Strukturen verändern.

bfdw60

Strukturen zu ändern ist die entscheidende Grundlage für einen Wandel.

Menschen verändern Strukturen,
Strukturen verändern die Menschen.

Um die Strukturen zu verändern, ist in erster Linie kein Wissen erforderlich, sondern ein Ziel - und ein langer Atem, meint Dr. Sladek, Mitgründer der "Stromrebellen" von Schönau.

bfdw60 Zukunftsfähigkeit ist mit dem menschlichen Handeln nicht a priori verbunden. Smisereor logoie muss erst hergestellt werden, gewollt sein. Das braucht Initiative, Wissen und Reflexion.

Struktur-Wandel
gehe zu: Strukturen erkennen — Strukturen verändern

Um den Wandel zu gestalten, sind Strukturen zu verändern - soziale und organisatorische Strukturen, Konsum- und manchmal auch Entscheidungsstrukturen.

Strukturwandel findet immer statt, gezielt oder unbeabsichtigt. Wir verändern die (sozialen) Strukturen um uns, und die Strukturen verändern (im Gegenzug) uns. Gezielte Veränderungen machen es erforderlich, dass man die Strukturen überhaupt erkennt – oft werden die tatsächlichen Wirkungsgefüge von einer allzu glatten Oberfläche überdeckt. Doch wie werden diese Strukturen erkannt und (mehr noch) verändert?

 

Strukturen erkennen

Strukturen erkennen: Beispiel Handy-Vertrag

Freude: In meinem Vertrag mit 3-fach-Flatrate wird mir alle zwei Jahre ein "aktuelles" neues Handy garantiert: kundenfreundlich. Ein "goldenes Kalb"?

Letztlich geht es um Konkurrenz, Marktanteile, Aktienkurse und die Macht als Konsument in diesem Spiel. Diese Macht ist besteht darin, den Anbieter auswählen zu können und so über die Aktienkurse mitzubestimmen. Allerdings bin ich dann für zwei Jahre gebunden und habe auf die weitere Ausübung dieses Einflusses verzichtet. Nach zwei Jahren bekomme ich dafür ein neues Handy. So wird diese Konsumenten-"Macht" zur Rolle, die einem zugeteilt wurde. Wenn erst einmal ein Anbieter anfängt, mit ständig neuen "kostenlosen" Handys zu locken, müssen die anderen mitziehen. Elektronikschrott? Kulturelle Prägung einer Generation? Wie viele selbst "Umweltbewusste" verlieren genau an dieser Stelle ihren kritischen Blick?

Macht: Sie können auf die "Option" neues Handy in Ihrem Vertrag verzichten. Dann verringern sich sogar die monatlichen Kosten. 8 Euro oder Franken weniger über zwei Jahre summieren sich auf knapp 200 Euro oder Franken.

Sie sind nicht gebunden, müssen kein neues Handy nehmen, erwirtschaften "Gewinn", wenn Sie Ihr Handy weitere Jahre benutzen, und verlangsamen die globale Ressourcenausbeutung (sog. "graue Energie") und den Innovationsdruck: "xPhone 27 ... xPhone 42 ..."

Strukturen erkennen: Weitere "Trends" in diesem Zusammenhang sind die kostenlose Anrufe im eigenen Mobilfunknetz, die uns eigentlich nur etwas nutzen, wenn Freunde und Bekannte beim selben Anbieter sind, und dass weitere Smartphone-Anbieter auf nicht auswechselbare Akkus übergehen. In diesen Trends versteckte Strukturen sind die Tendenz zur Beeinflussung unseres Kommunikationsbedarfs durch Ausrichtung auf den selben Anbieter, aber ohne dass dieser Anbieter über die Rufnummer erkennbar wäre. Um die vertragliche Flatrate gezielt zu nutzen, muss man sich so mit Anderen unterhalten, bei welchem Anbieter diese sind. Wollen Sie das? Eigentlich nicht, aber es ist strukturell so angelegt. Nicht auswechselbare Akkus sind "Struktur" in dem Sinne, dass sie im Denken festschreiben, dass Innovationszyklen kürzer als Akkulebensdauern sind, und das prinzipiell und global. Wollen Sie das?

Auf der anderen Seite gibt es seit Kurzem die "Ökodesign-Richtlinie" der EU. Sie zielt auf eine ökologisch sinnvolle und zukunftsverantwortliche Gestaltung von technischen Gegenständen insbesondere des täglichen Lebens. Merken Sie etwas? Das widerspricht sich. Handyverträge brauchen ebenfalls ein "Ökodesign".

Fazit: Solche "Trends" bedeuten Strukturen, deren Folgen im Alltag kaum mehr überschaut werden. Sie müssen zunächst erkannt und verstanden werden.

Was ist zu tun? Das gehört zum Abschnitt – "Strukturen verändern".

 

Strukturen erkennen: Beispiel Misereor, Brot für die Welt etc.

Im Handy-Beispiel ging es darum, Strukturen, die auf Verhalten und Entscheidungen Einfluss nehmen, und die unsere gemeinsame Zukunft unbewusst massiv und bei richtigem Hinsehen unerwünscht prägen, überhaupt zu erkennen. Diese Herausforderung stellt sich uns ständig.

misereor logoMisereor und Brot für die Welt sind christliche Organisationen, bei denen dieser erkennende Blick traditionell Programm ist. Ausgangslage ist: ein christliches Menschenbild, der Gedanke an eine gottgewollt zusammenhängende Schöpfung (Eine Welt) und die Vorstellung, dass die Armut und das Leid in vielen Teilen der Welt nicht gottgewollt, sondern menschengemacht sind. Diese tiefe Überzeugung lässt sie Strukturen erkennen, die Anderen verborgen bleiben. Albert Schweitzer hatte sich von seiner ethischen Erkenntnis und dem Prinzip "Ehrfurcht vor dem Leben" leiten lassen. Indem er diesen Grundsatz seinem Verstehen der Welt und seinen Entscheidungen zu Grunde gelegt hat, konnte er dieselbe Welt anders sehen.

bfdw60Eine andere Sichtweise und ein anderes Verstehen ergeben ein neues Bild von der Welt. Und sie lassen andere Handlungsweisen und Entscheidungen als "logisch" und richtig erscheinen. Entscheidend ist der Blick auf die Welt, der Hintergrund unserer Wahrnehmung. Aus diesem Blick ergibt sich die "richtige" Entscheidung allein aus ihrer - neu erkannten - inneren Logik.

Fazit: Um Strukturen zu erkennen, kann man eine andere Brille aufsetzen - die Brille "Ehrfurcht vor dem Leben", die Brille "Eine Welt – eine Schöpfung" etc. Beim Versuch, eine andere Brille aufzusetzen, stellt man vielleicht fest, dass man unbemerkt die ganze Zeit schon eine (rosarote?) Brille auf hatte.

 

Strukturen erkennen: Beispiel Leonardo DiCaprio

In seinem Film "11th hour" (deutsch: "5 vor 12") beschlossen DiCaprio und viele andere, das, was sie täglich von der Welt sehen, einfach ernst zu nehmen und einmal zusammenzutragen. Daraus ergibt sich ein erschreckendes Gesamtbild, das überhaupt nur durch die Mühe dieses Zusammentragens sichtbar wird. Die Strukturen und Zusammenhänge werden erkennbar.

Eine Frage, die sich daraus ergibt, ist: Weshalb ist diese andauernde dramatische Zerstörung der Lebensgrundlagen des Planeten im Alltag nicht sichtbar? Wieso wird sie in den "Medien" nicht ständig thematisiert – stellt sie doch die größte Gefahr für unser Überleben dar? Vielleicht ist die Frage anders zu stellen: Wieso halten wir uns im Allgemeinen für umfassend informiert? Welche Institutionen verschaffen uns die dafür notwendigen Informationen, und - zu welchem Zweck?

In Platons "Höhlengleichnis" betrachten die Leute verwundert und fasziniert ihre Schatten an der Wand. Aber sie fragen nicht, woher das Licht kommt. Kleine Unregelmäßigkeiten in den Himmelsbahnen führten zu der Entdeckung, dass die Erde um die Sonne kreist. Hätten Kopernikus und Galilei bei der Beobachtung diese Unregelmäßigkeiten zugunsten der vordergründigen Vollkommenheit des Mainstream-Weltbilds ausgeblendet, wäre es leichter für alle anderen gewesen; Kirche und Wissenschaft hätten sich nicht streiten müssen. Auch in unserer Wahrnehmung gibt es Unregelmäßigkeiten in der Ästhetik des Weltbilds, die wir zugunsten der vordergründigen Vollkommenheit ausblenden. Wir sollten vielleicht einfach uns - und das, was wir sehen - ernst nehmen.

Zugrunde liegendes Erkenntnisprinzip:

  • Zuerst fällt die Unregelmäßigkeit auf.
  • Dann folgt die Überlegung: „Wer kreist um wen?!" Oder: „Wieso bewegt sich das Bild an der Wand eigentlich, wenn ich mich bewege?"

Fazit: Die eigenen Beobachtungen ernst nehmen, die Puzzlesteine zusammensetzen; das Bild wirklich sehen wollen, das sich hinter den Fragmenten versteckt: Strukturen erkennen.

Auch wenn Sie "sehen" und gezwungen werden zu widerrufen, wie Galilei: die Wahrheit kommt ans Licht – hoffentlich rechtzeitig!

