Ukraine-Krieg

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Der militärische Angriff der russischen Staatsführung auf die Ukraine im Februar 2022 rückt das Schwerpunktthema "frei - fair - handeln" in ein völlig neues Licht.

Auch dass der Krieg aufgrund der Blockade ukrainischer Getreidelieferungen auch als Hungerkrieg gegen ärmere Länder in Afrika geführt wird, lässt über »freies Handeln« und »Fairness« nachdenken.

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frei - fair - handeln

Krieg mit der Ukraine

Der militärische Angriff der russischen Staatsführung auf die Ukraine im Februar 2022 rückt das Schwerpunktthema "frei - fair - handeln" in ein völlig neues Licht. Es ist erforderlich, so genanntes »freies« Handeln und faires Handeln als grundsätzlich (!) unterschiedliche Kategorien zu betrachten.

Freies Handeln:

Führungskräfte des russischen Staates fühlen sich frei, einen ihrer Nachbarstaaten mit militärischer Gewalt anzugreifen, einzudringen, menschliches Leben und Strukturen zu zerstören, die andere aufgebaut haben und zum Leben und Überleben benötigen. Welche Art von »Freiheit« ist das? Stellt man sich vor, wie der blaue Planet Erde allein seine Bahnen im Weltall zieht, ausgestattet mit allem, was die auf ihm wohnenden Menschen zum Leben benötigen, kann man sich mit gutem Recht fragen: Besteht auf unserem Planeten, der Erde, »Freiheit« in erster Linie darin, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen oder auf andere Art und Weise Lebensgrundlagen zu zerstören? Ist das »freies« Handeln, oder ist es oftmals eher zwanghaft? Vieles scheint einem einmal angelegten Muster zu folgen, aus dem man nicht mehr herauskommt. Auch der Krieg mit der Ukraine wirft den Gedanken auf, dass die politischen Kräfte in Russland nicht mehr die Macht haben, einen eingeschlagenen Weg zu verlassen. Was ist eigentlich freies Handeln? Vor diesem Hintergrund sozialer Zwänge kann man fragen, ob der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche wirklich so »frei« ist, sich auch gegen den Krieg und seine Folgen aussprechen zu können. Was würde in Russland passieren? Handelt der ungarische Präsident Orban »frei«? Fragen über Fragen!

Nahrungsmittelknappheiten und globale Abhängigkeiten lassen dieses Handeln zusätzlich in einem besonderen christlich-ethischen Licht erscheinen.

Faires Handeln:

Faires Handeln bedeutet Partei zu nehmen, die Dinge nicht beliebig laufen zu lassen. Als Begriffserklärung findet man ein gerechtes und den Regeln entsprechendes Handeln. Gerechtigkeit bedeutet für Christinnen und Christen ein an Gott ausgerichtetes (»gerechtes« im Sinne von »gerichtetes«) Handeln. Die Vorstellungen von Gerechtigkeit bzw. den Regeln entsprechend sind jedoch nicht eindeutig. Um wessen Regeln handelt es sich, wer interpretiert sie (im Einzelfall der erwähnte Patriarch, die UN, die WTO)? Der Verweis auf Gerechtigkeit ist offenbar nicht allein ausreichend, um das Wort »fair« zu erschließen. Sucht man nach dem Wortstamm, so stößt man auf »schön, hübsch, freundlich« bzw. auf »schmücken, rein, hellmachen«. Davon ist in der Ukraine zurzeit nichts zu erkennen.

 

Getreide aus der Ukraine - nicht für die ganze Welt, sondern für Russland

Die Ukraine ist gewissermaßen die zentrale Kornkammer für Afrika. Fruchtbare Felder und Landwirtschaft in der Ukraine ermöglichen eine bezahlbare Ernährung der Bevölkerung in vielen afrikanischen Staaten. Dem haben russische Kriegblockaden der Häfen im Schwarzen Meer jetzt einen Riegel vorgeschoben. Die Lebensader Dnepr durchzieht die ganze Ukraine und mündet bei Cherson ins Schwarze Meer, das ist westlich der Krim. Es ist aber auch die Lebensader für afrikanische Länder wie den Libanon oder den Tschad. Medien meldeten Ende Mai, dass Russland Getreide ins eigene Land abtransportiert habe. Der Tschad rief den Nahrungsmittelnotstand aus (zur Meldung der »Tagesschau«).

