Erläuterung: Seit dem Start der Reihe „nachhaltig predigen“ nimmt sich die Herausgebergruppe für jedes Jahr ein Nachhaltigkeits-Thema vor, das aus biblisch-christlicher Perspektive im jeweiligen Kirchenjahr näher betrachtet werden soll. Auf diese Weise sollen Hintergrundinformationen bereitgestellt werden, nicht nur für die Predigt, sondern für alle, die sich für den spannenden Zusammenhang »Christ / Christin sein, Kirche und Nachhaltigkeit« interessieren (Erwachsenenbildung, Religionsunterricht etc.). Die Predigtanregungen selbst sind nicht an die jährlichen Schwerpunktthemen gebunden, greifen sie jedoch vereinzelt auf.
Der Erdüberlastungstag (Earth Overshoot Day) fiel im Jahr 2023 auf den 2. August. In Deutschland und in der Schweiz war er bereits am 4. bzw. am 13. Mai: »„Wir sind nur Gast auf Erden ..."« (GL 505)
(Predigtanregungen und Bibelstellen direkt zum Thema am Ende der Seite)
Gastfreundschaft
Gleich im Advent, zu Beginn des Kirchenjahrs, rückt mit der erwarteten Geburt Jesu die Gastfreundschaft in den Blick. Die Herbergen sind voll, für die Niederkunft bleibt ein Stall als Notunterkunft (Lk 6,7), »Gastgeber« sind ein Esel und ein Ochse. Gastfreundschaft steht gewissermaßen am Anfang des Christentums. Sie ist das Licht, das die Hirten leitet – am Himmel und stärker noch im Herzen: Gott übt Gastfreundschaft. Als Zeichen seines Vertrauens und Wohlwollens schickt er seinen Gästen, uns, seinen Sohn, ein verletzliches Kind, entgegen!
In derselben Region um Jerusalem herum reicht das Thema bis zur Gegenwart, wo es die Beziehungen zwischen Israel und Palästina berührt – wer weiß noch, wer eigentlich Gast und wer Gastgeber ist? In den zurückliegenden mehr als hundert Jahren wurde das Land nördlich des Roten Meers, in der Bibel auch als das Gelobte Land bezeichnet, immer wieder von unterschiedlichen politischen Kräften und Mächten gebeutelt. Die Spuren reichen bis vor den Ersten Weltkrieg ins Osmanische Reich zurück.
Dort warten die Menschen noch immer darauf, dass der Tempel von Jerusalem wieder in seinem früheren Glanz erstrahlt, wie einst vor 2000 Jahren. Parallel dazu steht die Aussage Jesu im Raum, mit seiner Friedensbotschaft den Tempel in drei Tagen wieder aufbauen zu können. Gastfreundschaft zu üben (Röm 12,13) bzw. zu leben wäre ein vielversprechender Ansatz, ganz gleich, ob dieser Jesus von den einen als Prophet und den anderen als Sohn Gottes wahrgenommen wird. Die Botschaft ist entscheidend.
»Wir sind nur Gast auf Erden« – mit diesem bekannten Satz werden Gastrechte und Gastpflichten thematisiert, gegenüber der Natur, den Menschen (heute ebenso wie in der Zukunft lebenden) und damit gegenüber der Schöpfung als Ganzes.
»Gastfreundliche Seelsorge ist eine Alternative zum üblichen Umgangsstil unserer Gesellschaft; sie geht davon aus, dass den Menschen in unserer hektischen Welt nicht so gut tut wie ein Platz, an dem sie verschnaufen, Atem holen, das Visier hochklappen, die Waffen ablegen können, weil sie spüren: Hier muss ich nicht schon wieder etwas leisten.« (Rolf Zerfaß) Und: »Die wachsende Mobilität der heutigen Welt fordert eine verstärkte Praxis der Gastfreundschaft heraus.« (ders.) Ein Symbol für Gastfreundschaft ist das Abendmahl.
Von der Theologie zur Bibel: Im Sinne der Gastfreundschaft ist es sogar gestattet, unbequem zu sein: »5 Und er sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; 6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, 7 und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. 8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.« (Lk 11,5 ff.) Im Interesse der Gastfreundschaft zu handeln muss für Christinnen und Christen also Vorrang vor falsch verstandener political correctness haben.
