Sexagesimae / 5. Sonntag im Jahreskreis (08.02.15)

Vorschläge der Perikopenrevision (EKD/VELKD/UEK): 2 Kor
(11,18.23b-30) 12, 1-10; Weish 6,13-17 oder Hes 2,1-3,3; Lk 8,4-8(9-15); Hebr 4,12-13; Jes 55,(6-7)8-12a; Mk 4, 26-29 [www.stichwortp.de]

 

Sexagesimae / 5. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Lk 8, 4-8 (9-15) Ijob 7, 1-4.6-7 1 Kor 9, 16-19.22-23 Mk 1, 29-39

Lukas 8, 4-8 (9-15)

Exegetische Hinweise:

„Vierfach ist das Ackerfeld, Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“ Die betagtere Gottesdienstgemeinde wird diesen Lehrspruch parat haben. Auch Bibelstellen haben durch persönliche Rezeptionsroutinen zuweilen lange Bärte. Es sind aber nicht die Texte, die beatmet werden müssen, sondern wir müssen Luft holen, um unsere Verstehensraster immer wieder zu lüften. Wie ist das Gleichnis gegen die historische Rezeptionstopografie neu in Szene zu setzen? Die Reflexion auf die persönliche mentale Bodenbeschaffenheit kann selbst zum fruchtbaren Acker werden. Dem Predigteinstieg darf es an originellen Konkretionen nicht fehlen, andernfalls begänne das Unterfangen mit Gähnen.  

Schon Lukas hat sich mit der Symbolik des Textes nicht zufrieden gegeben. Er setzt die unbestimmtere Symbolform vom vierfachen Acker durch einen Exklusionsanspruch außer Kraft (V 9ff.): die Wissenden drinnen und die Nichtwissenden draußen. Es geht um die Wissenden und die (nur) Hörenden. „Jesus zeichnet seine Jünger auf solche Weise aus und bereitet sie auf ihre Funktion als Garanten der kirchlichen Tradition vor (Apg. 1,21f.), die sie von allen anderen Christen, insbesondere auch von Paulus, unterscheidet (vgl. 1,1-4).“ (Walter Schmithals, S. 103). Ist das mehr als frühkirchliche Kirchenpolitik? Lässt sich die dem Gleichnis innewohnende Wissenstopografie kritisch reflektieren? Und vor allem: liegt in der Unterscheidung von Wissenden und Hörenden ein wirklicher Erkenntnisgewinn?

Theologische Impulse:

Ist Glaube ein Wissen? Gott will die Menschen zu Mitwissern machen. Da ist kein Platz (mehr) für bäuerliche Idylle. Es geht um nichts Geringeres als die gesellschaftliche Wissensökonomie. Es geht um die Neuwerdung des eigenen oder gesellschaftlichen Wissens. Ganz wichtig: Heute fällt Saat des Reiches Gottes nicht nur zufällig auf guten oder schlechten Boden. Sie wird bewusst und zielgenau ausgelegt. Mancher Boden bekommt keine Saat mehr zu spüren, weil er vom Menschen zur Unfruchtbarkeit verdammt ist. Die Wissensdomänen der verschiedenen wissenschaftlichen Domänen achten eifersüchtig darauf, dass nicht irgendwo etwas sprießt, was nicht in den internen Algorithmus gehört.

Die Wissenden aus dem Bereich einer wissenschaftlich sich verstehenden Ökonomie etwa bemühen Theologie und Philosophie, wenn überhaupt, nur am Rande. Wer Gesamtkapitalrentabilität über den erlernten Algorithmus errechnen kann, weiß an welchen Schrauben er drehen muss, um sie zu steigern. Da ist kaum Raum darüber nachzudenken, dass die Stellschrauben zur Reduktion von Aufwand oder Kosten sich tief ins Fleisch der abhängig Beschäftigten drehen. Die Wissenden der Ökonomie und die Wissenden der Theologie lächelten sich lange Zeit einander die stillschweigende Übereinkunft zu, sich nichts mehr zu sagen zu haben. Es geht heute nicht nur darum, dass Gutgemeintes zu Vogelfutter wird. Es geht - schlimmer - darum, dass wir Menschen meinen erklären zu können, auf welchen Acker welche Saat nicht gehört. Wir haben das Symbol möglicher Fruchtlosigkeit hinter uns gelassen und uns zu Wissenden von faktischen Nichterwartungen erhoben. Das ist mentale Deformation. Hier werden zwar keine Gene umbaut, wohl aber die Schöpfungstopografie. Für Gott gilt immer noch: er kann nicht nur wachsen lassen. Er kann vielmehr selbst aus dem Felsen Brot machen. Zum Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit im Rahmen einer Schöpfungstopologie vergleiche E. Jüngel, Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit.

