitatis / 27. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Joh 11, 1 (2) 3.17-27 (28-38a) 38b-45 | Hab 1, 2-3; 2, 2-4 | 2 Tim 1, 6-8.13-14 | Lk 17, 5-10 |
EinfĂŒhrung
Lukas, der insgesamt einen Heiland der Armen und ein Evangelium der Armen bietet, das in jenem krassen Kontext erst so richtig zum Leuchten kommt, von dem Dorothee Sölle und Luise Schottroff wohl zu Recht annehmen, dass es 99% sozio-ökonomisch AbhĂ€ngige und Mittellose unter den Israeliten seiner Zeit gegeben habe[1], schenkt uns in der katholischen Leseordnung ein auf den ersten Blick ziemlich sperriges Sondergut, das sich jedoch bei nĂ€herem Hinsehen in den Zusammenhang der offenbar fĂŒr ihn virulenten Auseinandersetzung mit den Ton angebenden pharisĂ€ischen Gruppen seiner Zeit gut einfĂŒgt. Und fĂŒr uns schon deshalb wieder aufschlussreich und sprechend zu werden sich anschickt, weil wir weltweit wieder in einer ebensolchen Situation angelangt sind, dass die weltweit 1% Superreichen die 99% der ZurĂŒckbleibenden sowie die ökologischen ZusammenhĂ€nge ebenso gnaden- wie humorlos an die Seite drĂ€ngen[2], sodass französische Soziologen schon von einem âneuen Feudalismusâ sprechen und der sprachmĂ€chtige ehemalige UN-Sonderberichterstatter fĂŒr das Recht auf ErnĂ€hrung, Jean Ziegler, der Auffassung zuneigt, niemals in der Geschichte hĂ€tten die aktuellen âneuen Feudalherrenâ mehr VerfĂŒgungsÂmacht innegehabt als in unseren Tagen.
Nur dass es heutzutage kaum noch irgendeine relevante Art von Bewusstsein fĂŒr solche ZusammenhĂ€nge auf den gut beschĂŒtzten âInseln der Seligenâ zu geben scheint, was wohl eines der besonderen Dramen unserer Zeit und eine spezifische Herausforderung fĂŒr jede(n) PredigerIn in Deutschland darstellt. Zumal noch erschwerend hinzukommt, dass auch in diesem Land mittlerweile 45 besonders reiche Personen die Ă€rmere HĂ€lfte der Bevölkerung aufwiegen und sich selbst in DeutschÂland noch einmal die unteren 80% innerhalb einer noch immer im WesentÂlichen unanÂgreifbar erscheinenden Systemlogik auf eine geradezu extreme Weise enteignet vorfinden.[3] Und weil diese international wie national wiederkehrende Konstellation diskurs- und machtstrategisch erstens als unhinterfragbar gilt und zweitens als unabÂĂ€nderbar ausgemacht ist, drittens massenmedial weiterhin nachhaltig tabuisiert bleibt und viertens fĂŒr die allgemeine Ăffentlichkeit wahrnehmbare âpositive KommunikationsÂleistungenâ (Herwig BĂŒchele SJ) demÂgegenÂĂŒber weitestgehend aus-bleiben, d.h. dieser Zustand folglich also auf breitester Front subjektiv so hingenommen wird, machen sich immer mehr Zeichen von Unlust, UnÂzufriedenheit, immer massivere Regressionen[4], innere Zerrissenheit, InnenweltÂverschmutzungen und ein hoher WellenÂgang an Rechtspopulismus breit â und zeigen Wirkung bis weit in diejenigen Schichten hinein, die sich derzeit von den Kirchen anÂgesprochen fĂŒhlen.
Was also heiĂt es auf dem Hintergrund einer solchen Weltzeit an einem Erntedanktag die frohe Botschaft von einem neuen Himmel und einer neuen Erde, in denen universale Gerechtigkeit wohnt und von der seufzenden Schöpfung, die auf ihre Erlösung harrt, auszusagen?[5] Wenn damit nicht wirklich die Zeit fĂŒr eine neue dialektische Theologie gekommen ist, so sollten wir mindestens wieder einmal etwas wagen â und darin hörbereit, neugierig und âmehrsprachigâ werden. Bereits die Vielfalt der Schöpfung lĂ€sst erahnen, wie vielfĂ€ltig Gottes Wirken in dieser Welt ist. Doch vorerst zurĂŒck zur AufschlieĂung des katholischen Evangeliums-Textes.