 

Strukturen erkennen: Beispiel Wachstumszwang

Eine andere Ökonomie, eine, die die Begrenztheit der irdischen Ressourcen angemessen berücksichtigt, wird seit den "Grenzen des Wachstums" (Meadows et al., 1972), immer wieder gefordert. Die Konzepte und Begrifflichkeiten sind: Nullwachstum, Qualitatives Wachstum, Ressourcenökonomie, Ökologische Ökonomie etc. Während die einen die "Internalisierung externer Kosten" fordern, weisen Andere darauf hin, dass der Wandel eine ganz andere Art erfordert, Ökonomie zu denken (z.B. Bartmann: Umweltökonomie - Ökologische Ökonomie, Mainz 1996).

Diesen Gedanken durchleuchtet Dr. Posern, Leiter des Ev. Büros in Mainz, aus christlicher Perspektive systematisch in seinem Vortrag "Eine Ökonomie des Genug". Er stellt fest und belegt, dass ein struktureller Wachstumszwang "richtiges" christliches Denken über ökonomische Zusammenhänge verzerrt und so sinnvolle Lösungen und Veränderungen be- / verhindert. Dieser Vortrag ist daher ein anschauliches Beispiel für das "Strukturen erkennen", das dem Verändern vorauszugehen hat (PDF-Datei 800 kB).

 

Strukturen verändern – Zukunftsfähigkeit herstellen

... und einen langen Atem bewahren!

Strukturen verändern: „Stromrebellen"

Nach dem Kernreaktorunglück von Tschernobyl, als die Kinder in Schönau im Schwarzwald wegen eines Tausende von Kilometern entfernten Unglücks nicht mehr auf ihre Spielplätze durften und Gemüse aus dem eigenen Garten zur Gesundheitsgefahr wurde, ist dort vielen Bürgerinnen und Bürgern klar geworden, dass sie Dinge selbst in die Hand nehmen müssen. Der damalige Betreiber des Schönauer Stromnetzes war nicht bereit, den Weg zum Ausstieg mitzugehen und auf regenerativen Strom zu setzen. Wer das Netz hat, hat die Macht! So war es jedenfalls 1986, als die Bürgerinitiative "Eltern für atomfreie Zukunft" gegründet wurde.

"Zukunftsfähigkeit" war nach dieser Katastrophe ein wichtiges Anliegen der "Stromrebellen von Schönau"! Dazu mussten sie die bestehenden Strukturen problematisieren, verändern – und einen langen Atem haben: Es dauerte 11 Jahre. Dr. Michael Sladek war 1986 Mitgründer der Bürgerinitiative und später Geschäftsführer der Elektrizitätswerke Schönau e.G. Im Herbst 2014 nannte er bei einem Vortrag im Kloster Hegne zwei Erfolgskriterien für die spektakuläre Schönauer Strukturveränderung.

1. Ein klares Ziel. Es reicht nicht, gegen etwas zu sein. Deswegen hat die Bürgerinitiative ihren ersten Namensvorschlag "gegen Atomkraft" nach kurzer Zeit fallengelassen und sich für "Eltern für atomfreie Zukunft" entschieden. ["Atomfrei" sei zwar physikalisch unsinnig, aber jeder weiß, was gemeint ist, was das Ziel ist.]

2. Ein langer Atem. Der Kauf des Stromnetzes durch die Schönauer dauerte 11 Jahre. Zwei Bürgerentscheide waren erforderlich. Die Initiative musste zusammengehalten werden, Rückschläge und Konfrontationen mussten verarbeitet / verkraftet werden. Woher nehmen wir diese Kraft, dieses Durchhaltevermögen?

"Einen langen Atem haben" – die wichtigsten Stichpunkte des Vortrag von Dr. Sladek vom 4.11.14 (PDF-Datei)

 

Strukturen verändern: Handy-Vertrag

VTelefone - SANY0058erlangen Sie prinzipiell hardwarefreie Verträge von Ihrem Anbieter. Insbesondere kirchliche und sonstige Institutionen oder Organisationen, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Handys beruflich zur Verfügung stellen, können hier strukturverändernden Einfluss ausüben. Wenn Ihr Telefon-Anbieter Ihnen unbedingt entgegenkommen möchte, um Sie zu „werben": Es gibt genug nachhaltige(re) Möglichkeiten, die kundenfreundlich sind, ohne die Ressourcen vernichtende globale Innovationsspirale anzutreiben: monatliche Kosten (Tarif) weiter senken, ein Kontingent an kostenfreien Mobilfunk-Ziel-Rufnummern zugestehen, anbieterunahängig natürlich, etc.

Merken Sie etwas ...?

