Reminiszere / 2. Fastensonntag
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
4 Mose 21,4-9 | Gen 22, 1-2.9a.10-13.15-18 | Röm 8, 31b-34 | Mk 9, 2-10 |
4 Mose 21,4-9
- Wer straft hier eigentlich wen? Nach biblischer Lesart ist Gott die Letztursache, also er. Es gibt einen Tod, für den der Mensch nichts kann (Giftschlangen). Aber für viel Tod ist er selbst verantwortlich, mitverantwortlich, fahrlässig verantwortlich.
- Wir können nicht zurück in das Unlebbare, was den Umgang mit Rohstoffen angeht. Murren hilft nicht. Wir müssen einen Weg finden, Entbehrungen eingeschlossen, auf dem Gott nicht die Chiffre für Wohlstand und bequeme Versorgung ist.
- Wenn Gott schon straft, so heilt er auch. Er lässt es nicht beim Strafen. So könnte man das biblisch lesen. Andere Lesart: Wir hätten gerne ein einfacheres Leben ohne Strapazen. Aber darin ist etwas Giftiges, ein Anspruch, der schnell tödlich werden kann. Möglichst alles, möglichst billig! Das kann nicht lange gut gehen. Daraus wird vielfacher Tod aus Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur, in Ausbeutung von Menschen und ihrer Arbeitskraft, durch einen Sättigungswillen, der nicht wirklich sättigt. Das ist das Gift. Heilung kommt von Gott. Die erhöhte Kupferschlange, der Arzt, Jesus Christus. In ihm auch einmal den freien Menschen sehen, der nicht von seinen Bedürfnissen gelenkt wird.
- Israel auf dem Weg in die Befreiung. Als der Weg zu anstrengend wird, beginnt das Murren. Der Mensch in seiner Widersprüchlichkeit. Wir bestrafen uns oft mit Dingen, mit denen wir uns belohnen wollen. Wir befreien uns, indem wir uns mit Suchtmitteln gefangen nehmen. Wir wählen uns Führerfiguren, die uns keine Wahl mehr lassen. Wir halten so wenig durch. Und das „Feindliche“ der Umwelt besiegen wir, indem wir Umweltgifte entwickeln, die auf uns zurückwirken. „Wenn wir die Wölfe wie die Wölfe besiegen, dann haben sie uns besiegt“, sagt das Sprichwort. Das ist der Punkt. So beschwören wir Unglück herauf, dass wir selbst nicht mehr bannen können.
Gen 22,1-2.9a.10-13.15-18
- Nicht wenige reagieren mit Empörung auf die Forderung, den Sohn zu opfern. Man muss die Geschichte von hinten her lesen. Dann bleiben zwei Aussagen bestehen: Das Lob der Opferbereitschaft einerseits, die Ablehnung des Menschenopfers andererseits. In einer Lesart auf Christus hin ist ferner wichtig: „Es geht nicht um Deinen Sohn, es wird einmal um mich und meinen Sohn gehen… Ich will Deine Hingabe, aber du bist nicht ihr Opfer. Das will ich selbst sein.“
- Opfern wir Gott/Götzen Menschen, gar die eigenen Kinder? Wohl nicht mehr, jedenfalls nicht in dieser Absicht. Faktisch geschieht das aber, wenn wir Kriege provozieren, wenn wir die Natur so ruinieren, dass sie unsere Kinder nicht mehr ernähren kann, wenn wir wirtschaftliche Bedingungen schaffen, die wiederum Fluchtbewegungen auslösen und die damit verbundenen Toten. Es gibt nach wie vor Menschenopfer, nur dass sie nicht unbedingt im Namen der Religion geschehen. Wieviel Opfer forderten und fordern allein die Götzen Nationalismus oder (National-)Sozialismus!
- Die Forderung nach dem Opfer des Sohnes macht auch deutlich: Ich habe nichts, was mir nicht gegeben wäre. Wir behandeln aber vieles, als hätten wir einen Anspruch darauf. Wir stecken Natur wie einen Besitz ab. „Hier mache ich, was ich will. Hier mache ich, was andere von mir fordern.“ „Mein Wald, mein Land, mein Grund…(manchmal leider auch: Mein Bauch…). Haben wir einen Anspruch auf ein Kind, ein Recht auf Glück. Ja und Nein. Ein Mensch gehört uns nicht. Glück darf man nicht erzwingen.
- Bei allem Zwiespalt, den das Leben so mit sich bringt, bei allen Missverständnissen, die wir mit „heiligen“ Pflichten oder Zielen verbinden, diese Erzählung hat ein verblüffendes Ende: Schutzmacht des Kindes ist nicht der Vater, sondern Gott selbst. Was tun wir um Gottes willen, was am Ende gar nicht Gottes Wille ist? Anlass zu überprüfen, was die sogenannten Sachzwänge, Ideale und Pflichten fordern, und ob sie von Gott gedeckt sind.