Exegetische Anmerkungen zu Kontext und Skopus von Lukas 17, 5-10 auf dem Hintergrund biblischer theonomer Autonomie
Schon in Lukas 16, 14f. geht es gegen Geldgier und Selbstgerechtigkeit. Lukas 16, 19-31 hat den Himmel geerdet. Diese Dinge provozieren bis heute, vermutlich weil den meisten nicht an dem Armen liegt und vielen von ihnen im Grunde ihres Herzens klar ist, dass sie entweder der unbeÂfragten Fortschreibung religiöser Traditionen oder den imperialen Gewohnheiten der globalen KonsuÂmentenkaste nĂ€herstehen als dem Evangelium.[6] Im bald nach unserer Perikope folgenden Gleichnis vom PharisĂ€er und ZollpĂ€chter 18,9-14 werden selbstherrliche Ăberheblichkeit religiöser DeutungsansprĂŒche aus dem Kreis der religiösen Eliten und eine evtl. Umkehrbereitschaft der ökonomischen NutznieĂer in einer Ă€uĂerst angeÂspannten Imperiums-Situation verhandelt, auf die es biblisch gesehen beides ankommt. Das heutige Evangelium der katholischen Leseordnungformuliert in einem solchen Kontext recht abrupt und undiplomatisch: Aus all dem errettet offenbar nur ein einziger klarer, keinesÂwegs warm, weich und bĂŒrgerlich daherkommender, in seiner UnmissÂverstĂ€ndlichkeit gewiss quer durch die Zeiten anstöĂiger Gedanke: Der Mensch ist (kreatĂŒrlich, d.h.) geschaffen, um dem Willen Gottes zu dienen. Worin der alte Katechismus Recht hatte, es aber zu wenig lebenspraktisch zu explizieren vermochte: Darin findet sie/ er zu ihrer/ seiner höchsten ErfĂŒllung. Nichts darunter vermag dies. Dieses sich geheimnisvoll in-Dienst genommen wissen ist die ErlebensÂform, die befreit aus jener aktual absurden Weltzeit, welche alles mit LĂ€hmung zu ĂŒberziehen droht. (siehe EinfĂŒhrung). Insofern sind Mystik und Orthopraxie das Gebot der Stunde; gefragt sind weniger Lehr- als Lebemeister.
Das Evangelium stellt diesbezĂŒglich wohl nicht umsonst die Verse 5f. noch voran, die vom Wachstum bzw. der KlĂ€rung des Glaubens sprechen. Sie gehören zwar nicht unmittelbar zum Gleichnistext. Da sie ihm aber offenbar bewusst vorgeordnet wurden, lassen wir uns einmal darauf ein, sie als eine Art Motto und Leseanweisung zu nehmen. Zum Ausgangs- und SammÂlungspunkt, zur Schale mit der der Ertrag der dann folgenden Rede/Beispielgeschichte Jesu eingeÂfasst wird, wird damit die Bitte, den Glauben zu âmehrenâ (im Sinne von die Treue versammeln bzw. konzentrieren), weniger zu âverleihenâ (MĂŒnchner Neues Testament) oder zu âstĂ€rkenâ (EinÂheitsĂŒbersetzung in Anlehnung an Luther). Das Motiv vom Glauben als winziges Senfkorn wird aufÂgenommen (Joh 13,9); selbst ein so unscheinbarer und schwacher Glaube wie derjenige, mit dem das Reich Gottes zu wachsen beginnt, ist fĂ€hig, das Unmögliche zu vollbringen und einen Baum ins Meer zu pflanzen. Die Apostelbitte, den Glauben hervortreten zu lassen, wirkt Ă€hnlich derjenigen im evanÂgelischen Perikopentext, den die Schwestern angesichts des vorzeitigen Todes ihres offenbar geliebten Bruders an Jesus richten, den Jesus doch auch liebgehabt habe. Er aber erweist sich, wenn man ihn existenziell erfragt, als die tiefste Nachhaltigkeit. Er ist die Auferstehung und das Leben. Wer daran glaubt, ist bereits in seiner Herrlichkeit, wird dort dann ein paar Verse spĂ€ter deutlich. AusÂgerechnet das Nutzlose und das Unscheinbare sind dazu erwĂ€hlt, am Anfang dieses Reiches Gottes zu stehen. Es ist â entgegen der in heutiger Welterfahrung zentralen Figuren von GrĂŒblern, SelbstÂbezogenen, NarzisstInnen, Rechtspopulisten, Ăberforderten, Depressiven, WutÂbĂŒrgern und ProtestÂwĂ€hlerInnen - kein Hindernis fĂŒr das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, gerade hier anzusetzen.
