„Der neue Ölmensch“

In der "ZEIT" erschien am 20.01.2017, dem Tag der Vereidigung des neuen Präsidenten der USA, ein Artikel "Der neue Ölmensch".

Mit der Person Trumps wird eine "Ideologie des fossilen Kapitalismus" in Verbindung gebracht und in dem Artikel als "existenzielle Gefahr" bezeichnet.

Existenzielle Gefahr?!

  • Ausschlachtung planetarer Ressourcen
  • Blockade zukunftsfähiger Initiativen

Parallel stellte Erzbischof Burger, Freiburg, am 18.01.2017 seine Vision eines klimaneutralen Bistums vor. Freiheit der Kontraste ...

Voranzustellen ist:

  1. Nicht nur das einleitend erwähnte Erzbistum Freiburg, sondern die meisten Partner-Landeskirchen und –bistümer von „nachhaltig predigen" engagieren sich (seit vielen Jahren) im Klimaschutz. Ob die Ansätze genügen, ist natürlich eine andere Frage.
  2. Wie unter dem Menüpunkt „Wasser für alle" der Startseite dargestellt, tragen Ölmenschen, die im ZEIT-Artikel beschrieben werden, über Klimawandel und die Förderung des Energiehungers nebenbei zum Wassermangel in Afrika bei.
  3. In diesem Beitrag wird die „Lebensphilosophie der Ölmenschen" unter dem Aspekt des Schwerpunktthemas „bedrohte Freiheit" betrachtet.
  4. Die Betrachtung macht sich nicht an einer Person fest, sondern weist auf die prinzipielle strukturelle Verankerung von Denkschemata, die Andere nötigen.

Die Freiheit, die Erde zukunftsfähig zu gestalten ...

ein Merkmal von Gerechtigkeit

1. Ausschlachtung planetarer Ressourcen

Würde man die Nachhaltigkeits-Forderung von Hans Carl von Carlowitz aus dem Jahr 1713, pro Jahr nur so viel Holz einzuschlagen, wie auch wieder nachwächst, auf den Verbrauch von Erdöl und Erdgas übertragen, hätte die Menschheit die Energiewende vollbracht und für alle Zeiten ausreichend Energie zur Verfügung. Es würde nur so viel fossile Energie verbrannt, wie durch die Sonneneinstrahlung an Biomasse jährlich nachwächst.

Bekanntlich findet dieses vernünftige Haushalten - mit Blick auf die nächsten tausend (oder hunderttausend) Jahre - nicht statt. Bedrohte Freiheit ist in diesem Zusammenhang auf zwei Ebenen zu sehen:

  1. zukünftige Menschheit bzw intergenerationell: Man könnte sich zwar auf den Standpunkt stellen, im Mittelalter lebten die Menschen auch ohne Erdöl. Also warum in tausend Jahren nicht auch wieder? Das Verbrauchen der fossilen Ressourcen einfach als planetare Epoche sehen? Inwiefern handelt es sich um eine Bedrohung der Freiheit? Die 300 bis 500 Mio. mittelalterlichen Menschen hatten zwar keine Autos, aber zum Heizen und Kochen Holz verbraucht. Für das Jahr 2100 – und nicht erst für 3000 n. C. – werden 11 Milliarden Menschen erwartet. Auch die Menschen 3000 n.C., 4000 n.C., ... möchten heizen und kochen. In allerkürzester Zeit wären sämtliche Bäume der Erde verbrannt, nicht einmal mehr Holz für das Anfertigen von Werkzeugen würde es geben ...

  2. jetzige Menschheit bzw. intragenerationell: zukunftsfähige Strategien werden durch die Gesetze der freien, aber nicht mehr sozialen Marktwirtschaft ausgeschaltet. Sinnvolle energieeffiziente und ressourcenschonende Technik ist „zu teuer": Anders herum wird ein Schuh daraus ...: Heute übliche Technik ist „zu billig", künstlich billig gemacht, indem die Zukunft ausgeblendet wird. Die Freiheit, anders zu leben, ist durch die „Ölmenschen" bedroht, weil sie die kulturellen Standards und die Bedingungen der Teilhabe und gesellschaftliche Diskurse determinieren.

Im Falle der bisherigen Erdgas- und Erdölvorkommen werden zwar ebenfalls Böden, Strände und Meere verseucht. Man konnte sich dabei aber auf den Standpunkt stellen, dass die Vorkommen in natürlichen Lagern vorhanden sind und daraus gehoben werden. Im Falle des Fracking (d. h. Hebung der Teeröl-Ressourcen) muss man vorher Gift in den Boden pumpen, damit der neue Trunk der Macht genossen werden kann. Es klingt wie ein schönes Märchen: Man verrühre Krötenschleim mit Spinnennetzen und vielem mehr und gewinne durch mehrstündiges Kochen im Schein des Mondes das Geheimnis der ewigen Jugend (Zutaten der Redaktion bekannt).

Bedrohte Freiheit: Durch das Denkschema der „Ölmenschen" werden die Ressourcen des Planeten zukunftsblind ausgebeutet. Das Denkschema reicht nicht weiter als eine Wahlperiode oder eine Erwerbsgeneration und verseucht Erde, Meere und Strände – durch Öl, Chemikalien und radioaktive Abfälle.

2. Blockade zukunftsfähiger Initiativen

Der wichtigste, hier zu nennende Aspekt von bedrohter Freiheit ist das dramatische Potenzial der „Ölmenschen-Philosophie", Innovation und zukunftsfähige Initiativen zu blockieren. Es verleitet zum Rückfall in die „Komfortzone", die in der Psychologie nicht deshalb so heißt, weil sie wirklich komfortabel im Sinne von erstrebenswert ist, sondern nur, weil sie den „gewohnten" Zustand repräsentiert.

Der Mensch hat die Tendenz, das bloße „Wiedererkennen" einer Situation prinzipiell als komfortabel wahrzunehmen. Die Ölmenschen steuern sich zurück in die Komfortzone, in das Bekannte, Vertraute hinein, ...

3. Fukushima, Asse, NAGRA und Weiterbetrieb von Kernkaftwerken

Wer den Dokumentarfilm „Furusato" von Thorsten Trimpop gesehen hat, der 2016 über eine geteilte Stadt am Rande der 20 km-Zone um Fukushima und ihre BewohnerInnen berichtete – wie sie ihr Leben riskieren und ihre Lebenserwartung aufgeben, um in ihrer Heimat zu leben, bekam vor Augen geführt, in welchem Ausmaß der einfache Betrieb von Kernkraftwerken Freiheit bedroht. Im Kontext des Reaktorunglücks als Folge einer bloßen Naturkatastrophe ist das Moment der Bedrohung überschritten. „Bedrohung" ist davor, sie ist der Alltag der „friedlichen Nutzung der Kernenergie". Wer im Film die schwarzen Plastiksäcke (!) gesehen hat, in denen strahlenverseuchte Erde von 1200 Quadratkilometern gelagert wird, bekommt ein unvergessliches Bild, wie „dramatisch irreversibel" die Freiheit nachfolgender Generationen bedroht und zerstört ist.

Dazu kommt die Endlagerung der regulären hoch radioaktiven Endprodukte dieser Energietechnologie „sicher" über Millionen von Jahren. Kernkraftwerke gibt es seit etwa 50 Jahren. Seitdem entstehen radioaktive Abfälle überall auf dem Planeten mit steigender Tendenz besonders im asiatischen Raum. Es gibt nirgends auf der ganzen Welt eine sichere Endlagerung, trotzdem werden Kernkraftwerke weiter gebaut und weiter betrieben. Wenn es nicht die Wahrheit wäre, könnte man nur verständnislos die Hände über dem Kopf zusammenschlagen! Tatsächlich legen wir sie aber gern in den Schoß, unsere gepflegten, eingecremten Hände, die Augen friedliebend geschlossen ...

„NAGRA" steht repräsentativ für den Schweizer Beschluss, dass eine Endlagerung für radioaktive Abfälle aus Kernkraftwerken, die in der Schweiz betrieben werden und die Schweiz mit Energie versorgen, auch in der Schweiz erfolgen muss. Dieser Aspekt einer Verursacherschuld liefert weitreichende Denkanstöße!

4. SUV & Smartphone, Kirchen & Earth Hour

In seinem 2016 erschienenen Buch „Ökoroutine" weist Dr. Michael Kopatz vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie darauf hin, dass es den Einzelnen überfordert, auf der Grundlage von Wissen und Appellen Klimaschutz umzusetzen. Stattdessen müsse sich dieser Prozess verselbständigen, damit sich die Dinge ändern.

Einen wichtigen Schritt in diese Richtung – Fokus auf strukturellen Wandel, nicht nur Appell – ging Erzbischof Burger, als er seine Vision eines klimaneutralen Bistums öffentlich verkündete. Die Hervorhebung dieses Datums soll in keiner Weise das Engagement vieler Diözesen und Landeskirchen im Bereich Klimaschutz zurücksetzen. Es macht nur auf besondere Weise anschaulich, was Kopatz in Bezug auf die Praxis festgestellt hat: Die Menschen gehen beim Klimaschutz gerne mit, es ist ihnen ein Anliegen! Die meisten sind aber überfordert, wenn sie vorangehen sollen.