Nachhaltigkeitsaspekte:

„Nachhaltigkeit ist eine Suchanweisung (Heuristik) für kreativ zu findende Problemlösungen, die vielfältige technische, organisatorische und kulturelle Innovationen voraussetzt.“ (M. Vogt, S. 94). Nachhaltigkeit ist eine Heuristik, die sich zu dem Wissen durchringt, dass der vierfache Acker zur guten Schöpfung gehört. Insofern sind auch seine unfruchtbaren Momente in eine Dynamik eingeschlossen, die auf Erfüllung zielt. Gott kann Felsen zu Brot machen, darum lohnt es sich, sie nicht aus dem Projekt Zukunft zu entlassen. Hypertrophiertes Arbeitswissen ist kein Jüngerwissen, wie Jesus es lehren wollte, sondern Hybridwissen. Ein Nichtwissen, das sich an die Stelle Gottes geschoben hat. Wer nachhaltig denkt, beginnt mit der Wissensbalance. Herrschaftswissen (Arbeitswissen), das Wissen um das Gute (kollektive Sinnerfahrung) und das Heilswissen (Überwindung der Selbstsorge und des conatus essendi) wachsen zu einer weisheitlichen Topografie aufeinander zu.

Literatur:
Walter Schmithals, Das Evangelium nach Lukas. Zürcher Bibelkommentare, hrsg. von Georg Fohrer u.a., Zürich 1980; Markus Vogt, Prinzip Nachhaltigkeit. Ein Entwurf aus theologischer-ethischer Perspektive, München 2010²; Eberhard Jüngel, Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit, in: Zeitschrift für evangelische Theologie 29 (1969), 417-442.

Iob 7, 1-4.6-7

Exegetische Hinweise:

Prediger und Hörer begegnen sich in der ersten Rede Hiobs. Obwohl Hiob schuldlos ist, fühlt er sich von Gott verlassen. Anklage (6,2-7) und Klage (6,8-13) formatieren den Text. Todeswunsch (V 8), Kraftlosigkeit und Aussichtslosigkeit (V 13) paaren sich mit maßloser Enttäuschung über die Freunde (V 24). In den letzten Abschnitten vor unserem Text sind Elemente der Streitrede spürbar. Eingangs Kap 7 kommt es wieder zu einem deutlichen Stimmungsumschwung. Die Klage beherrscht wieder das Feld.

Theologische Impulse:

Auch in einer durch und durch nachhaltig gestaltete Welt wird es Grund für solche Klage geben. Es gibt keine Nachhaltigkeit, die existentielle Obdachlosigkeit außer Kraft zu setzen in der Lage wäre. Böser Tod und böse Krankheit werden immer zu beherrschenden Themen werden können. Selbst wo es gelängte, verzweifelte Selbsterhaltung interkulturell auf Gottes Grundbedingungen umzubuchen, würde Klage nicht verstummen. Krankheit und Tod als Schöpfungsmerkmale bleiben die Tore für das Gefühl von Verlorenheit und Sinnlosigkeit. Klage und Trauer, widerständiger Glaube und kühnes Gebet sind keine Operation wirksamer Selbstbefreiung. Sie bleiben komplementäre Kommunikation unter den Systembedingungen einer sich vergehend wandelnden und darin schöpferischen Welt. „Hiob schreit nicht nach Gerechtigkeit, er schreit nach Sinn.“ (George Steiner) Die Sinnfrage können weder eine globale Nachhaltigkeitsstrategie noch eine Große Transformation beantwortet. Sie bleibt nach biblischem Verständnis im Gegenüber von Gott und Mensch angesiedelt. Dass es dabei auch heute noch politische Widerständigkeit im Sinne Jesu an den gesellschaftlichen Orten böser Todesdrohung geben kann, könnte gezeigt werden (vgl. Rolf Adler).

