Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr / 32. Sonntag im Jahreskreis (07.11.21)

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr / 32. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Ps 85 1 Kön 17, 10-16 Hebr 9, 24-28 Mk 12, 38-44

 

Zum Sonntag: Nachdem die ganze Sonntage der Trinitatiszeit fortlaufend nummeriert wurden, Àndert sich bei den drei letzten Sonntage des Kirchenjahres die Perspektive: Sie werden im Sinne eines Countdowns vom Ende her gezÀhlt. Das Thema des Drittletzten Sonntags des Kirchenjahres ist die Sehnsucht nach dem Reich Gottes und die Frage, wann und wo es anbricht und woran sein Kommen zu erkennen ist.


Ps 85

Der Psalmist schaut zurĂŒck auf die Befreiung Israels aus Ägypten. Als unverdiente Gnade empfindet er diese Befreiung, also als etwas, was die Menschen nicht durch eigenes Handeln oder durch gewiefte Planung bewerkstelligt haben, sondern was Gott eingefĂ€delt und bewirkt hat. Der Beter ist sogar ĂŒberzeugt davon, dass die wohlverdiente Konsequenz aus dem Verhalten der Nachkommen Jakobs ein Verbleiben in Unfreiheit gewesen wĂ€re. Doch Gott handelte gnĂ€dig.

Nun steckt der Psalmist und mit ihm das ganze Land offenbar erneut in einer vergleichbaren Situation. Das Volk leidet, aber der Beter macht Gott keine VorwĂŒrfe, sondern er ist sich bewusst, dass man eigentlich nur das erntet, was man gesĂ€t hat.

Eine demĂŒtige Sicht auf die eigenen Möglichkeiten kommt hier zum Ausdruck. „dass GĂŒte und Treue einander begegnen und dass Gerechtigkeit und Friede sich kĂŒssen“ wird hier eben nicht als die menschengemachte Voraussetzung fĂŒr den daraus folgenden Segen Gottes gesehen, der dann einer Belohung gleich an die Menschen verteilt wird, sondern die Fruchtbarkeit des Landes und die ZustĂ€nde von Frieden und Gerechtigkeit sind Ausdruck der Gnade Gottes und seines Segens.

Und doch steht Gottes Handeln im Zusammenhang mit menschlichem Tun. In Vers 10 heißt es: „Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fĂŒrchten, dass in unserem Land Ehre wohne“.

Die „Gottesfurcht“ ist die Haltung, die den Unterschied bewirkt. Damit ist hier nicht die Angst vor göttlicher Strafe gemeint, sondern Ehrfurcht vor Gott im Sinne von Respekt. Gemeint ist eben jene Haltung der Demut gegenĂŒber den eigenen Möglichkeiten, die der Psalmist in seinem Gebet zum Ausdruck bringt. Der Mensch verbockt so manches und vieles, was gut gemeint war, bewirkt am Ende das Gegenteil dessen, was es bewirken sollte. An den meisten kleinen und großen Schlamasseln in die der Mensch gerĂ€t, ist er bei genauem Hinsehen eigentlich doch selber Schuld.

Die Geschichte der Menschheit bietet wenig Raum fĂŒr Hochmut oder gar Überheblichkeit, dafĂŒr umso mehr Anlass fĂŒr Bescheidenheit und Demut: Herr, zeige uns deine Gnade und gib uns dein Heil.


1. Kön 17, 10 – 16

Das Motiv der nicht versiegenden Lebensmittelversorgung kommt in zahlreichen biblischen aber auch außerbiblischen Geschichten vor. Sei es die Versorgung der Israeliten in der WĂŒste mit Manna und Wachteln, sei es die Speisung der 5000 im Neuen Testament oder das MĂ€rchen vom Tischlein-deck-dich der GebrĂŒder Grimm. Die Erfahrung von Hunger und Not und die Sehnsucht nach einer sicheren Versorgung kommen in diesen ErzĂ€hlungen zum Ausdruck. Wie tief verwurzelt diese Angst vor dem Ausgehen von Lebensmitteln auch in unserer Wohlstandsgesellschaft mit ihrer Agrar- und Lebensmittelindustrie noch immer ist, konnte man 2020 bei den HamsterkĂ€ufen wĂ€hrend der Coronapandemie beobachten.

Kern dieser ErzĂ€hlung ist das Vertrauen der Witwe, trotz aller Not ihre letzten VorrĂ€te nicht zuerst fĂŒr sich und ihren Sohn zu verwenden, sondern sie einem Fremden zu ĂŒberlassen.