So wird zur Frage an uns Heutige: Woran machen wir uns derzeit fest, und zwar unsere AusÂeinanderÂtreiber, unsere Mittelklassen und unsere AbgehĂ€ngten? Aber auch unsere kulturÂprĂ€genden KrĂ€fte, unsere bevorzugten Weisen des Zusammenlebens, unser ökoloÂgiÂsches BewusstÂsein: An Marduk â Zeus â Jupiter â Baal,d. h. an ausschweifender und ruhmÂsĂŒchtiger, gedankenlos-gnadenloser Luxurierung, der immerfort externalisierenden und ausÂblenÂdungsÂbereiten BewirtÂschafÂtung der Natur und der Zeit, d.h. an Erfolg, an Rendite/Profit, an WachsÂtum, Wissenschaft und Technik? Auf einer individuellen Ebene wĂ€ren die entsprechenden OrientierungsÂpunkte dann Lebensstandard, Ansehen, politische (VerfĂŒgungs-)Macht, Karriere, Einfluss, Lobby? Und die GlaubensÂsĂ€tze dazu wĂ€ren: «Alles ist möglich!» / «Neben uns die Sintflut» / «Wir können alles und es steht uns auch ununterbrochen und immerzu zu..» / «Unser Lebensstil steht nicht zur Disposition.»!Oder aber gelingt es uns als lebbar und attraktiv, als erlösend und emanzipatorisch zugleich zu erweisen: die Existenz festmachen am âZusammenhaltâ, am Projekt Gottes einer geschwisterlichen Welt, an der herrschaftsfreien Herrschaft des «Reiches Gottes»? Wenn ich das alles âpersönlichâ ausdrĂŒcke, dann heisst es âIch glaube an bzw. ich setze meine Karten auf WirtschaftsstĂ€rke, Macht, politische Herrschaft, gesellschaftliches Ansehen etc. â oder aber ich setze meine Karten auf Zusammenhalt, auf Geschwisterlichkeit aller mit allen, auf die Gestaltung einer ganzheitlichen (Human-)Ăkologie, wie Papst Franziskus dies so beredt anmahnt![7]
Es scheint derselbe Gedanke, der gut jĂŒdisch in der Mischna gegenĂŒber der Weisung Gottes in seiner Tora auch bereits existierte, lediglich hier nochmals eine christliche Form annimmt: Das VerhĂ€ltnis des Knechtes zu seinem Herrn bestimmt, wer er ist und wozu er gut ist. Die Beziehung zum Herrn macht insofern ganz frei zum Dienst, als es ja jener Jesus Christus ist, der sich wiederum selbst erniedrigt, um wie die Menschen ein Knecht und Sklave zu sein â eben ÎŽÎżáżŠÎ»ÎżÏ (Phil 2,7).
Was davon berĂŒhrt, ist: Erst wenn wir zur Lebensfreude eines Lebens mit Gott erwacht sind â und dies zu wecken, darauf kommt es an - können wir diese Art von dialektischer Theologie wohl verstehen â und annehmen. Dann jedoch macht es Sinn â und befreit auf einer höheren Ebene des Seins, lĂ€sst eine christliche Spielart jener heute so vielfach ersehnten Lebenskunst entstehen, die bereichert, weil sie befreit. Noch dazu sind wir dann zu etwas anderem in der Lage, nĂ€mlich allen heutigen allzu oft von SchwĂ€che und Unterlegenheit gegen die MĂ€chte, Herren und Gewalten dieser Welt gekennzeichneten BemĂŒhungen um ein nachhaltiges Lebenszeugnis anstatt Zerrissenheit und Trippelschritten Selbstannahme und Tiefgang, weil (Heils-)Gewissheit und damit Nachdruck zu verleihen. Biblische Weisheit hat immer zur Voraussetzung, dass wir erkennen, dass etwas Wert hat. Dann kommen wir ins Lot. FĂ€llt dies jedoch aus, wird der Sinn verfinstert, beginnt das Leben an zahllosen Bruchstellen auseinanderzufallen. Da hilft das âEvangelium des Nettseinsâ wenig.[8]
Bleibt die Frage: Welche âKatastrophen in Ratenâ werden wir heutzutage brauchen, um Jetzt-Zeit-Propheten erstehen zu lassen und vor allem ernsthaft Hörbereite, aber auch Klagende, die nachhaltig ausrufen: Warum wird Tag fĂŒr Tag das Recht verdreht, ohne dass sich die TĂ€ter fĂŒrchten mĂŒssen? Warum nur dĂŒrfen die 1% weltweit und national sich mit Gott verwechseln? Diese Fragen gelten unseren heute besonders tief eingeprĂ€gten Vorerwartungshaltungen, die unsere NormalitĂ€tsÂerwartungen so sehr prĂ€gen. Und sie gelten bis heute dem, was wir âGottâ nennen. Und