Tag der Geburt Christi / Christfest I / Weihnachten [III/A]
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Micha 5, 1-4a | am Morgen: Jes 62, 11-12 am Tag: Jes 52, 7-10 |
am Morgen: Tit 3, 4-7 am Tag: Hebr 1, 1-6 |
am Mo.: Lk 2, 15-20 am Tag: Joh 1, 1-18 |
Micha 5,1-4a
Der Prophet Micha prangerte Ende des 8. Jh. vor Christus besonders die sozialen Ungerechtigkeiten an. Obwohl er als Prophet angesehen wurde, vermied er diesen Titel, denn er wollte sich stark von den Berufspropheten abgrenzen. Seine Prophezeiungen beklagen insbesondere die gesellschaftlich schlechte Stellung der Kleinbauern und Bürger, die durch den Staat und seinen bürokratischen Apparat unterdrückt wurden, um dessen Unterhalt zu sichern. Anders als andere Propheten bezieht er die Friedensverheißungen Gottes nicht auf Jerusalem und den Zion, sondern auf das kleine ländliche Bethlehem, wo er selbst zu Hause war.
Wie weit ist die Situation im heutigen Bethlehem entfernt von dieser Verheißung eines Ortes, an dem man sicher wohnen kann und wo der dort geborene Retter den Schalom errichten wird! In einem zerteilten und von Spannungen und beidseitiger Gewalt geprägten Land im palästinensischen Autonomiegebiet gelegen, von einer acht Meter hohen Mauer und israelischen Siedlungen eingeschlossen…
Und doch gilt diese Verheißung nicht nur für diesen Ort, sondern nach christlichem Verständnis seit der Geburt Jesu für die ganze Welt- besonders für alle, die sich klein und an den Rand gedrängt fühlen. „ Mission von den Rändern her“- auf diesen Punkt hat das Missionspapier des ÖRK aus 2014 die Sendung Jesu auf den Punkt gebracht. Gott hat sich in Jesus an die Seite aller gestellt, die an den Rand gedrängt werden und die sich klein gemacht fühlen. Am Rande des großen Weltgeschehens, bei den kleinen Leuten ist Gott zu finden und dort beginnt sein Schalom zu wachsen. Als Kirche sollen wir an dieser „missio dei“ teilhaben, uns auch an die Seite der Abgedrängten und der „Kleinen“ stellen und für ihre Rechte eintreten.
Im heutigen Bethlehem gibt es eine christlich- palästinensische Akademie, die sich für die Bildung für die Armen, für Friedens-und Versöhnungsarbeit zwischen Israelis und Palästinensern, sowie für den Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen einsetzt. Damit wird die Verheißung des Propheten Micha eines Ortes, an dem man sicher und in Frieden leben kann, ernst genommen und in die Realität umgesetzt. Solche Initiativen braucht es an vielen Orten der Welt, damit die „Mission von den Rändern“ gelingt.
Weihnachten könnte es in der Predigt um eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Groß-klein“ oder „Stark- schwach“ gehen. Um die Stärke der Schwachen und die Schwäche der Starken. Darum, was passiert, wenn Menschen „schwach“, verletzlich und menschlich werden- sowohl im persönlichen Leben als auch im politischen Bereich.
Jesaja 52,7-10
Dieser Abschnitt stammt von dem „zweiten Jesaja“, der im 6. Jh im Exil in Babylon auftrat und die Rückkehr Verbannten und das Heil für die Völker ansagte, das gerade nicht durch einen mächtigen Herrscher, sondern durch den leidenden Gottesknecht herbeigeführt werden soll. Er unterscheidet scharf zwischen dem Früheren und dem Zukünftigen. Die alte Geschichte Jahwes mit Israel ist zu einem Ende gekommen, etwas völlig Neues nimmt seinen Anfang.
An Weihnachten geht es auch darum, dass Gott ganz anders ist als wir uns das nach menschlichen Maßstäben vorstellen- im kleinen ohnmächtigen Kind in der Krippe kommt er zu uns und verändert die Welt durch seine Ohnmacht und Verletzlichkeit.
Im 52. Kapitel geht es darum, dass die gefangene Tochter Zion die Fesseln abschütteln soll und als Befreite neu anfangen soll. Der Abschnitt bei Jesaja ist eine einzige Aufforderung zum Staunen und zum Jubeln angesichts des Heils, das Gott schafft. Sogar die Trümmer sollen jubeln, „…denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst“.
Weil Gott die Menschen tröstet, befreit und erlöst, können wir Frieden verkündigen, Gutes predigen und Heil ansagen. Diese frohe Botschaft sollte auch am Weihnachtsfest spürbar werden in einem ermutigenden Gottesdienst mit fröhlichen Liedern, mit ermutigenden und tröstlichen Worten.
Lukas 2,15-20
In diesem Abschnitt geht es um die Hirten. Auch sie eine Gruppe, die am Rande der Gesellschaft stehen und wenig geachtet waren. Sie glauben den Verheißungen der Engel und setzen sich in Bewegung: sie gehen zum Stall, sie sehen und finden das Kind, sie verkündigen, was sie gesehen haben und zwar so, dass andere sich wundern. Sie kehren als Verwandelte in ihren Alltag zurück.
Erstaunlicherweise sind sie nicht enttäuscht von der Armut des Stalles und der Ohnmacht des Kindes. Sie lassen sich berühren und überwältigen von der Verletzlichkeit des Kindes. Das kann man auch heute erleben, wenn man ein gerade geborenes kleines Kind in den Armen halten darf. Das macht den stärksten Menschen schwach.
Was alles geschehen kann, wenn man sich berühren und in Bewegung setzen lässt von dem Anderssein Gottes und der Menschen! Wenn der Panzer der Stärke und des professionellen Funktionierens bröckelt, die Macht der Mächtigen ins Wanken gerät und die Kleinen sich in Bewegungen organisieren….
An Weihnachten könnte es darum gehen, dazu zu ermutigen, sich neu berühren und bewegen zu lassen: von Gott, der so schwach sein kann und in seiner Schwachheit so stark. Und von Menschen, die unsere Solidarität brauchen oder uns mit ihrer Liebe und ihrer Schwachheit entwaffnen.
Dr. Ruth Gütter, Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck