Barbara Janz-Spaeth (Bistum Rottenburg-Stuttgart): Gastfreundschaft

Bienvenido!

Bei –allen Begegnungen einer Reise in Zentralamerika im Frühjahr 2023 wurde uns dieses Wort entgegengerufen – und es war ernst gemeint! Bienvenido bedeutete: Willkommen! Lasst uns das Leben und den Glauben miteinander teilen.

Gastfreundschaft im ursprünglichsten Sinn

Konkret war damit gemeint, einander unseren Traum von einer guten, einer besseren Welt zu erzählen und einander darzulegen, was wir glauben und wie der Glauben an unseren Gott das Leben prägt, unsere Einstellungen, unsere Haltungen, unser soziales und politisches Engagement, unsere Idee von Gerechtigkeit. Konkret hieß das auch, miteinander zu essen und zu trinken, die unterschiedlichsten Lebensgeschichten anzuhören, zu diskutieren, zu tanzen, zu singen, den Schmerz und die vielen ungelösten Fragen und Probleme zu teilen. So haben wir Gastfreundschaft im ursprünglichsten Sinn erlebt, weil wir als Gäste begrüßt und als Freund:innen weggegangen sind. Es ist eine Erfahrung, die mein bisheriges Verständnis von Gastfreundschaft komplett verändert hat. Geben und Empfangen fanden in stetem Wechsel, ja gleichzeitig statt – jeweils mit den Mitteln, die zur Verfügung standen. Die Frage, wer mehr hatte, mehr wusste, mehr konnte, spielte keinerlei Rolle mehr, weil die jeweiligen Gaben ganz andere waren als die, die ich gewohnt war zu empfangen oder selbst mitzubringen.

Gastfreundschaft bezieht die Schöpfung ein

Ich habe darüber hinaus begriffen, dass Gastfreundschaft eine Lebenshaltung ist, die sich auf die Menschen untereinander und auf den Lebensraum, auf die gesamte Schöpfung bezieht. Denken und Handeln wird davon bestimmt, dass es den/das Andere sieht, wahrnimmt, miteinbezieht – nicht im Gegenüber, sondern im Gemeinsamen. Fremdheit war Anlass, eine Verbindung herzustellen, Brücken zu bauen, Vertrauen zu schenken. Verschiedenheit bewirkte, das Verbindende zu suchen, die Unsicherheiten zu nehmen und einander in dieser Verschiedenheit zu schätzen. Gastfreundschaft bedeutete, für das / der / die Andere da zu sein. Auch das bezieht sich über die Personen hinaus auf die Schöpfung: die Menschen für die Felder, die Flüsse, die Seen, die Produkte, die hergestellt wurden, die Familien, die Schulen, die Basisgemeinden. Gastfreundschaft dient dem Anderen und das / der / die Andere dient der Gastfreundschaft. Sich als Gast der Schöpfung zu verstehen, führt notwendigerweise zu einem achtsamen, ressourcenrespektierenden Benehmen der Menschen, zu einer Begrenzung dessen, was der Schöpfung entnommen wird und einer Suche, was ihr zurückgegeben werden kann und muss. Gastfreundschaft auf die Schöpfung zu beziehen geht davon aus, dass die Menschen nicht ein Gegenüber zu ihr bilden, sondern selbst Teil der Schöpfung sind.

Gastfreundschaft gibt der Gegenwart Bedeutung.

Leben im Jetzt, in der Gegenwart ist ein wesentliches Merkmal der Gastfreundschaft. Jetzt begegnen wir uns, jetzt reden wir miteinander, lachen, erinnern, träumen im Jetzt. Oft kam mir die Emmaus-Erzählung (Lk 24,13-35) in den Sinn, wo in einem solchen Moment der Gastfreundschaft der Auferweckte erkannt wird. Ein Gast, der im Weggehen gegenwärtig bleibt, der Erinnerungen einen Sinn gibt und Fragen beantworten kann, die bisher unbeantwortet blieben. Gastfreundschaft legt neue Spuren und lenkt auf andere Wege, weist den nächsten Schritt. Gastfreundschaft hilft, in der Gegenwart des anderen unser eigenes Menschsein zu erkennen.

Gastfreundschaft beantwortet die Frage, wie Zusammenleben gehen kann

Gastfreundschaft hat Mitgefühl als Grundlage. Sie übersieht nicht die besonders Verletzlichen, das besonders Verletzliche, sondern bietet sich diesen an, stellt sich in dessen Dienst. Sie trägt dazu bei, dass sie partizipieren können am gemeinsamen Menschsein, am guten Leben. Sie schließt niemanden aus, überwindet kulturelle und ethnische Unterschiede als Kriterien für Trennung und Ausgrenzung (vgl. Eph 2,19 Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde und ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes.) Friede wächst in der und durch die Gastfreundschaft.  In ihr entsteht eine Beziehungskultur, die uns selbst in der Begegnung mit dem Fremden verändert und stets neu werden lässt.

Gastfreundschaft bedeutet, Gast und Gastgeber:in zugleich zu sein

Mt 25 (Gleichnis vom Gericht des Menschensohnes) zeigt deutlich: „Der Fremde, der gastlich aufgenommen werden soll, ist gleichzeitig der Nächste, den man wie sich selbst behandeln und der Herr, dem man von ganzem Herzen dienen soll. Deshalb muss er aufgenommen werden, wie man den Herrn empfängt: respektvoll, einfühlsam und sogar dmütig: ‚Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!‘ (Hebr 13,2)“.[1]  Hier werden dem „konkret“ Anderen und der Schöpfung Rechte gegeben, die eine Rolle als Behandelte, als Fürsorge-Objekte beenden. Als Gast und als Gastgebende sind wir verbunden in gemeinsamen und unterschiedlichen Interessen mit gleichen (Grund-)Rechten. Vielfalt muss nicht mehr unterdrückt werden, sondern ermöglicht neue Gemeinschaft aller Lebendigen und mit der Schöpfung.

Barbara Janz-Spaeth


[1] Monge, Claudio, Gott zu Gast haben, in: Schickendanz, Carlos, Gusztȃv  Kovȃcs und Stan Chu Ilo,  Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie, Gastfreundschaft und Freundschaft, 58. JG, 2022, 514-522, 520