âGott selbstâ antwortet in der katholischen Leseordnung Habakuk, seinem angesichts von fortwĂ€hrendem Unrecht und Leid entsetzten Propheten, mit einem Wort, das zum SchlĂŒsselwort im Judentum und im Christentum geworden ist. Der Gerechte wird wegen seiner Treue, durch sein Gottvertrauen, leben (vgl. Hab. 2, 4b). Paulus beruft sich spĂ€ter auf diesen Satz. (Röm. 1, 17; Gal. 13, 2), aber auch der HebrĂ€erbrief (Hebr. 10, 37ff.). Die Rabbiner finden in diesem Wort gar die gesamte Tora mit ihren 613 Einzelgeboten wieder. Gott vertrauen, das bedeutet, der Gerechtigkeit treu bleiben, sich in der Treue versammeln, sich nicht vom Unrecht zum Unrecht verfĂŒhren lassen, wider den Anschein am Glauben festhalten, selbst noch angesichts von uneingeschrĂ€nkt herrschender struktureller Gewalt und den damit einhergehenden verengten Horizonten im Denken, FĂŒhlen und Handeln die Treue halten - dem treuen Gott, d.h. annehmen können, was angesichts unserer VorprĂ€gungen so schwerfĂ€llt, dass nĂ€mlich ein Sklave Gottes ein Freier fĂŒr die Menschen ist.
LebensbewÀhrung in heutigen ZeitlÀuften als ganz besonderen Focus in den Blick nehmen
Eindringliche BerĂŒcksichtigung muss meines Erachtens an dieser Stelle vor allem eines finden: Heute sprechen wir als Prediger in eine historisch sich noch einmal zur Gewöhnung an das Ăbel hin wandelnde Weltzeit hinein. Zum zentralen Drama unserer Zeit ist geworden: Das, was an sozio-ökonomischer Unordnung und ökologischer Ăberdehnung wie ein Alp auf der Welt lastet â der Rest der Menschheit besitzt weniger als einige immer weniger werdende Superreiche und der âworld overshoot dayâ kommt jedes Jahr frĂŒher â besetzt nun in gewisser Weise als anerkannter Normalismus eines imperialen Lebensstiles auch noch die InnenrĂ€ume â und droht, wachen und kreativ werden wollenden WiderÂstandsÂgeist zu ersticken.
Zum Beleg kann angefĂŒhrt werden: Emanzipation und Erlösung sind heute so etwas wie ein getrenntes Geschwisterpaar, das als âtraurige Tropenâ fungiert und sich im realen Leben im Recht jedes und jeder Einzelnen zu erschöpfen scheint, sich von den anderen zu unterÂscheiden. Eine âGemeinschaft der Herausgeputztenâ tritt das Erbe einer solcherart âprivatisierten Moderneâ an (Zygmunt Baumann). Emanzipation und Erlösung werden tragischerweise mehrheitÂlich nicht mehr als etwas verstanden, was wir durch Gesellschaft erlangen, sondern von der Gesellschaft. Das Ziel ist demzufolge auch nicht lĂ€nger die âVerbesserungâ der Gesellschaft oder die Vollendung der Menschen bei Gott, sondern die Verbesserung der eigenen Stellung in der Gesellschaft. Konkurrenz, nicht zusammen stehen in Treue vor Gott; wird zum privilegierten Modus des gesellschaftlichen Miteinanders, womit an die Stelle gemeinsamer ErtrĂ€ge aus kollektiven BemĂŒhungen der individuell angeeignete Wettbewerbsgewinn und das Abschirmen davon, dass dies nur auf Kosten anderer möglich ist, tritt. [9]
In jedem Fall wirft dies mit den Augen des Glaubens betrachtet mit aller nur vorstellbaren Macht die Frage danach auf: Wohin ist denn Gott â und was hilft dem Menschen? Die biblischen Texte des heutigen Sonntags halten eine beeindruckende Antwort darauf bereit, wenn mansiein diesem Kontext liest. Ob wir die Gnade der Dienstbereitschaft als Generalrichtung annehmen und uns gegenseitig dazu verhelfen können, sie in unser demgegenĂŒber oft so fremd gewordenes Leben einzubauen, das nicht mehr an Erlösung glauben mag und post-emanzipatorischen Bedingungen unterworfen ist, erscheint nicht einfach. Es wĂ€re indes die Anstrengung des Lebens wert. Und dabei ebenso dynamisch zu werden wie Gott selbst es bereits ist, in dessen Haus viele Wohnungen sind â und auf dessen Erde viele Heilswege.
