Gründonnerstag (14.04.22)

Gründonnerstag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
1 Kor 10,16-17

Chrisam-M.: Jes 61, 1-3a.6a.8b-9
Abendmahl-M.: Ex 12, 1-8.11-14

Offb 1, 5-8
1 Kor 11, 23-26
Lk 4, 16-21
Joh 13, 1-15

 

Das letzte Mahl Jesu im Kreis seiner Jüngerinnen und Jünger, als Passamahl am Vorabend der Kreuzigung gefeiert, stiftet Gemeinschaft. Seine Wiederholung in der Gemeinde soll Christus erinnern und in der Mahlgemeinschaft vergegenwärtigen. Die versöhnte Gemeinschaft des Abendmahls reprä­sen­tiert Christi Leib und macht Glauben körperlich erfahrbar: Die Essenden haben teil am Leib Christi, verbinden sich zu einer Körperschaft, in der die einzelnen Glieder einander seelsorglich beistehen und materiell helfen. Gemeinsam stehen sie auf gegen die Zerstörung der Schöpfung und gegen Elend, Leid und Ungerechtigkeit und arbeiten am Reich Gottes in der Welt, denn Christus macht aus ihnen dieses Reich (Offb 1,6).

1 Kor 10,16–17

Huldrych Zwingli rekurriert in seinem Brief vom 18. August 1524 an den Fürstbischof von Konstanz Hugo von Hohenlan­den­berg auf ebendiese Briefstelle von Paulus. Das Brot, unterei­nan­der geteilt, vereinigt die Gemeinde zu einem Leib. Darum geht es Zwingli im Abendmahl: Nicht dass Gott ein Opfer dar­ge­bracht wird, auch nicht, dass Christi Leib von uns gegessen wird, sondern dass wir untereinander «einhellig» werden und uns in einen Leib verwandeln lassen.

Diese Ausdrucksweise, die Christus nicht als Gegenüber der Gemeinde sieht, sondern die Gemeinde mit Christus zusam­men­denkt, ist auch in anderen Sätzen von Paulus zu entdecken. Wenn Paulus schreibt: «Ihr habt Christus angezogen» (Gal 3,27) oder «Christus gewinnt in euch Gestalt» (Gal 4,19), dann werden wir in ein Geschehen involviert, das uns betrifft und uns braucht. Zwingli geht es um diese Dynamik des Christus­geschehens. Er will die Präsenz Christi im Abendmahl nicht in eine Substanz bannen, in Brot und Wein, das den einzelnen wie eine Arznei verabreicht wird, sondern Christus wird im Abend­mahl präsent in einem Geschehen, das uns untereinander verbindet.

In der gelebten Gemeinschaft haben wir teil am Leib Christi, sind wir Leib Christi, und dies nicht nur beim Abendmahl, son­dern auch im Wirken in der Welt. Das Abendmahl ist Wahrzeichen und Pflichtzeichen und beauftragt uns, gestärkt mit Brot und Wein, für die Gemeinschaft tätig zu werden, für eine «versöhnte Gemeinschaft», wie Zwingli es nennt, in der jeder und jede sich entfalten kann und in der die einzelnen Glieder einander Sorge tragen.

Jes 61,1–3a.6a.8b–9

Tritojesaja verkündet das Evangelium für die Elenden: Gottes Geist nimmt in der Welt Raum und befreit Gefangene, heilt Gebrochene, tröstet Trauernde. Die neue Gemein­schaft der Gesegneten hat Zukunft (V 9), eine Zukunft, die bis in unsere Gegenwart reicht. Die Gemeinschaft des Abendmahls setzt sich auch nach dem Mahl fort als geistgewirkte Gemeinschaft, in der Menschen andere von Unrecht befreien, Gebrochenes ganz machen und einander Trost spenden und in der Flüchtende einen Ort finden zum Bleiben und Wirken.


Lk 4,16–21

In der Kraft des Geistes kehrt Jesus aus der Wüste nach Galiläa zurück und liest in der Synagoge von Nazaret aus Jes 61: «Heute ist dieses Schriftwort erfüllt.» Im Wirken Jesu ereignen sich Befreiung und Heilung. Das göttliche Wort erfasst Jesaja, strebt nach Zukunft, erfüllt sich in Jesu Wirken und ruft uns heute in die versöhnte Gemeinschaft. Über die Zeitachse hinweg nimmt es Menschen in seinen Dienst.


