Karfreitag
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung |
Mt 27,33-54 | Jes 52, 13 - 53, 12 | Hebr 4, 14-16; 5, 7-9 |
Gedanken zum Karfreitag
Der Karfreitag (althochdeutsch kara ‚Klage‘, ‚Kummer‘, ‚Trauer‘) wird auch stiller Freitag, schwarzer Freitag oder hoher Freitag genannt. In vielen Gemeinden wird der Karfreitag dementsprechend in Stille (schweigende Glocken, Orgeln…) gefeiert und auf Antependien, Kerzen, Blumen und allen Altarschmuck verzichtet. Nacktes Holz und kahle Steine verweisen auf das ungeheuerliche Geschehen an diesem Tag.
Zusammen mit den umgebenden Feiertagen (Gründonnerstag, Ostersonntag und Ostermontag) stellt er das höchste Fest des Kirchenjahres dar. Karfreitagsaspekte zur Nachhaltigkeit lassen sich heute vor allem im Gesamtkontext dieser Festtage und ihrer Bedeutung entwickeln. Interessant ist jedoch der Gedanke, dass mit dem Tod Jesu am Kreuz für die biblisch bezeugten Beteiligten – zumindest im Augenblick des Geschehens – der Eindruck eines nachhaltigen, sprich endgültigen Scheiterns des Wanderpredigers entstanden sein müsste. Aus Perspektive einiger Jünger ist die „Jesusgeschichte“ am Kreuz zum Ende gekommen, so dass sie in ihr altes Leben zurückkehren (Lk 24,13). Für Diejenigen, die Jesus nach dem Leben trachteten (Lk 22,2), muss sich die Kreuzigung wie ein endgültiger Sieg über ihn angefühlt haben. Im Gesamtkontext der Festtage ist das vermeintlich nachhaltige/endgültige Scheitern im Sterben Jesu die Basis für die nachhaltige/endgültige Überwindung des Todes.
Gedanken zu den einzelnen Texten
Zu Matthäus 27, 33-54
Der Predigttext aus dem Matthäusevangelium erzählt die konkrete Sterbegeschichte Jesu am Kreuz. Als Zeugen des Todes Jesu werden diverse Personen genannt: Vorübergehende, die Vollstrecker des Urteils, die Schächer, die mit ihm gekreuzigt werden, Hohepriester und Schriftgelehrte… Der Ausdruck ihres Zeugnisses beginnt vor allem mit Spott und Lästerei (V37-44). Einige sind neugierig, ob der Todeskampf Jesu tatsächlich zum Ende führt (V 46-49) oder ob ihm doch noch himmlische Hilfe zu Teil wird. Der Todeskampf Jesu wird begleitet von einem ersten Naturphänomen, einer tiefen Finsternis im ganzen Land (V45). Es scheint, als würde die Erde mitleiden mit ihrem gekreuzigten Schöpfer, als würde sie seinem Schmerz Ausdruck verleihen und dem Todeskampf mit lebensfeindlicher Dunkelheit begegnen. Mit dem scheinbar endgültigen Ende (V 50) setzen weitere Naturphänomene ein, die Erde erbebt, Felsen zerreißen, der starke Vorhang im Tempel zerreißt in zwei Stücke (V 51&52). Die Natur bleibt nicht ungerührt vom Tod Jesu. Das Toben der Welt gibt dem entsetzlichen Tod Gottes den angemessenen Rahmen. Die physische Wirklichkeit wird wie ein Spiegel der der geistlichen Welt. Das Zerbrechen der geistlichen Ordnung mit dem Tod Gottes am Kreuz findet seinen Widerhall im Zerbrechen der Welt. Aber das Zerbrechen der physischen Welt ist auch ein Aufbruch ins Leben. Als Vorboten dafür, dass dies kein endgültiges Ende ist, treten aus den zerborstenen Grabfelsen die Leiber der entschlafenen Heiligen hervor (V52-53). Erste Vorboten der Auferstehung. Der Gesamtkontext dieses metaphysischen Mitleidens der Welt rüttelt die Soldaten auf, die den Leichnam Jesu bewachen. Ihnen bleibt nichts als die erschreckende Schlussfolgerung: „Wahrlich dieser ist Gottes Sohn gewesen“!