Was tun?! Die Handlungsansätze auf der Gemeindeebene sind hier sicherlich sehr beschränkt. Spenden an kirchliche Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt sind auf jeden Fall möglich, um die Not vor Ort zu lindern. Auch die Kraft des Gebets steht Christinnen und Christen zur Verfügung: Beten Sie dafür, dass Patriarch Kyrill neu darüber nachdenkt, was aus christlicher Sicht »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut.« bedeutet.

Tankrabatt und Übergewinn-Steuer

Der Tankrabatt in Deutschland war zum 1. Juni als Teil des Entlastungspakets der Bundesregierung in Kraft getreten. Es handelt sich um eine auf drei Monate befristete Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe. Allerdings waren die Preise an den Tankstellen nach dem ersten Rückgang unmittelbar nach Inkrafttreten des Tankrabatts aber überraschend (?!?) wieder gestiegen. Die Preise an den Tankstellen sind nach Angaben des Bundeskartellamts seit Mai stärker gestiegen als die Rohölpreise. Nach einer Meldung der »Tagesschau« kritisierte »SPD-Chefin Saskia Esken, ... der Steuerrabatt bei Benzin und Diesel koste die Steuerzahler rund drei Milliarden Euro, werde aber offensichtlich nicht voll an die Autofahrer weitergegeben. ›Dass die Mineralölkonzerne jetzt diese Preiserleichterung nicht vollständig an die Verbraucher weitergeben, das stinkt zum Himmel.‹ ... Ölkonzerne dürften nicht zulasten des Steuerzahlers Kasse machen.«

Offenbar handelt es sich hier um »freies Handeln« in der Fülle seiner Ausgestaltungsmöglichkeiten. Das macht deutlich, dass freies und faires Handeln auch hier wieder als Gegensatz gesehen werden. Wären »frei« und »fair« beim Handeln gewissermaßen »hintereinandergeschaltet«, dann würden die Ölkonzerne angesichts der gesellschaftlichen Lage vielleicht tatsächlich die Steuersenkung auf den Abgabepreis an der Tankstelle weitergeben! Die politisch Verantwortlichen haben anscheinend mit einer solchen Fairness gerechnet. Der neue Liberalismus gerät offensichtlich an Grenzen, wenn er unternehmerische Fairness unterstellt. In einer Meldung der »Frankfurter Allgemeine« äußerte sich Bundesminister und FDP-Chef Christian Lindner zu der Forderung neuer Steuern auf derartige Kriegsgewinne: »Manche haben ein rätselhaftes Verhältnis zu Parlament, Staatsfinanzen und dem Geld der Steuerzahler.« Genau dieser Satz lässt sich aber auch auf die angesprochenen Ölkonzerne anwenden: »Manche haben ein rätselhaftes Verhältnis zu Parlament, Staatsfinanzen und dem Geld der Steuerzahler.«

Was »zum Himmel stinkt« (s. obiges Zitat von S. Esken), das riechen typischerweise auch Christinnen und Christen! Das liegt daran, dass der Gedanke der Fairness im Sinne von »schmücken, rein, hellmachen« (s. o.) in der Bibel verankert ist. Christliches Gerecht-sein ist ein (Aus-)Gerichtetsein auf Gott und die Liebesbotschaft hin. Das Gerichtetsein auf das »Goldene Kalb« hin wurde dagegen im Alten Testament bereits als völlig unangebracht entschlüsselt ...

