Sexagesimae / 6. Sonntag im Jahreskreis (12.02.23)

Sexagesimae / 6. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Jes 55,(6-7)8-12a Sir 15, 15-20 (16-21) 1 Kor 2, 6-10 Mt 5, 17-37

Der evangelische Predigttext in Jes 55 gehört zum zweiten Teil des Jesajabuches, dem sog. Deuterojesaja. Die Katastrophe des Babylonischen Exils wird vorausgesetzt, die Zeit für eine Wendung zum Guten ist gekommen. Historisch ist dies mit dem Perserkönig Kyros, dem Ende der Babylonier und der erwarteten Rückkehr der Exilierten nach Jerusalem verbunden und in die Zeit 550-540 v. Chr. eingeordnet. Diese Rückkehr wird wie ein neuer Exodus verstanden, wobei das Wort des Herrn sich durchsetzen wird (55, 11). Das Wort (davar) Gottes wird im Pentateuch häufig mit der Tora identifiziert, während es sich in prophetischen Texten auch um Botschaften Gottes, um Heils- oder Unheilsansagen handeln kann. Auch die göttlichen Verheißungen an Israel und der Bund werden oft als Wort Gottes bezeichnet. Hier scheint es fast eine von Gott losgelöste, wirksame Kraft zu sein.

Die erste katholische Lesung aus Sirach 15, 15-20 (16-21) stammt aus einer weisheitlichen Schrift, die in Auseinandersetzung mit dem Hellenismus aus dem frühen 2. Jahrhundert v.Chr. stammt und teil des katholischen Kanons ist. Zentrales Thema ist die Weisheit, Anliegen ein umfassendes religions-pädagogisches Programm, das Glauben und Lebensführung auch unter ethischen Aspekten erörtert. Theologisch liegt der Schwerpunkt auf Gott als dem Schöpfer und der Tora als Ordnung, die dem Willen des Schöpfers entspricht. Der Gedanke der Wahl, die der Mensch zwischen Tod und Leben treffen kann, erinnert an Dtn 30, 19.

Die zweite katholische Lesung aus 1. Kor 2 beschreibt die Weisheit Gottes, die der Weisheit der Welt, besonders derer der Herrscher der Welt entgegengesetzt wird. In der Auseinandersetzung mit Gegner in der Gemeinde betont Paulus in den vorhergehenden Versen die Torheit des Kreuzes, die der weltlichen Weisheit widerspricht.

Das Evangelium im Mt 5 beschreibt Jesus Verständnis der Tora und seine Auslegung zu den Fragen des Tötens, Schwörens und des Ehebruchs. Dabei ist zentral, dass die Tora nicht aufgehoben ist, sondern vielmehr beinhaltet seine Auslegung eine Verschärfung der Gebote. Es ist also sachlich falsch, hier von „Antithesen" zu reden, vielmehr ist es eine Radikalisierung der Gebote mit dem Ziel, diese entgegen eines bloß äußerlichen Verständnisses auf ihre Intention und eine daraus resultierende Haltung des Einzelnen zurückzuführen.


Die Wirkkraft des Gotteswortes und das Handeln der Menschen

Betrachtet man die vorgeschlagenen Texte in ihrer Gesamtheit, so zeigt sich ein Spannungsbogen zwischen göttlichem Wirken und menschlichen Handeln. Dies führt schnell zu den zentralen Fragen, wenn es darum geht, wie – aus christlicher Perspektive- die überlebenswichtigen, tiefgreifenden Veränderungen unsere Welt von statten gehen können. Sie eröffnen einen weiten Horizont, der nach der menschlichen Möglichkeit und Verantwortung, doch auch nach Orientierung und Quellen der Kraft im Erleben von Ohnmacht, Verzweiflung und Sinnlosigkeit fragt.