Wenn die Welt mit dem Sterbenden Menschen Jesus leidet; wo und wann leiden wir mit der sterbenden Welt?Wenn den Bewachern Jesu das Mitleiden der Schöpfung zum Zeugnis dafür wird, dass Jesus Gottes Sohn gewesen sein muss; wofür wird uns das Leiden der Schöpfung heute zum Zeugnis?
Gedanken zu Jesaja 52, 13 - 53, 12
Der Text aus dem Prophetenbuch Jesaja ist eins von vier Gottesknechtsliedern (Gottesknechtslieder 42, 1-9; 49, 1-9; 50, 4-9; 52,13-53,12). Entstanden ist der deuterojesajanische Text wahrscheinlich zur Zeit des babylonischen Exils um ca. 550 v. Chr. Nach einer Beschreibung der abstoßenden Gestalt des Gottesknechts wird dessen stellvertretendes Leiden ab 53,4 dargestellt und theologisch reflektiert. Ursächlich für das Leiden des Gottesknechtes sind die Irrwege der Menschheit (53,6), im Textbezug des Gottesvolkes. Einer, der sich selbst nichts Erkennbares zu Schulden hat kommen lassen (53,9), trägt die Krankheit und die Schmerzen der Verirrten, die sein Martyrium verkennen und sein Leiden für eine Strafe Gottes halten (53,4).
Das Leiden des Unschuldigen, welches im Text als ein freiwilliges Leiden (53,7: er litt willig; 53,10 sein Leben zum Schuldopfer gegeben) skizziert wird, findet sich auch in unserer Zeit. Stellvertretendes Leiden zeichnet sich dadurch aus, dass der/dem Leidenden keine Schuld für das, was sie/er zu ertragen hat, zugeschrieben werden kann, also kein Verschuldungszusammenhang zwischen der/dem VerursacherIn des Leidens und der/dem das Leid tragende besteht. Eine beinahe alltägliche Situation:
- Das Leid des Krieges ertragen in der Regel nicht die, die es angeordnet haben und organisieren, sondern Zivilbevölkerung und einfache SoldatInnen.
- Die Folgen der menschengemachten Klimakrise tragen nicht in erster Linie die Länder des globalen Nordens und politisch/wirtschaftlichen Westens, sondern Menschen im globalen Süden.
- In Artensterben und Naturkatastrophen trägt die Natur am Leid der menschengemachten Klima- und Ökokrise und ist selbst nicht deren Verursacher.
Die prophetische Perspektive des Deuterojesaja ist die Umkehrung des Leids (53,11: wird er das Licht schauen und die Fülle haben), wie sie auch in den Seligpreisungen Jesu zu erkennen ist (Mt 5,3-10).
Wenn die sterbende Welt das von uns verursachte Leid trägt, wie wird dies in Gerechtigkeit verkehrt?
Wenn die Leidtragenden der Kriege zu Unrecht leiden, wie wird Ihnen Gerechtigkeit widerfahren?
Wenn die Folgen der Klimakrise Unschuldige treffen, wie werden die Betroffenen gerechtfertigt?
Gedanken zu Hebr. 4, 14-16; 5, 7-9
Im Zentrum der Textpassagen aus dem vierten und fünften Kapitel des Briefes an die Hebräer steht Christus als Hoher Priester, der mit unserer Schwachheit mitleiden kann (4,15) und der gerade im spirituellen Durchleiden menschlicher Schwachheit (5,7-9) vollkommen wurde. Dabei bildet die Empathiefähigkeit des Hohepriesters (4,15) die Basis (4,14 „Weil wir…“) für den Aufruf zu einer zuversichtlichen Hinwendung an Gott, „… wenn wir Hilfe nötig haben“ (4,16).
Anschließend an den Text könnte man, in Bezug auf die aktuelle Weltlage mit ihren multiplen Krisen fragen, inwiefern unsere Empathiefähigkeit denen Zuversicht schenkt, die unsere Hilfe nötig haben.
Wie leiden wir mit denen, die unter den Folgen der Klimakrise leiden?
Wie leiden wir mit der leidenden Schöpfung?
Wie ausgeprägt ist unsere Empathiefähigkeit?
Ist die Fähigkeit „mit zu leiden“ Teil der Nachfolge Jesu?
Gregor Rehm, Ev. Kirche der Pfalz