19.o5.24 – Pfingstsonntag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Hes 37,1-14 Vorabend: Gen 11, 1-9
od. Ex 19, 3-8a.16-20b
od. Ez 37, 1-14
od. Joel 3, 1-5
Tag: Apg 2, 1-11
(Vorab.:) Röm 8, 22-27
(T.:) 1 Kor 12, 3b-7.12-13
oder Gal 5, 16-25
(V.:) Joh 7, 37-39
(T.:) Joh 20, 19-23 od.
Joh 15, 26-27;16,12-15

Der Autor geht am Predigttext der ev. Perikopenordnung entlang, entfaltete die Bilder der Vision des Propheten und stellt ihnen Bilder aus unseren Tagen an die Seite. Von da aus richtet er den Blick auf die neutestamentlichen Texte vom Wirken des Heiligen Geistes.

Knochen, so weit das Auge reicht. Ein verstörendes Bild, das der Prophet hier zu Gesicht bekommt. Einst waren sie voller Leben, Gottes geliebtes Volk. Nun ist da nur noch ein Tal voller toter Gebeine. Doch es gibt Hoffnung, Hoffnung auf neues Leben. Der Prophet soll es verkünden. Gottes Geist wird es erschaffen.

Skelette, so weit das Auge reicht - Baumskelette. Mir kommt das Bild skelettierter Nadelbäume in den Sinn. In den 1980er Jahren hat der „Saure Regen“ die Böden übersäuert. Der Schwefel aus fossilen Brennstoffen hat die letzte Nadel fallen, das letzte Blatt verdorren lassen. Heute, in den 2020er Jahren, greift das Baumsterben wieder um sich. Der Klimawandel und in seiner Folge die Trockenheit und Borkenkäfer haben zwei Drittel des Fichtenbestandes im Harz erneut absterben lassen.

Wie würden hier und heute die Worte Gottes an seinen Propheten lauten?

Ruach, die Geistkraft Gottes, ist weiblich. Sie war von Beginn an bei Gott, noch vor der Schöpfung und schwebte über den Wassern (Gen. 1,2). Ruach ist ein lautmalerisches (onomatopoetisches) Wort. Es armt den Laut nach, den es beschreibt (wie summen, wispern, hauchen). Im Wort „Ruach“ wird der Lebenshauch, der von Gott ausgeht, hörbar. Die Ruach kommt aus dem Innersten Gottes, ist Gott selbst, seine schöpferische und lebenspendende Kraft. Und doch ist sie auch getrennt von ihm. So weist Gott den Propheten an, mit (seinem) Geist zu sprechen (V9) und die Knochen zu „beleben“. Wie in den Schöpfungsgeschichten entsteht durch Gottes Geisteskraft aus toter Materie Leben - neues Leben. Gottes Geist schafft und erneuert Leben. Was kann nachhaltiger wirken, als diese lebensstiftende und -erneuernde Geistkraft Gottes?

Gottes Geist schafft und erneuert Leben. Paulus ruft dazu auf, sich durch Gottes Geist neu ausrichten zu lassen, ein neuer Mensch zu werden. Durch den Heiligen Geist können wir das überwinden, was uns von Gott und unseren Mitmenschen trennt. Liebe und Friede sind Früchte des Heiligen Geistes, die denen zuteilwerden, die sich durch ihn bewegen lassen (Gal 5, 16-25, 2. kath. Lesung). Dieser Geist Gottes ist es auch, der Menschen mit jeweils eigenen Gaben ausstattet, damit sie ihre Aufgaben wahrnehmen können (1 Kor 12, 3b-7.12-13, 2. kath. Lesung).

Das Volk Gottes erwacht zu neuem Leben (V11ff). Gottes Geist fügt wieder zusammen, was verstreut und tot am Boden lag. Die Ruach Gottes haucht den toten Knochen neues Leben ein. So schafft und belebt Gottes Geist sein Volk aufs Neue. Und er gibt ihm wieder Heimat, ein Zuhause, wo zuvor allein verbrannte Erde war. So kann Israel wieder leben als Kinder Gottes in der Gemeinschaft der Völker.

Gottes Geist schafft und belebt Gemeinschaft. So könnte auch die Überschrift für die Pfingstgeschichte aus Apg 2, 1-11 (1. Kath. Lesung) lauten. Hier „erweckt“ der Geist Gottes eine Gemeinschaft, die von Anfang an die Grenzen überschreitet. Die Gemeinde Jesu Christi ist von Beginn an bunt und vielfältig. Diversität ist nicht Ergebnis kirchlicher Zergliederung, sondern Wirken des Heiligen Geistes. Diese Erfahrung von Gemeinschaft und Verständigung über alle Grenzen hinweg hat belebende, ja „berauschende“ Wirkung.

Zuvor hatten die Jünger noch verzagt hinter verschlossenen Türen gehockt (Joh 20, 19-23 kath. Evangelium). Doch dann tritt der Auferstandene in ihre Mitte. Zweimal sagt er zu ihnen: Friede sei mit euch“. Durch seinen Atemhauch empfangen sie den Heiligen Geist (vergl. Predigttext V9). Und wieder ist er hier erfahrbar, der Heilige Geist, der zugleich Gottes Geist ist, mit Jesus verbunden, wie er mit dem Vater verbunden ist: Drei in eins, doch unvermischt und ungetrennt. Die Zusammenschau der Texte lässt ein Bild erahnen von dem Geheimnis der Trinität. Und die Jünger? Durch die Gabe des Heiligen Geistes finden sie den Mut, den Auftrag Jesu anzunehmen. Wie ihn der Vater gesandt hat, so sendet er sie – in alle Welt, zu allen Menschen.

Menschen, so weit das Auge reicht. Mir geht das Bild nicht aus dem Sinn: Es ist der 9.10.1989. 70.000 Menschen sind auf den Straßen Leipzigs. Es ist die bislang größte Montagsdemonstration. Die Stasi soll um jeden Preis die Demonstration verhindern. Doch die Menschen strömen aus den Häusern und aus den Kirchen. Viele halten Kerzen in den Händen und rufen: „Keine Gewalt“, „Freiheit“ und „Wir sind das Volk“. Später sagt der ehemalige Vorsitzende des DDR-Ministerrates Horst Sindermann dazu: „Mit allem haben wir gerechnet, nur nicht mit Kerzen und Gebeten. Sie haben uns wehrlos gemacht.“

Können wir ihn hier entdecken – im Rückblick? Den Geist des Friedens und der Freiheit (Gal 5)? Den Geist Gottes, der Türen öffnet und Mauern einreißt, die Menschen trennen?

I. Neserke, EK v. Westfalen

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