Einzelne europäische Länder wie Griechenland, Großbritannien oder Italien reagieren auf das frag-würdige »Geschäftsmodell« der Ölkonzerne mit einer Übergewinn-Steuer. Das bedeutet, dass die erheblichen zusätzlichen Gewinne, die den Konzernen durch den Ukraine-Krieg zugeflossen sind, von den Staaten zumindest teilweise wieder abgeschöpft werden. Das geht allerdings am Kern des Problems vorbei, denn eine Steuer auf Gewinne - auch wenn sie Über-Gewinne genannt werden - suggeriert, dass die Gewinne letztlich im Prinzip formal rechtmäßig erworben wurden. Anders wäre es, von einer Strafe wegen unrecht-mäßiger Bereicherung an einer gesellschaftlichen Notlage zu sprechen. Das christliche Rechtsverständnis lässt sich eben nicht auf die formale Erfüllung von weltlichen Gesetzen reduzieren, allein schon deswegen nicht, weil die Gesetze in unterschiedlichen Staaten verschieden sind.

Was tun?! Das fragwürdige Ausnutzung einer Notlage nicht als »gottgegeben« hinzunehmen wäre zumindest schon ein guter Ansatz ... Gespräche darüber zu führen statt Verständnis dafür zu haben, dass in einer Marktwirtschaft »so etwas« eben passieren kann, verändert das Bewusstsein und beeinflusst so die Strukturen. Das sogenannte »deutsche Wirtschaftswunder« nach dem Zweiten Weltkrieg beruhte auf der Idee einer »freien und sozialen Marktwirtschaft«. Das »Sozial« appelliert dabei an die gesellschaftliche Fairness.

Ansonsten hilft wohl nur, möglichst wenig mit den Autos zu fahren und möglicht wenig zu tanken. Die unternehmerische Strategie der Ölkonzerne angesichts des Ukraine-Kriegs macht unsere gleich doppelte Abhängigkeit bewusst. Erstens sind wir abhängig von russischen Öl- und Gaslieferungen und damit erpressbar. Zum anderen sind wir abhängig von den Minerallkonzernen, die in der Lieferkette direkt nachgeordnet und offenbar nicht auf unserer Seite sind. Dauerhaft Diversität hinsichtlich Mobilität aufzubauen ist das Gebot der Stunde: Fahrten einfach unterlassen, in anderen Fällen auf andere Verkehrsmittel umsteigen und das 9 Euro-Ticket als vernünftigen Denkanstoß wahrnehmen. Die Gebäude besser dämmen, Temperaturen absenken (18°C sind nicht wirklich »kalt«, nur erst einmal ungewohnt).

Sich durch Kriegsgewinne zu bereichern und die Benzinpreise an den Tankstellen mehrmals täglich gleich um mehrere Cent bzw. Rappen schwanken zu lassen - irgendwie ist dasselbe Prinzip dahinter erahnbar. Wollen wir das? Wollen wir als Christinnen und Christen, dass das normal ist?

Neue Märkte

Der Energiehunger der Industriestaaten ist unbestritten. Trotz Ukraine-Krieg und der Erkenntnis der dramatischen Abhängigkeiten von Russland sind Appelle fürs Energiesparen unpopulär, obwohl ein entschiedener Schritt in diese Richtung nicht nur die regionalen, sondern auch globale Interessen langfristig bedienen würde (Zukunftsfähigkeit). Warum denn nicht gleichzeitig über Pullover und Raumtemperaturen von 18°C im Winter, innovative Technologien und die Diversifizierung der Lieferanten von Erdöl und Erdgas sprechen? Eine Raumtemperatur von 18°C ist nicht lebensbedrohlich für Menschen, nicht einmal in den Industriestaaten, und gleichzeitig eine vertretbare Zwischenlösung, bis das Nullenergiehaus mit sozial und ökologisch verträglicher Wohnfläche zum Standard geworden ist.

Sicherheitshalber kauft Europa aber erst einmal die Flüssiggasressourcen auf, da das besser in das gewohnte Denkschema passt. Dass sich damit die Versorgungssituation in ärmeren Regionen zusätzlich verschärft (s. Bericht »Kampf ums Gas - Europa räumt den LNG-Markt leer« in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung), muss in eine christliche Perspektive jedoch einfließen. Global nachhaltige, zukunftsfähige Ansätze sind hier gefordert. Am Sparen und Umdenken (kurzfristig bzw. dauerhaft) kann sich jeder tragfähige Weg in die Zukunft orientieren.