Nicola Wiebe (Brot für die Welt): Gäste erster und zweiter Klasse?

Nicola Wiebe, seit 2015 Referentin für Soziale Sicherheit / Internationale Sozialpolitik bei Brot für die Welt

Gastfreundschaft –  Gemeinsam Gut Leben

Wir alle haben das gleiche Gastrecht auf dieser Erde. Alle Menschen verfügen - bei aller Verschiedenheit - über die gleichen Rechte und die gleiche menschliche Würde. Es geht darum, als gleichwertig anerkannt und behandelt zu werden - unabhängig von sozioökonomischem Status, Herkunft, ethnischer Zuschreibung, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung, dem Gesundheitsstatus oder der Religion.

Unter den bestehenden Bedingungen extremer sozialer Ungleichheit sieht die Realität jedoch häufig ganz anders aus. Die Rettung von Menschenleben im Mittelmeer wird aus politischen Erwägungen heraus kriminalisiert. Der Zugang zu lebensrettenden Medikamenten und Impfstoffen wird durch den Schutz von Gewinninteressen für viele Menschen im globalen Süden erschwert. Die absehbare Vernichtung der Lebensgrundlagen exponierter Küstenbewohner_innen durch den Klimawandel wird hingenommen. Humanitäre Hilfe wird zusammengestrichen, obwohl sie bereits jetzt nicht ausreicht, das Überleben der Menschen in extremen Notlagen sicherzustellen. Der Wert menschlichen Lebens wird implizit mit verschiedenem Maß gemessen und ökonomischen Interessen untergeordnet. Das ist ein Angriff auf die menschliche Würde.

Die biblische Vision von Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit ist grundlegende Orientierung der Arbeit von Brot für die Welt. Dabei standen die Reduzierung der Armut und die (Selbst-)Ermächtigung derer, die benachteiligt und ausgegrenzt werden, immer im Mittelpunkt. Jedoch lassen die Kollateralschäden der historischen und der gegenwärtigen „Reichtumserzeugung“, für die unsere gewählten Regierungen Verantwortungen tragen und von deren Früchten wir im globalen Norden profitieren, viele Anstrengungen unserer Partnerorganisationen weltweit immer wieder zu Sisyphusarbeit verkommen. Durch die bestehende Wirtschaftsordnung werden viele Elemente zementiert, die Armut und Ungleichheit hervorbringen und reproduzieren. Gewinnmaximierende Akteure neigen dazu, ökologische und soziale Kosten zu externalisieren, sie an die Gemeinschaft weiterzugeben, sie in andere Länder zu exportieren oder zukünftigen Generationen aufzubürden.

Das stellt uns vor die Aufgabe, grundsätzlicher umzudenken. Wir benötigen konkrete Wege zum Abbau von Ungleichheiten und ein neues Leitbild, das die ökologischen Grenzen und die Idee einer solidarischen Gesellschaft und gerechten Weltgemeinschaft respektiert. Wie es im südamerikanischen Konzept des „guten Lebens“ („buen vivir“) seinen Ausdruck findet, sollte es immer um das Recht auf gutes Leben für alle gehen. Zentral ist ein gemeinschaftliches Leben im Gleichgewicht, nicht auf Kosten unserer Gastgeberin Erde oder auf Kosten des guten Lebens anderer Gäste.

Weiterführende Links:

Im Dialog mit der Politik Veränderung bewirken (Einstiegsseite zur politischen Arbeit von BfdW)

Die Kluft zwischen Arm und Reich überwinden (BfdW-Policy zu Ungleichheit, PDF-Datei)

Social Protection – Churches called to action for a just society (Youtube-Video, ca. 5 Min.)

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