Nachhaltigkeitsaspekte:

Der Hiobtext wirkt wie eine Bremse gegenüber jeder despotischen programmatischen Überformungen menschlicher Existenz. Auch die Faktizität bösen Todes wird gebremst durch die Widerständigkeit Hiobs. Die Kernfrage nach Sinn und damit Bewältigung wird nicht im Rahmen einer Nachhaltigkeitsprogrammatik beantwortet werden können. Für untaugliche Plausibilitätsversuchungen stehen die Freunde. Die Gerechtigkeitsfrage hebt die existenzielle Angewiesenheit nicht auf. Sie stellt sie ins Zentrum der Begegnung. Insofern ist der Beitrag zur Nachhaltigkeit dieses Textes die Kritik an jedweder Form eines auf ökologische Plausibilitäten setzenden Machbarkeitsbewusstseins. Auch wo Nachhaltigkeit zu deuten ist als „strukturelle Verankerung langfristiger Perspektiven“ (Markus Vogt), wird die Struktur der Nachhaltigkeit die Struktur sinnbedürftiger Existenz nicht überformen können. Wer ökologischer lebt, lebt nicht unbedingt sicherer. Was sinnvoll ist, entscheidet sich nicht unbedingt an dem, was konzeptionell plausibel ist. Auch die Nachhaltigkeit wird der Vorläufigkeit menschlichen Trachtens nicht entkommen. Insofern könnte man die Frage stellen, wie nachhaltig wir uns unsere Nachhaltigkeitsprojekte eigentlich vorstellen. Und wieviel Lebenssinn wir ihnen zutrauen.

Literatur:
Franz Hesse, Hiob, Zürcher Bibelkommentare AT 14, hrg. von Georg Fohrer u.a., Zürich 1978, S. 62ff.; George Steiner, Grammatik der Schöpfung, München 2004; Markus Vogt, Prinzip Nachhaltigkeit. Ein Entwurf aus theologischer-ethischer Perspektive, München 2010²; Rolf Adler, Jesus, Gorleben und der Tod, in: Jens Gutmann u.a., Tod im Wendland. Ein Lese- und Bilderbuch. Wustrower Museumsschriften zur Zeitgeschichte Bd. 6, Wustrow (Wendland) 2014, S. 391 – 399

1 Kor 9, 16-19.22-23

Exegetische Hinweise:

„Die völlige Bindung des Paulus an Christus im Glauben begründet seine Freiheit von sich selbst und den Menschen, und diese Freiheit ist die Voraussetzung für seine Zuwendung zu allen Gruppen.“ (Friedrich Lang, S. 119). In Bindung liegt Freiheit. In einem solchen Ansatz liegt die theologische Herausforderung für jede Sozialgestalt des Glaubens. Das gilt auch für die christlich motivierten Beiträge zur Nachhaltigkeitsdebatte. Gleichzeitig ist ein solcher Ansatz nicht jedermanns Ding (vgl. 2. Thess. 3,2). Der Gedanke, dass Freiheit in Christus einen Ansatz darstellt, der zur Besinnung auf natürliche Rahmenbedingungen einlädt und diese erlaubt, muss geübt werden. Freiheit heißt nicht Freiheit vom Gesetz, sondern eine qualifizierte Beziehung zum erfüllten Gesetz. Christus ist die Erfüllung des Gesetzes. Wer sich an ihn bindet (besser: binden lässt!), kommt selbst mit dem Gesetz frei. Solchermaßen gebundene Existenz bedeutet Teilhabe am Evangelium. Individualität hat also das Zeug sowohl zur Botenschaft als auch zur Botschaft, wenn sie richtig vernetzt ist. Sie verliert sich dagegen, wo es ihr unterläuft, wieder (nur) das Gesetz zu predigen.

Wer sich zur Teilhabe am Evangelium bestellen lässt, der arbeitet Differenzen nicht mehr im Feindbild- und Überformungsschema ab. „Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne.“ (V22a) „Dahinter steht die Vorstellung, daß die Gesellschaft nur in der Differenz dem einzelnen gerecht werden kann, wenn die spezifische Lebenssituation erfaßt wird.“ (Oliver Reis, S. 478).

Theologische Impulse:

Mit- oder hingerissen? Frei oder überwältigt? Die Leidenschaft für das Leben (und seine Grundlagen) hat immer einen sozialen und einen individuellen Treiber. Der aus Überzeugung Getriebene muss sich nicht an der Frage abarbeiten, ob das „heilige Müssen“ Pflicht oder Willen ist oder sogar als Wollen der Pflicht (im Kantschen Sinne) höchste Freiheit darstellt. Fest steht: die moralische Impertinenz, mit der (ökologische) Überzeugungen zuweilen überformt werden sollen, die damit einhergehenden Übergriffigkeit gegen das Prinzip freier Verantwortung taugt nicht als Zukunftsmodell freier Gesellschaften. Insofern stellt sich die Frage, wie Reflexion auf biosphärische Grundbedingungen und christliche Freiheit so gekoppelt werden können, dass die Erfahrung der natürlichen Begrenztheit die Freiheitserfahrung nicht angreift. Auch sittliche Nötigung bleibt despotisch.

Sittlichkeit muss auf ihren Ursprung hin transparent werden. Für Christinnen und Christen liegt der Kern nachhaltigen Lebens in der Liebe Gottes. Das begrenzte Leben ist Ausdruck seiner liebenden Dynamik. Auch bei der Bestimmung dessen, was notwendig ist, um die Lebensgrundlagen zu erhalten, greift im protestantischen Kontext die Denkfigur des Priestertums aller Getauften. Persönlich zugesprochene Freiheit wird zum Amt. Das Individuum wird nicht zu Hemmschwelle, sondern zum Beitrag einer besseren Orientierung. Manchmal reicht es schon, etwas zu bemerken, um dynamisch zu sein. Wer meint, dicht an der Wahrheit zu sein, darf darauf vertrauen, dass diese Wahrheit auch in den anderen wirken will und wirken kann.  

Nachhaltigkeitsaspekte

Die Nachhaltigkeitsdebatte bewegt sich in einem „kontingenten Koordinatensystem“ (vgl. Andreas Jordan, S. 45.) Sie stellt in ihren unterschiedlichen Leitbildern ein „Konglomerat von Wertbezügen“ (ebd. S. 50) dar, die sich in moralischen Sprecherrollen manifestieren. Es gilt, strukturelle Kopplungen von Politik und Wirtschaft zu beobachten und zu entlarven. Dabei ist zu erkennen, dass Expertenwissen vom Machteinfluss abhängig ist. Die Nachhaltigkeitsdebatte ist nicht per se gut, sondern muss als soziale und politische Gemengelage selbst an ihrer Befreiung arbeiten.

Die paulinische Pointe, dass Bindung an Christus Freiheit schafft, bietet einen Anknüpfungspunkt für die Frage nach Freiheitsereignissen innerhalb des Nachhaltigkeitsdiskurses. Die populären und populistischen Tadel am Nachhaltigkeitsdiskurs sind Legion (Edgar L. Gärtner u.a., s.u.). Die Orientierung des biblischen Beitrages am Diskurs zielt auf Befreiung. „Mit Dtn 18,15 wird Israel zugesagt, dass immer wieder ein Prophet in der Mitte erscheinen werde, der nicht der Mose-Tora widerspricht, sondern dafür sorgt, dass diese für die Zukunft offen bleibt.“ (Oliver Reis, S. 481, Anm. 1187). Kann die Stimme der erfüllten und freien Christenheit eine prophetische Stimme für die Offenheit einer freiheitsorientierten Begrenzungsreflexion werden? Wie findig bereits die Menschen des AT bei der Inkulturation freiheitsorientierten Begrenzungsbewusstseins waren, ohne das Bewusstsein für Offenheit zu verlieren, ist bemerkenswert (vgl. dazu A.P. und A.H. Hüttermann).

Literatur:
Friedrich Lang, Die Briefe an die Korinther. NTD 7, 1986; Oliver Reis, Nachhaltigkeit – Ethik – Theologie. Eine theologische Beobachtung der Nachhaltigkeitsdebatte. Forum Religion & Sozialkultur Bd. 18 (Abt. B), hrg. von Karl Gabriel, Münster 2003; Andreas Jordan, Die Große Transformation und ihre Feinde. Zur Geltung von Nachhaltigkeitsleitbildern am Beispiel Biogas. Ökologie und Wirtschaftsforschung Bd. 92, Marburg 2012; A.P. u. A. H. Hüttermann, Am Anfang war die Ökologie. Naturverständnis im Alten Testament. München 2002; Edgar L. Gärtner, Öko-Nihilismus. Selbstmord in Grün, Jena 2013²

Mk1,29-39

Exegetische Hinweise:

„Die ganze Perikope ist eine redaktionell bearbeitete Erzählung aus den Anfängen der galiläischen Tätigkeit Jesu, die ihn als einen Wunderarzt und Exorzist schildert. … [I]m Grunde handelt es sich doch um einen Text, der referieren will und sich auf eine außer ihm liegende Wirklichkeit bezieht.“ (Petr Pokorný, S.397f.)