Das Beispiel veranschaulicht einen wichtigen strategischen Unterschied: Das Gefühl vermitteln, bei etwas epochal Wichtigem dabei zu sein. Was spräche dafür, dass sich alle Diözesen und Landeskirchen dieser Vision anschließen? Es hätte Konsequenzen.

Bedrohte Freiheit

Gesellschaftliche Partizipation ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Wenn die SUV-und Smartphone-Welt typische Diskurse als Voraussetzung für Partizipation vorgibt und die Kirchen(gemeinden) keine attraktiven Alternativen bieten, um die Kreativität mit gerechtem Lebensstil zu verbinden, ist eine zukunftsfähige Verwirklichung beschränkt. Dass negative Trends ohne öffentlichen Widerspruch im kulturellen Raum existieren können, bedroht die Freiheit, denn Strukturen prägen das tägliche Dasein.

Kirche & Earth Hour

Ein auf den ersten und auch auf den zweiten Blick sinnvoller Denkanstoß ist die seit 2007 stattfindende "Earth Hour". Rund um den Planeten werden von den sich daran beteiligenden Menschen und Institutionen von 20:30 bis 21:30 Uhr für eine Stunde die Lichter ausgeschaltet. Besonders beeindruckend wirkt die Earth Hour, wenn Gebäude im öffentlichen Raum - wie etwa Kirchen - nicht mehr angestrahlt werden.

Die Kehrseite der jährlichen Erinnerung: Nach der Earth Hour geht es weiter wie bisher, man hat an einem Event teilgenommen, kann darüber reden ...

Es suggeriert, dass der betreffende Stromverbraucher so wichtig ist, dass er zwar einmal im Jahr eine Stunde ausgeschaltet werden kann, aber dann alles sein muss wie vorher. Die Zweitbotschaft ist letztlich problematischer als die Erstbotschaft, denn sie fördert das Denken in einem langfristigen Verharrungsmodus. Auch die Botschaft von Städten und (Kirchen-)Gemeinden an die BürgerInnen ist auf den zweiten Blick fragwürdig bzw. in gewisser Weise konterkariert - das Verhaftetsein im Gewohnten, das Zurückfallen in das Vorher, ist das genaue Gegenteil von nachhaltiger Entwicklung.

Wir beuten alle irdischen fossilen Energieträger aus, die sich über Jahrmillionen gebildet haben, mahnen und signalisieren gleichzeitig, nicht anders handeln zu können. Sachzwänge der bewährten Denkmuster? Wir investieren eine Stunde des Jahres, um dann für 8759 Stunden wieder entschuldigt zu sein!? Eine wirklich Aufmerksamkeit erzeugende und tragfähige Maßnahme im Sinne der Idee wäre, nach der Botschaft am Earth Hour-Abend die Einschaltdauer der fraglichen Beleuchtungen dauerhaft um eine Viertelstunde zu verkürzen, um zu zeigen: Es geht, dass man etwas  verändert - dass Energiewende bedeutet, wirklich Dinge anders zu machen als immer schon in den letzten dreißig Jahren.

Eine andere Botschaft wäre, die Anstrahlungszeit aller Objekte nach der Earth Hour pro Jahr um eine Minute zu verkürzen - aber dafür jeden anschließenden Tag. Das wären pro Objekt 365 Minuten, also fünf Stunden mehr pro Jahr als durch die Earth Hour-Aktion, aber "touristisch" kaum spürbar. In zehn (!!!) Jahren würde sich die Zeit der Beleuchtung pro Objekt um immerhin zehn Minuten verkürzen ...! Sicher ist das nur eine Energie-Baustelle, aber die Botschaft ist das Wichtige, das Signal, dass in die Bevölkerung gesendet wird: Änderung ist möglich, man kann das Gewohnte kritisch reflektieren und dauerhaft verändern. Das ist Energiewende und Wachheit für eine neue Zukunft.

Links:

"Der neue Ölmensch" (Artikel in der ZEIT-Online vom 20.01.2017)

Earth Hour - Link zu der koordinierenden Organisation; die nächste Earth Hour ist am 30. März 2019 geplant.

Earth Hour am 24. März 2018 in Berlin

"Furosato" - Internetseite zum Film mit Trailer und Aufführungsorten und -terminen

"Reise zum sichersten Ort der Erde" - Film über die globale Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle

Strategietag Kirchen Südwest