Teilen vermehrt das Geteilte. Diese Aussage widerspricht jeder Lebenserfahrung und erscheint naiv und widersinnig zu sein. Trotzdem taucht sie ĂŒber die Jahrhunderte in so vielen ErzĂ€hlungen, MĂ€rchen, Legenden und Mythen auf, dass es schwer fĂ€llt, zu behaupten, dass diesen Texten keinerlei Lebenserfahrungen zu Grunde liegen wĂŒrden. Menschen machen offenbar immer wieder die Erfahrungen, dass sich solidarisches Teilen mittel- und langfristig als die bessere Option gegenĂŒber egoistischer Besitzstandwahrung erweist, und dass sich Teilen in der Not letztlich auch fĂŒr den, der etwas abgibt, nicht als Nachteil erweist. Dass eine Kultur der SolidaritĂ€t, die das Wohl des Kollektivs ĂŒber die Interessen des Individuums stellt, besser gegen Krisen gewappnet ist als eine weitgehend individualisierte Gesellschaft, ist eine der Lehren der letzten Jahre.


Hebr 9, 24 – 28

Blut tilgt Schuld. Das Opferdenken antiker Kulturen erscheint uns auf den ersten Blick fremd und archaisch. Priester töten im industriellen Maßstab Tiere, deren Blut dazu dient, die Beziehung der Menschen mit Gott in einer Art Balance zu halten. Opfer als Gegengewicht fĂŒr eigene Verfehlungen. Blut als Reinigungsmittel des eigenen Gewissens. Ein Kultbetrieb als Preis der individuellen und kollektiven Freiheit zum gottlosen Handeln. Ist uns das wirklich so fremd wie es auf den ersten Blick scheint?

Haben nicht auch wir unsere Kompensationssysteme, mit denen wir unser Gewissen beruhigen und ablenken von dem, was uns eigentlich Gewissensbisse machen sollte?

Wir kaufen Fairtrade und beruhigen unser Gewissen damit, dass die Kakaobauern dadurch ein paar Prozent mehr Einkommen erhalten, obwohl wir genau wissen, dass auch dieses Extraeinkommen die Menschen nur von existenzgefÀhrdender Armut in relative Armut aufsteigen lÀsst.

Wir trennen brav unseren MĂŒll und nennen das auch noch Umweltschutz, bis uns die nĂ€chste Dokumentation vor Augen fĂŒhrt, auf welche MĂŒlldeponien der Welt unsere gelben SĂ€cke tatsĂ€chlich exportiert und gelagert werden.

Wir sollten uns hĂŒten vor der Arroganz zu glauben, es gĂ€be in unserem modernen Leben keine Schuld mehr, die es zu tilgen gilt. Die Strukturen unserer modernen Gesellschaften produzieren tĂ€glich mehr Opfer als alle antiken Tempelkulte der Antike zusammen. Wir haben einen vergebenden Gott nötiger denn je, nur das Bewusstsein dafĂŒr droht uns verloren zu gehen.


Mk 12, 38 – 44

Das Gleichnis vom Scherflein der Witwe bedarf keiner großen ErklĂ€rungen. Es geht um Relationen und um VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeiten, die wir im Alltag immer wieder mal aus den Augen verlieren. Was ist viel? Was ist wenig? Was ist angemessen?

Bekanntlich ist nicht alles, was hinkt, ein Vergleich, aber manchmal lohnt es sich eben doch, auch Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Beurteilen lebt vom Vergleichen. Ohne Vergleiche fehlen uns die MaßstĂ€be, um zu beurteilen und ohne Beurteilung ist es unmöglich, etwas Wert zu schĂ€tzen und den Dingen damit einen Wert beizumessen. Wir bewerten und vergleichen uns mit anderen, andere mit uns und andere untereinander. Wir vergleichen und bewerten Menschen, Dinge, Ereignisse und Taten. All das ist unvermeidbar und gehört zum Menschsein. Das ist es aber auch nicht, was Jesus anprangert. Jesus legt hier den Fokus darauf, wie leicht wir uns in unseren Beurteilungen vom Offensichtlichen blenden lassen und das Eigentliche ĂŒbersehen. Auf unsere MaßstĂ€be kommt es an: Werden wir bei unseren Vergleichen und Bewertungen tatsĂ€chlich denjenigen gerecht, die wir bewerten oder folgen wir dabei nur unseren Vorurteilen und stereotypen Klischees?

Der Schein kann trĂŒgen – und zwar in beide Richtungen. Hinter der Fassade aus frommer GottesfĂŒrchtigkeit kann sich ebenso herzlose Unbarmherzigkeit verbergen wie sich hinter der scheinbaren Knauserigkeit der Witwe in Wahrheit selbstlose GroßzĂŒgigkeit verbirgt.

Dirk Reschke, Hornbach