Mehrsprachig werden
Daher sei das in diesen Predigtgedanken Angelegte zum Abschluss noch einmal in den Worten einer anderen ernst zu nehmenden HeilsÂsprache unserer Zeit zum Ausdruck gebracht, die den Vorteil bietet, dazu angetreten zu sein, manche Vernarbungen, emotionalen RucksĂ€cke, GewaltÂbehaftetheiten und anderweitige VerÂkarstungen des religiös-kirchlichen Zugangs der Vergangenheit in Quellen umzuwandeln. Dann hört sich dies z. B. so an: Jeden Tag begegnen wir den Wundern und den Wunden der Welt; manchmal ohne es ĂŒberhaupt zu bemerken. Nur wenn wir die Geschenke der Erde als solche erkennen, können wir dankbar und zufrieden mit ihnen sein. (biblisch-theologisch: âGeschöpflichÂkeit, Gotteskindschaftâ) Und allein das ist ein revolutionĂ€rer Akt (dienen) in einer Gesellschaft, die auf emotionalen Mangelkulturen, Konsum und Wachstum basiert. Nur wenn wir den Schmerz der Erde und ihrer Bewohner hören, können wir darauf antworten und verantwortlich werden. (biblisch: âauf die Lazarusse hörenâ, âAuferstehung und Leben schmeckenâ) Es ist lĂ€ngst klar, dass unendÂliches Wachstum auf einem endlichen Planeten nicht möglich ist, aber auch, dass MachtverhĂ€ltnisse auf beiden Seiten VerliererInnen erzeugen (biblisch: Ăberheblichkeit und SelbstherrÂlichkeit schaden auch demjenigen, der vordergrĂŒndig âgewinntâ.) und auch dass weiter machen wie bisher keine Option mehr ist. (biblisch: âGlaubt ihr nicht, so bleibt ihr nichtâ)
Indes: Der Wind des Wandels weht bereits und erreicht so langsam SturmstĂ€rke. (Pfingsten) EinigermaĂen sicher ist, dass z. B. âtransition townâ, âPermakulturâ, âbuen vivirâ, âdragon dreamingâ, âauthentic relatingâ, das Leitbild des âgerechten Friedensâ oder âder stumme Aufstandâ als Methoden und Praktiken sehr viel mehr Kulturbildendes hervorbringen und die StĂ€dte sehr viel schneller "infizieren" werden, sobald wir gemeinsam daran arbeiten, Lebensfreude zu generieren und die Zwangsjacken unserer emotionalen Mangelgesellschaft abzulegen. (neuer SeinsÂmodus als Dienende, neues Erntedankbewusstsein) Die neuen kulturellen Bewegungen können den Umgang mit sich selbst und mit anderen in der Gesellschaft grundlegend verwandeln und nicht nur den allgemeinen Umgang mit UmweltgĂŒtern und nicht nachwachsenden Ressourcen. Ein solcher PotentialentfaltungsÂprozess macht sehr viel Sinn, weil der Fokus zunĂ€chst auf Empathie und liebevoller Gemeinschaft liegt. (El statt Baal). Da haben allzu viele unter uns noch sehr viel Potential nach oben, weil so viele Emotionen verschĂŒttet sind oder unter der OberflĂ€che schwelen. Das ist zugleich ein enorm herausfordernder Prozess, der sehr viel tiefer geht als die bisher ĂŒblichen Selbstumkreisungen. Damit jedoch erst wird der Boden bereitet fĂŒr das gemeinsame Herausfinden von der Berufung â Gerald HĂŒther nennt das HochÂbegabung - jedes aktiven Mitglieds; ein Prozess, der auf völlig andere Art genauso spannend ist. Dann erfolgt die Transition, damit die groĂe Transformation rund wird: Alle unterstĂŒtzen sich gegenÂseitig, in ihre jeweilige Berufung hineinzuwachsen. Dazu braucht es enorm dringend empathischer und liebevoller WeggemeinÂschaften. Wichtig dabei: Eine solche Gemeinschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie das, was in dir und in deinem Kontrahenten abgelaufen ist, als Hilferuf und nicht als nervig zu verstehen imstande ist. Sie wĂ€chst dadurch nĂ€her zusammen statt auseinanderzudriften. Solcher Art Vergemeinschaftung brauchen wir â ob mit oder ohne Scott Peck, der dazu neuerdings stets herhalten muss.
