Christvesper / Christnacht bzw. Hl. Abend / Hl. Nacht (24.12.14)

Heiliger Abend und Heilige Nacht / Christvesper und Christnacht

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Vesper: Lk 2, 1-14 (15-20)
Nacht: Mt 1, (1-17)18-21(22-25)
Hl. Abend: Jes 62, 1-5
Hl. Nacht: Jes 9, 1-6
Abend: Apg 13, 16-17.22-25
Nacht: Tit 2, 11-14
Abend: Mt 1, 1-25
Nacht: Lk 2, 1-14

Vorbemerkung

Diese Zeilen werden im Sommer 2014 geschrieben, unter dem Eindruck der erneuten Eskalation des Konfliktes zwischen Israel und Palästina. Da das Christentum genau von dort stammt und sich auf die Schriften der Hebräischen Bibel stützt, fällt es mir schwer, den nahöstlichen Kontext bei der Betrachtung außen vor zu lassen. Wenn es wieder Weihnachten ist und die vorgesehenen Texte zu Gehör gebracht werden, ist der heiße Kampf hoffentlich wenigstens wieder zu einem kalten Krieg erlahmt. Vielleicht beginnt sogar ein „Licht der Gerechtigkeit“ zu glimmen.

Jes 62, 1-5

Der Prophet Jesaja ist deshalb mein direkter Anknüpfungspunkt.

Das Kapitel 62 gehört zum sog. 3. Teil des Jesaja-Buches. Der Teil setzt nach Stand der Forschung die Rückkehr der exilierten Israeliten voraus. Träume, bzw. Prophezeiungen sind golden, die Realität dagegen mühsam. Eine neue Souveränität der Israeliten entsteht nicht. Die Realität bleibt grau, deshalb muss das Volk (inklusive seiner Führung) wieder angefeuert werden, sich stärker anzustrengen. Zion, das ist die Chiffre für die Präsenz Gottes in der Welt, muss glänzen mit der Gerechtigkeit Gottes, die durch sein Volk geübt wird und durch die der Gott in Zion verherrlicht wird. Die Autoren dieses 3. Teiles des Jesaia-Buches litten am Ausbleiben der Heilswende für Zion. Sie zahlten für das Beharren auf der Verheißung den Preis der kompletten Loslösung von der konkreten politischen Geschichte und erwarteten eine gewaltige Wende durch Gott. Da die Naherwartung der Verheißungen jedoch nicht eintrifft, findet eine Eschatologisierung der Prophezeiungen statt.

Die Verstreuten/Vertriebenen werden auf Grund der Praxis der Gerechtigkeit heimkehren, und nicht nur die eigenen, die Völker werden künftig zu Israel hinzukommen. Dies ist eine Kernaussage der Kapitel 60-62. Der israelitische Monotheismus hat schon hier eine universale Komponente, ist nicht allein auf das Bundesvolk beschränkt. (Nach 66,18ff. werden die Völker die Herrlichkeit des Herrn in der Welt verkünden, sie können gar Priester werden.)

Bis zu einer solchen Läuterung aber gilt Jerusalem offenbar als die „Verlassene“ und das Land als das „Einsame“.

Die Parallelen zu den heutigen Zionisten drängen sich auf. Was ihr Erbe für sie bedeutet, müssen sie selbst deuten. Mein Herz schlägt trotzdem für diese meine „älteren Brüder und Schwestern“ (Johannes-Paul II). So möchte ich gern die unterstützen, in Zion selbst nicht schweigen können, bis Gerechtigkeit weithin zu sehen ist. (Im August 2014 gab es immerhin, zum Trotz allen Rassismen, aller Pogromstimmung gegen Araber und Dämonisierung Verständigungswilliger im Land der Zionisten eine Demonstration von 10 000den von Menschen, die auch nicht schweigen können, um ihres „Jerusalem“ willen – eine moderne Form der Prophetie. Da müssten in vergleichbarer Situation in Deutschland schon gegen 1 Mio. Menschen auf die Straße gehen.)

Und als Christ stehe auch ich in dieser Tradition und kann nicht schweigen - um Zions willen. „Jerusalem“ ist auch meine innere Sehnsucht, wenn auch nicht örtlich gebunden. Diese Tradition des Aufstehens für Gerechtigkeit und Frieden wird uns Christinnen und Christen bewusst in der Auferstehung und rückgeblendet im „Geboren-Werden“ des Juden Jesus, unserem Christus.

Apg 13, 16-17.22-25

Auch Paulus kann nicht „still sein, um Jerusalems willen“. Er ist erfüllt von der rettenden Botschaft Jesu. In Vers 46/47 wird die schon bei Jesaia anklingende Universalisierung der Heilsbotschaft offenbar: „…siehe, so wenden wir uns zu den Heiden. Denn so hat uns der Herr geboten (Jesaja 49,6): ‚Ich habe dich zum Licht der Heiden gemacht, damit du das Heil seist bis an die Enden der Erde‘“.