- Ohne Zweifel braucht es eine gewisse Opferbereitschaft, um nachhaltig zu leben. Die sofortige Befriedigung aller Wünsche wird es nicht mehr sein können. Die Umsetzung etwa aller schönen Reiseziele wohl auch nicht. Dennoch könnte am Ende Gewinn stehen im Sinne des Heideggerschen Verzichtens: Der Verzicht nimmt nicht. Er gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.“ Abraham erhält seinen Sohn zurück, damit Glück und Zukunft!
- Isaak bedeutet für Abraham Zukunft und Weiterleben. Ich bin unglücklich über die Entscheidung junger Paare, keine Kinder zu bekommen, weil – so die Begründung - der ökologische Fußabdruck eines neugeborenen Menschen einfach zu groß sei. Ist denn dieses Opfer auf ein eigenes Kind notwendig? Haben wir so wenig Zutrauen in andere Lösungen, die Gott durch uns für diese oder auch mit diesen ungeborenen Menschen bereitstellt (durch den „Widder“ Forschung, Vernunft, Einsicht, Umkehr)?
Römer 8,31b-34
- In unserem „struggle for life“ wird schnell übersehen, dass wir nicht soviel kämpfen müssen. Leben kommt von Gott. Leben über den Tod hinaus kommt ohnehin nur von ihm. Gott hat uns alles gegeben. Wir kämpfen um Leben, als hinge alles von uns ab. Wir jagen nach einem Leben, das Gott uns schenken könnte. Wie kann ein Mensch mit Wenigem glücklich sein, vollkommen glücklich und ein anderer mit vielem total unglücklich? Werden wir nicht lernen, - das ist keine Forderung, sondern eine Verheißung (Aussicht und Hoffnung) -, mit weniger glücklicher zu sein? Das hängt davon ab, was wir in uns füttern: das Habenwollen oder das Daseinkönnen.
- Beispiel: Klösterliche Welten grenzen Möglichkeiten ein. Es sind asketische Welten. Sie schaffen aber Räume – aus Stille und Einsicht und in der Seele, die sonst nicht betreten werden. Es sind große Welten aus einfachen Mitteln.
- Noch einmal: Der Verzicht, meinen wir, nimmt uns etwas. Tatsächlich gibt er die unerschöpfliche Kraft des Einfachen (wie M. Heidegger gesagt hat). Gott nimmt uns nichts. Er will und hat uns alles geben, alles, was wir brauchen. Das ist durch Lehre und Leben Jesu geschehen. Wir können Anteil haben an seinem Leben. Nachhaltiges Glück bis in das Ewige hinein, die Nachhaltigkeit schlechthin.
Mk 9,2-10
- Von den Toten auferstehen? Er löst in ihnen viele Fragen aus, die das Irdische übersteigen. Nicht Hütten bauen, sondern hinabsteigen, weitergehen, ihm in das Himmlische folgen, was es auch sei.
- Wir müssen nicht materiell hier so tief ankern, als ob alles Glück auf Erden sei. Irdische Erfahrungen sind Verweise auf ausstehende Zukunft in dem, was ganz Gottes ist und längst gegenwärtig ist. Zeit lässt in Ewigkeit schauen. Ewigkeit ist kein Danach, sondern die Zeit Gottes in unserer. Ewigkeit berührt und zeugt den neuen Menschen, auf den wir hören sollen.
- Es gibt so etwas wie den neuen Menschen, verwandelt, geliebt und in Einheit mit Gott. Er lebt nicht aus der Anstrahlung, sondern in Ausstrahlung dessen, was in ihm von Gott ist. Das ist Jesus einerseits, aber auch eine verborgene Gestalt in uns. Da ist ein Strahlen, das schon von anderswo her kommt und das wir auf Erden nicht machen können. Da ist schon ein Mehr an Schönheit, dass wir nicht artifiziell herstellen können. Es kann in unsere Welt einbrechen. Und es ist eine Gestalt, die wir nicht bauend bannen können, sondern die wir erfahren, indem wir gehen.
- Hört sich etwas esoterisch an, ist aber asketisch gemeint. Dieser neue Mensch braucht nicht soviel Energie aus der Welt des Geschaffenen. Nicht das Haben und Verbrauchen macht ihn glücklich, sondern das Sein und Leben aus Gott und Dasein für alle. Sein Halt liegt nicht so sehr im Geschaffenen wie im Schaffenden. Das ist auch ein Aspekt der Nachhaltigkeit.
Dr. Thomas Hürten, München