Unsere Nachfrage verändert die Strukturen. Wir müssen nur darauf achten, dass sie von uns kommt und nicht Teil der Rolle ist, die die Werbung uns zuspielt. (Im letzteren Fall kaufen wir das, was man uns als Nachfrage in den Mund legt: was "preisgünstig" oder "zeitgemäß" ist, zur "grundlegenden Ausstattung" eines Büros gehört.)

Im ökumenischen Projekt "Zukunft einkaufen" wird prakisch aufgezeigt, wie als "Konsument Kirche" diese Nachfrage reflektiert und zukunftsfähig organisiert werden kann.

 

Strukturen verändern: Misereor, Brot für die Welt

Welche Brille tragen Sie?! Die Brille "Vollbeschäftigung, Wohlstand und Wachstum" oder die der "sozialen Gerechtigkeit"? Welche Welt sehen Sie – die "Eine" oder nur einen Ausschnitt? Oben im Abschnitt „Strukturen erkennen" wurde die Brille, mit der man die Welt betrachtet, als Instrument vorgestellt, um Strukturen und zukunftsfähigere Ansätze zu erkennen. Hier – im Abschnitt „Strukturen verändern" – gesellt sich dazu die Frage, wie das weiter hilft, um Veränderungen und langfristig tragfähigen Innovationen den Weg zu bereiten. Was führt - nach dem Erkennen - zum Verändern der Strukturen?

Nach dem Auszug aus Ägypten hätte Gott das Meer für das Volk Mose einfach teilen können. Aber er bezog die Menschen ein. Moses musste seine Hand ausstrecken, erst dann teilte sich das Meer. Dass er die Hand ausstrecken sollte, wurde ihm von Gott gesagt, eine Stimme, die wir auch hören – und überhören. In diesem zweiten Schritt musste er aktiv werden. Er musste seine Hand für alle sichtbar ausstrecken.

Wie zu Moses spricht die Stimme Gottes zu uns. Sie verwendet als Vokabular "Gerechtigkeit" und "Frieden", "Nächstenliebe" und bildet den tiefsten Ursprung christlichen Wahrnehmens und Verstehens. Sie lässt die wirklichen Strukturen erkennen.

Um Strukturen zu verändern, könnten Sie Ihren Gegenüber fragen, ob er mit seiner (coolen) Brille, die ihm die Vokabeln "Wachtums" und "Wohlstand" oder "Vollbeschäftigung" als konstituierend für eine Welt zeigt, auch "Nächstenliebe", "Gerechtigkeit" und "Frieden" wahrnehmen kann. Wenn nicht, dann erklären Sie ihm / ihr, dass Sie ebenfalls "Vollbeschäftigung", "Wohlstand" und "Wachstum" im Blick haben, aber Vollbeschäftigung, Wohlstand etc. ganz anders sehen, weil Ihre Welt auch soziale Gerechtigkeit und friedliches Miteinander als Vokabel beinhaltet, also vollständiger ist als seine / ihre. Und wer will sich schon über ein beschränktes Weltbild definieren!

Doch zurück zu Misereor und Brot für die Welt. Hier wird Welt ohne "verniedlichende" Filter gesehen, so wie Gott sie zeigt (in der man also solche Begriffe wie "Nächstenliebe" als konstituierend kennt und nicht vereinfachend ausfiltert). Hier wird die Hand ausgestreckt und die Richtung angezeigt, in der das Meer sich teilen sollte, in der ein gangbarer Weg versteckt ist.

Dieses Ausstrecken der Hand verändert Strukturen, auch wenn sich dabei das Meer nicht immer gleich plakativ zurückzieht.

 

Strukturen verändern: Enzyklika zum Klimawandel

Im Juni 2015 erschien die erste eigene Enzyklika von Papst Franziskus. Sie nimmt unter anderem den Klimawandel aus Sicht des Bischofs von Rom in den Blick. Man kann nun überheblich fragen, welche neuen Erkenntnisse damit zu erwarten sind, wenn Tausende von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit schon ein Viertel Jahrhundert über den Klimawandel, seine Ursachen und mögliche Gegenstrategien forschen.

Eine überzeugende Antwort darauf gibt die Enzyklika selbst: PDF-Datei 500 kB

Eine weitere Frage wäre, was dieses Beispiel mit "Strukturen verändern" in diesem Artikel zu tun hat. Einen interessanten Denkansatz gibt dazu der Ausspruch "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist ..." (Mt 22, 18-21). Eine Enzyklika zum Thema Klimawandel / Ökologischer Umbau macht zumindest in der Katholischen Kirche unmissverständlich klar, dass es sich dabei nicht mehr um hauptsächlich weltliche Themen handelt. Sie sind nicht mehr länger "des Kaisers", nicht einmal in erster Linie.

Eine Strukturveränderung.