Mt 1, 1-25

Das Heil kommt von den Juden.

Jehoschua, kurz Jeschua, und dann im NT griechisch Jesus ist Programm: Gott ist Rettung. Der Name korrespondiert auch mit Josua, der das Bundesvolk ins Gelobte Land führt. Gott ist Heil in Jesus, er ist Immanuel, in ihm ist Gott mit uns. Durch den göttlichen Boten wird direkt in die Geschichte eingegriffen, diese Gottesnähe wird durch die gottergebene „Stiefvaterschaft“ Josefs für alle Zeiten gesichert.

Matthäus beginnt sein Evangelium mit einer genealogischen Abstammung Jesu vom Urvater Abraham und dem israelitischen Überhelden König David (Titel „Sohn Gottes“): dreimal 14 Generationen, 1. Aufstieg bis zum Königsglanz, 2. Abstieg bis in die Deportation, 3. erneuter (jetzt spiritueller) Aufstieg bis zu „Gottes geliebtem Sohn“ Jesus.

Und hier schließt sich der Kreis: Denn „dann sehen die Völker deine Gerechtigkeit und alle Könige deine strahlende Pracht. Man ruft dich mit einem neuen Namen, den der Mund des Herrn für dich bestimmt“ (Jes. 62,2).

Lk 2, 1-14 (15-20)

Der Klassiker wird dann bereits in der ev. Leseordnung vorgetragen.

Höhepunkt der 3. Vierzehner-Genealogiereihe ist Jesus, auch er kommt von „unten“, wie David, aber er krönt nicht eine säkulare Machtfülle, sondern setzt einen irdisch scheiternden Kontrapunkt. Ein „himmlisches“Heer (Vers 13) tritt auf und lobt Gott. Und dies ist nicht nur ein Kontrapunkt zu David, sondern auch zu den politischen Zuständen der Zeit.

Aufstände und Unruhen sind für die Zeit verzeichnet. Ein Judas, genannt der Galiläer, zettelt eine Intifada an, gleichzeitig radikalisiert sich die Gemeinschaft der frommen Judenbrüder. Aus ihren Reihen will Rabbi Saddok nicht fromm zurückstehen gegenüber der Galiläischen Liberation Organisation, des GLO–Führers Judas. Mit dem Aufruf Nr. 1 setzt er sich an die Spitze der Bewegung, ruft zu Steuerboykott und zivilem Ungehorsam gegenüber der Besatzungsbehörde auf. Und ehe er sich‘s versah, hatte er den militanten Arm der Juden-brüder gegründet, so etwas wie die heutige Hamas-Bewegung. Die Besatzer reagieren mit einer „Brecht ihnen die Knochen“ Strategie, 2000 der Terroristen, beziehungsweise aus dem Blickwinkel der anderen Seite, 2000 der Befreiungskämpfer werden von der Besatzungsmacht gekreuzigt. Ganz fromme Fundamentalisten wiederum zogen sich aus der Gesellschaft völlig heraus, lebten in Wüsten–Gemeinschaften ihren Antimodernismus und pflegten im übrigen militante Träume von einer Theokratie auf Erden.

Das war in groben Zügen ein aufmüpfig-aufrührerisch religiös–politisches Klima zur Zeit der Geburt Jesu, sozusagen eine jüdische Intifada. Es war eine unfriedliche, heillose Atmosphäre, in die hinein dieser Jesus geboren wurde, in der er aufwuchs. Und dennoch, oder deswegen wurde sein Leben und Wirken für Menschen seiner Zeit geradezu exemplarisch in Bezug auf Friedens– und Versöhnungsperspektiven. Das gilt für politische wie religiöse Perspektiven, nach denen sich die Menschen seiner Gesellschaft derart dringend sehnten, dass seine Umgebung glaubte, sie sei ihm geradewegs in die Wiege gelegt worden.

Und so texten die Zeitgenossinnen und –genossen eine Kindheitsgeschichte zusammen, die die Aufgabe hat, diese Überzeugung zum Ausdruck zu bringen. Sie lassen den Hirten durch einen Engel in der Retrospektive verkünden, woran sie auf Grund des Lebens und Wirkens Jesu fest glauben, nämlich:

„ Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkünde euch große Freude (...). Heute ist Euch in der Stadt Davids der Retter geboren.“

So steht es nun schwarz auf weiß als Glaubenszeugnis der Zeuginnen und Zeugen Jesu in der Bibel. Und ein weiteres wird zur Verstärkung hinzugefügt, nämlich dass die Engel von dieser Bedeutsamkeit bereits an seiner Wiege sangen:

„Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade."

 Johannes Borgetto, Mainz