Sexagesimae / 5. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
2. Kor (11, 18.23b-30); 12, 1-10 | Ijob 7, 1-4.6-7 | 1 Kor 9, 16-19.22-23 | Mk 1, 29-39 |
Vorbemerkung - Sich Rühmen (kauchaomai) und Ruhm (kauchema) bei Paulus:[1]
Kauchaomai ist im Griechischen generell sowohl negativ als auch positiv konnotiert, kann also „angeben, prahlen“ ebenso heißen wie „berechtigten Stolz äußern“. In der LXX wird mit dem Wortstamm „kauch-„ vor dem prahlerischen Selbstruhm immer wieder in sprichwörtlichen Sätzen gewarnt; er kommt jedoch auch in Zusammenhängen vor wie sich Gottes (oder des Gesetzes) rühmen und wird dann auch mit Frohlocken o.ä. übersetzt. Man rühmt sich generell dessen, worauf man Vertrauen setzt, deshalb gilt der Selbstruhm als charakteristisch für den törichten und gottlosen Menschen. Im NT werden kauchaomai, kauchema und kauchesis fast nur von Paulus und von diesem sehr häufig verwendet.Seine Grundaussage ist: Der Glaubende vertraut nicht sich selbst, sondern Christus und rühmt sich deshalb Christi, aller Selbstruhm wird zunichte. Allerdings steht Paulus vor allen in den Korintherbriefen in einer klar wahrnehmbaren Konkurrenz zu Aposteln, die sich und ihre speziellen Gaben rühmen und gerade durch ihr „Sich-Rühmen“ auf die Korinther großen Eindruck machen. In Reaktion darauf gerät Paulus immer wieder in die paradoxe Situation, sich ebenfalls zu rühmen. Zwei dieser Stellen sind 2. Kor (11,18.23b-30);12,1-10 und 1. Kor 9,16-19.22-23, die der folgenden Predigtskizze zugrundeliegen.
Predigtanregung
Tue Gutes und rede darüber! Rühme dich deiner guten Taten! Gerade wenn es um Nachhaltigkeit geht, wird dieses Motto gerne befolgt. Ob es die Kollegin ist, die immer wieder gerne darauf zu sprechen kommt, dass sie Vegetarierin ist, oder der sehr sorgfältig gestaltete Bericht eines Unternehmens, auf dem „Sustainability Report“ steht, oder die Plakette mit dem Grünen Gockel, die neben der Kirchentüre hängt: Wer sich um Nachhaltigkeit bemüht und entsprechende Anstrengungen auf sich nimmt, möchte auch, dass das bekannt wird. Die anderen sollen es wissen und wertschätzen. Ruhm, Image oder Reputation sind der Lohn für alle die guten Taten, die dazu beitragen, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder eine intakte ökologische, soziale und ökonomische Lebenswelt vorfinden.
Die evangelische Perikope aus dem 2. Korintherbrief und die katholische aus dem 1. Korintherbrief befassen sich beide mit dem Ruhm. Paulus setzt sich immer wieder mit diesem Thema auseinander: Ruhm und Lohn – immaterielles und materielles Entgelt für das Gute, das er leistet. Und er ist zweifellos einer, der bis an die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit gegangen ist. Durch nichts hat er sich daran hindern lassen, seine Mission zu verfolgen: Gefangenschaft, unzählige Schläge, Steinigung, Schiffbrüche, durchwachte Nächte, Hunger, Durst, Kälte, Blöße, Bedrohung durch Menschen und Naturgewalten, Todesgefahr – alles das hat ihn nicht abgehalten. Das ist eine grandiose Leistung und sein Ruhm als Völkerapostel hallt zu Recht durch die Jahrhunderte.
Rühmen muss sein! Das ist die eine Seite, die Paulus nicht loslässt: Es rühmt sich jeder, warum nicht auch ich? Was spricht dagegen? Habe ich doch nicht nur fast übermenschliche Anstrengungen vorzuweisen, sondern könnte auch über unerhörte Offenbarungen und Entrückungen ins Paradies berichten. Ganz versagen kann er es sich ja nicht, darauf hinzuweisen, warum er nach weltlichen Maßstäben nicht nur mit seinen Konkurrenten gleichziehen kann, sondern sie auch locker übertrifft.
Aber genau das ist das Problem, das weiß er nur zu gut: die weltlichen Maßstäbe. Sie sind es doch, die derjenige außer Kraft gesetzt hat, der ihn auf seine Mission geschickt hat. Alle unsere Regeln der Selbstbehauptung und des Strebens nach Anerkennung, mit denen wir unseren Platz in unseren sozialen Gefügen behaupten wollen, auch solche wie „Tue Gutes und rede darüber!“, gelten nicht mehr. Sie sind Narretei und Torheit – etwas völlig Unbedeutendes, Sinnloses, „heiße Luft“ – geworden, einfach nur dadurch, dass an die Stelle aller dieser Regeln eine Person getreten ist: Jesus Christus. Er allein ist maßgebend.
Darum ist das für Paulus auch kein freiwilliges Tauschgeschäft auf Gegenseitigkeit: Verkündigung des Evangeliums (unter extremen Anstrengungen) gegen Ruhm. Er hat hier nichts zu erwarten als Lohn oder Belohnung – nicht einmal den mickrigen Lohn des Tagelöhners, mit dem sich Hiob vergleicht (Hiob 7,2) –, weil er handelt wie unter Zwang, ohne jede Alternative. Er muss das tun und wehe ihm, er ließe es bleiben! Es klingt wie ein Paradox, aber genau dieser Zwang ist es, der ihm die große Freiheit eröffnet, allen alles zu werden und so auf jeden Fall einige zu retten, indem er sie für den Glauben an Christus gewinnt.
Was heißt das alles nun für unsere Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit? Sollen sie nur noch im stillen Kämmerlein erfolgen? Oder sollen wir sie weiterhin bekannt machen, um auch andere dazu zu motivieren und gleichzeitig ein wenig Ruhm und Anerkennung zu ernten? Die Antwort darauf fällt schwer, weil die Frage falsch gestellt ist. So wichtig alle Nachhaltigkeitsbemühungen sind, so lassen sie sich doch nicht gemeinsam mit der Verkündigung des Evangeliums in eine Kategorie „gute Taten“ einordnen. Paulus weiß genau, dass er sich zum Narren macht, wenn er dafür so etwas wie Ruhm oder einen guten Ruf erwartet.
Seine Botschaft ist eine andere: Christus soll euer Maßstab sein. Er soll in eurer Schwachheit Wohnung nehmen, dann seid ihr nicht nur gerettet, sondern auch belohnt und anerkannt. Dann seid ihr frei, jedes Mal wieder neu zu entscheiden, ob ihr anderen – durchaus mit berechtigtem Stolz – etwas mitteilt über eure Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit oder nicht. Diese Anstrengungen haben einen Wert in sich und werden nicht dadurch wertvoller, dass andere sie würdigen. Aber es kann durchaus sinnvoll sein, unter Kolleginnen und Kollegen für weniger Fleischkonsum zu werben oder die Bemühungen eines Unternehmens um mehr nachhaltiges Wirtschaften in ansprechender Form zu präsentieren. Und erst recht ist es sinnvoll darauf hinzuweisen, dass man dabei ist, die Kirche einer Gemeinde zu betreten, die nachprüfbar umweltbewusst handelt.
Dr. Karin Bassler, Darmstadt