Ex 12,1–8.11–14

Jesus feiert am Vorabend zu seiner Kreuzigung mit seinen Jüngerinnen und Jüngern das Passamahl.

Das Buch Exodus berichtet, wie Gott das Volk der Hebräerinnen und Hebräer aus der ägyp­tischen Knechtschaft befreit. Es ist schliesslich die letzte von zehn fürchter­lichen Plagen, die die Flucht aus Unter­drückung und Sklaverei ermöglicht (Ex 11,4f). Gott, der dieses Gericht vollstreckt, verspricht jedoch, an jenen Häusern vorüberzugehen (pāsaḥ), deren Türpfosten mit dem Blut eines geschlach­te­ten Lamms bestrichen sind, Mensch und Vieh sollen vor dem Gericht verschont werden. Es geschieht so, und später, im Land angekommen, erinnert sich das Volk, wie es aus der Sklaverei befreit wurde. Jeweils am 14. Tag des ersten Monats opfert jede Hausgemein­schaft im Tempel ein Passa-Lamm und isst es gemeinsam am Abend im Gedenken an jene Nacht und an die Befreiung aus der Knechtschaft.

Sowohl bei Paulus als auch im Johannesevangelium wird Jesus mit dem Passalamm identifiziert. Paulus schreibt der Gemeinde in Korinth: «Denn als unser Passalamm ist Christus geopfert worden» (1Kor 5,7). Und Johannes erzählt, dass die Kreuzigung Jesu nicht, wie es die anderen drei Evangelien beschreiben, auf den Tag nach dem Passamahl fiel, sondern einen Tag früher stattfand, und zwar zu der Zeit, als auch die Passalämmer im Tempel geschlachtet wurden. Da Jesus bereits nach kurzer Zeit stirbt, wird ihm im Unterschied zu den anderen beiden Gekreuzigten kein Knochen zerbrochen, genauso, wie es der Umgang mit den Passalämmern erfordert (Ex 12,46).

Passamahl und Abendmahl erinnern beide an das befreiende Geschehen der Herausführung aus der Knechtschaft in die Freiheit. Das Blut des Lamms verschont vor dem Gericht und eröffnet eine versöhnte Gemeinschaft mit Gott, in der die Menschen frei sind und miteinander tatkräftig am Reich Gottes wirken.

Offb 1,5–8

Auch dieser Text aus der Offenbarung erzählt vom neuen Königreich (V 6: basileia), das Christus «aus uns gemacht hat». «Durch sein Blut von unseren Sünden erlöst»: Das lässt sich auch so erzählen, dass Gott in Christi Tod den Widerspruch der Welt gegen seine Basileia an sich ertragen hat und seinen Zorn und sein Gericht nicht dagegensetzte. Vielmehr appelliert der Gekreuzigte an die Widersprechenden, sich mit Gott versöhnen zu lassen (2 Kor 5,20). Es ist an uns, am Reich Gottes zu arbeiten, Menschen und die Schöpfung zu befreien, um in diesem Reich gemeinsam mit Christus wieder vom Gewächs des Weinstocks zu trinken (Mk 14,25; parr).

1 Kor 11,23–26

Die Feier des Mahls stärkt uns, am Reich zu arbeiten, Christi Leib in der Welt zu leben und andere teilhaben zu lassen an dieser Gemeinschaft, «bis dass er kommt». Der Arbeit am Reich Gottes ist dessen volle Präsenz verheissen.


Joh 13,1–15

Die Fusswaschung, bei Johannes anlässlich des letzten Mahls am Vorabend zum Passafest, setzt die Gemeinschaft ins Bild. Der Höchste wäscht seinen Dienern die Füsse und fordert sie auf, seinem Beispiel zu entsprechen. Christus liebt die Seinen «in der Welt» (V 1) und erweist ihnen seine Liebe «bis zur Vollendung». In die Welt gestellt, ist die Gemeinde Christi gerufen zu lieben, einander die Füsse zu waschen, den Niedrigen zu dienen und versöhnte Gemeinschaft zu leben.

Dr. Esther Straub, Zürich