Im eigenen Land

Bedrohte Freiheit ist nicht nur ein Phänomen in totalitären oder "fremden Ländern". Auch in den 22 Staaten, die in Bezug auf den Civic Space als "offen" gelten, entstehen strukturell bedingt Randgruppen, deren Partizipation am öffentlichen Leben blockiert ist.

Doch nicht nur Arbeitsosigkeit und der Status "alleinerziehend" führen zu Ausgrenzung.

Auch das Schüren von Ängsten ist bekanntlich ein Feind der Freiheit.

Toleranz transportiert die Idee der Freiheit im öffentlichen Raum und zu Hause. Zur Freiheit "im eigenen Land" gehört das Gewaltmonopol des demokratischen Staates.

Bedrohte Freiheit im eigenen Land
 

1. Einschränkung der Partizipation: Wie werden Randgruppen "gemacht"?

Liest man im Atlas der Zivilgesellschaft über 22 Staaten der Welt, in denen Meinungs- und Versammlungsfreiheit in vollem Umfang gegeben sind, und dass dazu Deutschland und die Schweiz gehören, könnte man auf die Idee kommen, das bedrohte Freiheit in diesen Ländern keine Rolle spielt. Der erste Eindruck täuscht jedoch. Zum einen können fehlendes Geld und fehlende Zeit die Möglichkeit der Wahrnehmung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit beschränken (Stichwort Arbeitslose, Alleinerziehende). Zum anderen bedeutet Freiheit hierzulande mehr als Meinungs- und Versammlungsfreiheit: Nur die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Austausch begründet auch die Möglichkeit, individuelle und tragfähige Lebensentwürfe zu entwickeln. Diese Freiheit wird durch Stigmatisierung, die Angst davor und durch (soziale) Sanktionierung bedroht.

Ursachen und Wirkungen - die Henne und das Ei: Die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Randgruppe schränkt oftmals die Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ein. Andererseits macht die Beschränkung der Teilhabe eine Gruppe mit einem statistischen Merkmal ("arbeitslos") zur Randgruppe.

Arbeitslose: "Das einzige Problem von Arbeitslosen ist, dass sie nicht teilhaben können an Arbeit und sozialen Kontakten. Darauf werden wir einen Schwerpunkt legen", sagte Kerstin Griese, die Staatssekretärin des Bundesarbeitsministeriums, am 26.03.18 in einem Interview im ZDF-Morgenmagazin. Es bestehe die Pflicht des Staates, die Menschen in Arbeit zu bringen - und nicht nur Arbeitslosigkeit zu verwalten. Es brauche zusätzlich zur materiellen Grundversorgung soziale Kontakte, Selbstwertgefühl und eine Tagesstruktur.

Eine Bedrohung der Freiheit lässt sich auch in der Vererbung des Habitus' identifizieren, der sich in der Kinderarmut in Verbindung mit Arbeitslosigkeit zeigt. Familien befinden sich in der Armutsfalle, die schon die heranwachsenden Kinder von der gesellschaftlichen Teilhabe weitestgehend ausschließt, weil die Mittel fehlen, sich etwa in einem Verein sportlich zu engagieren, ein Instrument zu lernen oder kulturelle Veranstaltungen zu besuchen. Defizite in der Kindheit und Jugend prägen zwangsläufig das Denken, das Bewusstsein und die persönlichen Perspektiven.

Alleinerziehende: Aus einem Artikel im "Stern" vom 23.03.2018: "Sie sind es, die den weitesten Spagat zwischen Job und Kindererziehung zu bewältigen haben. Die oft nur Teilzeit arbeiten können, weil sie die Erziehungsarbeit mit niemandem teilen können oder keine ganztägige Kinderbetreuung vorhanden ist. ... Geldsorgen und die Hetze zwischen Arbeit, Kindererziehung und Haushalt gelten als Hauptfaktoren dafür, dass sich Alleinerziehende sozial isoliert fühlen" Die Bedrohung der Freiheit ergibt sich hier aus der Kombination von Zeit- und Geldknappheit, die sich auf die Bildungs- und Berufschancen der betroffenen Kinder und des allein erziehenden Elternteils auswirken.

Die folgenden strukturellen Merkmale wirken sich bei der Kombination Zeit- und Geldmangel überdurchschnittlich nachteilig auf die Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus: zu hohe Wohnungsmieten im städtischen Raum, fehlende oder unflexible Betreuungsangebote - in Verbindung mit Diskriminierung bei der Arbeitssuche aufgrund des Wissen der Arbeitgeber um diese prekären Lebensbedingungen, steuerliche Schlechterstellung im Vergleich zu verheirateten Alleinverdienern.

Pflicht des Staates / Pflicht der Kirchen: Es ist nicht damit getan, Randgruppen vor dem Verhungern zu bewahren. Menschen in Arbeit zu bringen bedeutet die Anerkennung der Würde und der Freiheit, mit anderen gemeinsam am sozialen Leben teilzuhaben, als Erwachsene(r) wie auch als Kind. Das christliche Menschenbild deckt sich mit diesem Anspruch. Benachteiligende Strukturen sind auszumachen und zu beseitigen.

2. Bedrohte Freiheit im kulturellen Bewusstsein und bedrohte Freiheit schutzbedürftiger Mitmenschen

Ganz abgesehen von einer aktiven Teilhabe bedeutet Freiheit zumindest, dass man im rechtsstaatlich zugesicherten Rahmen "in Frieden gelassen" wird. Das ist offensichtlich Flüchtlingen gegenüber nicht immer der Fall. Fremdenfeindlichkeit und Missachtung des Gewaltmonopols des demokratischen Staats bedrohen die Freiheit der Bevölkerung stärker als Beeinträchtigungen als Folge des Asylrechts, selbst wenn es (im Einzelfall) ausgenutzt wird. Angst ist ein Feind von Freiheit, das deckt sich mit der Botschaft des Christentums, das bekanntlich "zu Deutschland gehört".

Toleranz spielt nicht nur gegenüber Fremden, Benachteiligten oder Randgruppe eine Rolle, sondern auch eine grundsätzliche Rolle. Ist die Tolerenz einer Gesellschaft erst einmal verloren gegangen, fehlt sie dann auch im täglichen Miteinander in vielleicht unkritischen Bereichen.

 

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