Wenn wir uns verwurzeln in Dankbarkeit, VerÂletzlichkeit, Dienstbereitschaft und Verbundenheit und dabei flexibel und unÂdogmatisch bleiben, dann werden wir sturmfest werden und unsere Lebensmuster an BestĂ€ndigkeit zunehmen; zum Beispiel mit Hilfe von Methoden aus der Tiefenökologie (die Arbeit, die wieder verbindet, Joanna Macy), mit Hilfe von Heilungsritualen, aber auch dem âcultural mentoringâ, der ErlebÂnisÂpĂ€dagogik oder Naturverbundenheit (Jon Young). Mit Offenheit fĂŒr âradical honesty, liebevoll-radiÂkalen WiderÂstand, Ritual- und Körperarbeit, spiritueller Heilung sowie politischer BildungsÂarbeit werden wir einen Rahmen schaffen, indem wir uns fragen können: Was wird mein (neuer) Weg im Wandel sein?â âUnsere Berufung zu entdecken bedeutet, genau den Punkt zu finden, wo unsere eigene tiefe Freude sich trifft mit dem tiefen Verlangen der Welt.â (Frederik BĂŒchner)[10] Nur aus einer solchen Tiefenarbeit - ob sie nun nominell christlich ist oder nicht - wird echte NachÂhaltigkeit hervorgehen. Vorausgesetzt, dass wir den Geist wirken lassen, wo er will und selbst dabei mehrsprachig werden und bleiben; alles prĂŒfen, das Beste aber behalten. Mit Gottes Hilfe. Amen.
[1] Dorothee Sölle/Luise Schottroff, Jesus von Nazaret, MĂŒnchen 2000.
[2]Nach Oxfams Recherche gingen 82% des globalen Vermögenswachstums im letzten Jahr an das reichste Prozent, wohingegen die Ă€rmere HĂ€lfte der Weltbevölkerung â rund 3,7 Milliarden Menschen â leer ausging. Ein Prozent der WeltÂÂbevölkerung besitzt mehr als die HĂ€lfte des Weltvermögens. Vgl. https://www.oxfam.de/unsere-arbeit/themen/soziale-ungleichheit
[3] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/vermoegen-45-superreiche-besitzen-so-viel-wie-die-halbe-deutsche-bevoelkerung-a-1189111.html
[4] Eindrucksvoll und aufschlussreich dazu: Heinrich Geiselberger (Hg.), Die groĂe Regression: Eine internationale Debatte ĂŒber die geistige Situation der Zeit, Frankfurt 2017
[5] Herrlich unbelastet von den europĂ€ischen und durch die CSU auch nach Deutschland hineingetragenen âKleinkriegenâ um ĂberbietungswettlĂ€ufe an Unmenschlichkeit GeflĂŒchteten gegenĂŒber finden sich dazu eine Menge ernsthafter Anregungen, die mit der bundesdeutschen Kleingeistigkeit des Sommers 2018 so gar nichts gemein haben, in: Franz Gmainer-Pranzl, Sandra Lassak, Birgit Weiler (Hg.), Theologie der Befreiung heute, Innsbruck 2017.
[6] Vgl. T. R. Peters OP, Gott ist ein Zeitwort. Weltliche Schriftauslegungen, Ostfildern 2012, 100.
[7] Diese Grundgedanken knĂŒpfen an Pfr. B. Bollhalder an.
[8] Vgl. Johannes Hartl, Gott ungezÀhmt. Raus aus der spirituellen Komfortzone, Freiburg 2016, 37, 51.
[9] Die Gedankenfolge inspiriert sich an: Sabine Hark, Linke Trauerarbeit. Ăber die (Un-)Möglichkeit von SolidaritĂ€t in post-emanzipatorischen Zeiten, in: medico international Rundbrief 2/18, 44ff., hier: 44.
[10] Kompilation aus einer Ausschreibung nach SchwĂ€bisch Hall fĂŒr den Sommer 2018 sowie Ă€hnlichen Aufrufen und Erkenntnissen aus den zahlreichen neuen kulturellen Bewegungen jenes Sommers.