Theologische Impulse:

„Worum geht es im Evangelium? Darum geht es. Man muss diese Dinge so einfach und massiv sagen, wie sie sind: Es geht gegen die Dämonen. Christus ist der Entbanner der Schöpfung.“ (P. Schütz, S. 201) Aber: Sie brachten alle Kranken (V32) zu ihnen und er half vielen (V34). Der gnädige Gott ist kein Heilungsprinzip (H. Braunschweiger, S. 404). Mt 8,16 und Lk 4,40 tragen diese Differenz schon nicht mehr weiter (anders Pokorný, der darauf hinweist, dass im Aramäischen „viele“ auch „alle“ bedeutet könne). Sich mit Gott verbünden zu lassen, bleibt ein riskanter Akt. Die Niedrigkeit des Leibes werden wir nicht los. Wer diesen Vorbehalt umgehen will, wird heilsdespotisch und selbst zum Dämon. Darum wird Petrus „Satan“ (Mk 8,33) genannt, als er die Niedrigkeit als Erfüllungsort zu vermeiden trachtet.

Wo der Geist Gottes auf den Plan tritt, werden die Dämonen kenntlich. Aber sind wir bereit, den Kampf aufzunehmen? „Das Dämonische, so wenig ich mir herausnehme, seinen Einfluß auf das Menschenleben zu leugnen, habe ich jederzeit als entschieden wesensfremd empfunden, es instinktiv aus meinem Weltbilde ausgeschaltet und niemals die leiseste Neigung verspürt, mich mit den unteren Mächten verwegen einzulassen, sie gar im Übermut zu mir herauszufordern, oder ihnen, wenn sie von sich aus versuchend an mich herantraten, auch nur den kleinen Finger zu reichen. Dieser Gesinnung habe ich Opfer gebracht, ideelle und solche des äußeren Wohlseins, indem ich ohne Zögern meinen mir lieben Lehr-Beruf vor der Zeit aufgab…“. (Thomas Mann, S. 12). Wie kann es gegen die Dämonen gehen, wenn wir für uns entschieden haben, nicht den kleinen Finger zu reichen?

Nachhaltigkeitsaspekte

„Im tiefsten Innern der Form liegt eine Trauer, eine Spur von Verlust. Eine Skulptur ist der Tod eines Steins.“ (G. Steiner, S.38). Nachhaltigkeit als Heilungsprinzip ist nicht denkbar. Der Mensch bleibt ein verbrauchendes Wesen. Als Skulptur seiner Kultur ist er ein Stück Tod der Natur. So klug und gescheit er auch seine Kreislaufwirtschaft organisiert, er wird schuldig werden am Bilde Gottes, zu dem Welt und Mensch erschaffen ist. Diesem Dämon der Existenz müssen wir uns stellen. Nachhaltigkeit rührt an die Seinsfrage. Simul iustus et peccator – die eingesogene inspiratio (auch als erster göttlicher Atem) verlässt dissipiert den Leib. Man hat gelebt, in dem man umwandelt. Der Status der Welt nach meinem Leben wird zerstreuter sein.

Dämonisch wäre es, wollte man diesen Status von Existenz verneinen und Nachhaltigkeit zum Gesetz der Schöpfung erheben. Natur verzehrt. Und der Mensch als Natur verzehrt auch, wie klug auch immer er sich anstellt. Nicht das Verbrauchen ist dämonisch, sondern die maßlose Schläfrigkeit einer sich selbst überhebenden Kultur. Wer mit dem Anspruch auf Nachhaltigkeit in guter moralischer Absicht böse Geister erkennen und zum Schweigen bringen will, braucht Güte gegen diese nicht hintergehbare Einsicht. Despotischer Rationalismus, der allein auf Schadensminimierung aus ist, macht heimatlos, wenn er das Wesen des Lebens nicht wahrhaben will. Der Nachhaltigkeitsaspekt dieses Textes liegt in einer behutsamen Besinnung auf das Mögliche, in der das Seiende noch sein darf, was es ist. Anders gesagt: Nachhaltigkeit darf nicht selbst zum Exorzismus gegen den Menschen werden und ihn zur persona non grata erklären.

Literatur:
P. Schütz, Evangelium. Sprache und Wirklichkeit der Bibel in der Gegenwart. Moers 1984; Heinrich Braunschweiger, Göttinger Predigtmeditationen 41. Jg., Heft 4, 1987, S. 401-407; Petr Pokorný, Göttinger Predigtmeditationen 47. Jg, Heft 4, 1993, S. 397-401; George Steiner, Grammatik der Schöpfung. München 2004; Thomas Mann, Doktor Faustus. In der Fassung der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe, Frankfurt am Main 2007

Rolf Adler, Rullstorf