Wie ist in diesem Kontext „Wort Gottes" zu verstehen? Einen zentralen Stellenwert nimmt hier die Tora als von Gott gegebene Ordnung für das Leben ein. Jesus selbst wird als Wort Gottes bezeichnet (Joh 1). Er kann als Tora für die Völker gelten. Hier ist entscheidend, dass Jesus das Gesetz auch in der Bergpredigt (Mt 5) nicht relativiert, sondern als grundlegenden Maßstab nicht allein des Handels, sondern auch einer inneren Haltung auslegt. Dem Menschen wird die Möglichkeit der Wahl, und damit der Verantwortungsübernahme in Sirach zugesprochen, ein Motiv, dass sich auch in Dtn. 30,19 bereits findet: Gott lässt den Menschen die Freiheit, auch das Falsche zu tun. Hierfür muss er dann die Konsequenzen tragen. Damit wird er jedoch nicht seinem Scheitern überlassen: Der Weg der Umkehr und die Vergebung stehen immer offen. Umkehr, so lesen wir in Jes 55, ist allerdings eine Voraussetzung dafür, dass sich etwas zum Guten wendet, sich eine neue Perspektive eröffnet.

Einen weiteren Aspekt trägt in diesem Zusammenhang die Stelle aus dem 1. Korintherbrief bei: Menschliche Weisheit kann als ein Versuch gewertet werden, allein aus eigenem Erkennen Maßstäbe für ein kluges Handeln zu gewinnen. Doch Paulus lehnt diese Versuche – insbesondere der Herrschenden- hier ab, weil deren Logik am Willen Gottes vorbeigeht. So radikal anders als die Weisheit der Herrschenden ist die Botschaft vom Kreuz. Aufgeschlüsselt bedeutet Weisheit hier die Botschaft vom Sieg des Lebens über den Tod, des Ohnmächtigen über die Gewalt der Mächtigen. Hier zeigt sich die Schöpferkraft Gottes, die jedem Machtanspruch der Mächtigen, jeder weltlichen Logik entgegensteht.
Ebenso stellt der Jesajatext die Andersartigkeit der Pläne Gottes dar: 8Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR.
Die Verbindung zwischen der Unbegreiflichkeit der Weiheit und der Gedanken Gottes und unserem menschlichen Handeln liegt in der Tora bzw. in Jesus Christus als der Tora für die Völker. Indem wir die Tora halten, können wir als Menschen teilhaben an Gottes Willen für diese Welt.

Aktualisierung: Die Welt heilen

Angesichts der sich weiter beschleunigenden Vernichtung der Lebensgrundlagen, entflammter militärischer Konflikte und Hungerkrisen können die Aufgaben, vor der die Menschheit steht, als unlösbar erscheinen. Ohne einen grundlegenden Paradigmenwechsel von Wirtschaft und Politik, doch auch im alltäglichen Verhalten jedes einzelnen scheint die Welt verloren. Wir können wir von einer Erkenntnis der Krisen zu einem Handeln kommen, das ein grundsätzliches Umlenken bewirkt? Die Machtlogik von kapitalistischem Wirtschaften, imperialem Machtstreben und sinnloser Zerstörung von Natur und menschlichem Leben scheinen übermächtig in unsere Zeit. Resignation und Hoffnungslosigkeit lähmen. Und ist es nicht naiv, da von Gottes Geboten zu sprechen? Die Wirksamkeit des Wortes Gottes, von der der Jesajatext so hoffnungsvoll spricht, zeigt sich jedoch an jedem Ort, wo Menschen sich für eine lebenswerte Zukunft, für Versöhnung und Gerechtigkeit einsetzen, auch wenn die Wirkung nicht so durchschlagend zu sein scheint, wie wir es uns wünschen. Dies nicht gering zu achten, sondern als Eröffnung eines Hoffnungshorizonts und Ausdruck der Wirksamkeit des Wortes Gottes zu sehen, rechnet mit Gottes Möglichkeiten, ohne den realistischen Blick für den Zustand der Welt aufzugeben. Der Gedanke der Wahl, das Richtige tun zu können, wie er im Sirach-Text formuliert ist, kann den Blick frei machen für neue Möglichkeiten, die Welt zum Guten zu führen.

Beate Sträter, Bonn