Apropos christliche Sichtweise: Wer in afrikanischen Staaten mit Rohstoffen handelt, ist oft zu Gast in einem anderen Land. Viele Gäste (aus den Industrienationen) verhalten sich aber noch immer eher wie Eroberer oder Kolonialstaaten. Mit christlichen Grundsätzen würde das nicht passieren. Spätestens, wenn diese Ausbeutung zu menschlichem Leid führt, etwa in Coltanminen oder bei der Kinderarbeit, ist der Zeitpunkt gekommen, sich – neben dem Gastrecht – an die Gastpflichten zu erinnern, die zweite Seite der glänzenden Medaille. Ganz verkehrt: Ferne Inseln ersticken im Plastikmüll, den die Industrienationen in den Handel bringen. Gastfreundschaft hat viel mit Fairness und Achtung zu tun!
Wir sind nur Gast auf Erden ...
»Wir sind nur Gast auf Erden – in Erinnerung an Berta Cáceres (1971–2016)« war der Titel einer Kontinentaltagung zu Fragen der Schöpfungsspiritualität, Schöpfungstheologie und Schöpfungsgerechtigkeit in Lateinamerika im Jahr 2017 im argentinischen Salta. Dazu erschien 2019 der Tagungsband von Carlos Maria Pagano et al.: Wir sind nur Gast auf Erden. Lateinamerikanische Schöpfungsspiritualitäten im Dialog, Dokumentation einer Konferenz zur Schöpfungsspiritualität, Ostfildern 2019 (links: Coverbild von Juan Francisco Guzmán)
Elementar im Kontext von Gastfreundschaft: Flucht und Migration
Seit Jahren stehen im Kontext Gastfreundschaft Flucht und Migration ganz oben. »Flüchtlingskrisen« sind in erster Linie Krisen für Flüchtende und Verfolgte, nicht so sehr für die Gastländer und deren Bürgerinnen und Bürger. Gastfreundschaft und Menschenrechte stehen hier in enger Umarmung nebeneinander. Einen Einstieg in die Frage, wer von den 100 Millionen Flüchtlingen, hauptsächlich Kinder, auf dem Planeten Erde weswegen flüchtet, gibt die Themenseite bei Brot für die Welt.
Beeindruckende Erfahrung
Barbara Janz-Spaeth: »Gastfreundschaft selbst erlebt!«
Bereits bei der Redaktionssitzung im Januar 2023, als das Schwerpunktthema für das Kirchenjahr 2023/24 diskutiert und festgelegt wurde, war Barbara Janz-Spaeth, zuständig im Bistum Rottenburg-Stuttgart für »nachhaltig predigen«, überzeugt. Unter dem Eindruck persönlicher Erfahrungen in Mittelamerika war es ihr ein Anliegen, die Erfahrungen zu teilen und um weitere Erfahrungen mit dem «Gastsein« in der Schöpfung zu ergänzen. Gastfreundschaft sei längst nicht nur Respekt, Höflichkeit und Rücksichtnahme, sondern spontane Herzlichkeit! Erst im gelebten Zusammenwirken der Komponenten in der Nächstenliebe erschließe sich die eigentliche Bedeutung der Gastfreundschaft!
Gäste erster und zweiter Klasse?
Nicola Wiebe: »Gastfreundschaft – Gemeinsam Gut Leben«
Wir alle haben das gleiche Gastrecht auf dieser Erde. Alle Menschen verfügen - bei aller Verschiedenheit - über die gleichen Rechte und die gleiche menschliche Würde. (...) Unter den bestehenden Bedingungen extremer sozialer Ungleichheit sieht die Realität jedoch häufig ganz anders aus. Die Rettung von Menschenleben im Mittelmeer wird aus politischen Erwägungen heraus kriminalisiert. Der Zugang zu lebensrettenden Medikamenten und Impfstoffen wird durch den Schutz von Gewinninteressen für viele Menschen im globalen Süden erschwert. (...) Durch die bestehende Wirtschaftsordnung werden viele Elemente zementiert, die Armut und Ungleichheit hervorbringen und reproduzieren. (...)
Das stellt uns vor die Aufgabe, grundsätzlicher umzudenken. Wir benötigen konkrete Wege zum Abbau von Ungleichheiten und ein neues Leitbild (...)
Wachstum und Gastpflicht?
Wolfgang Kessler: »Wachsen, aber anders«
Wolfgang Kessler schrieb das Buch »Das Ende des billigen Wohlstands. Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.« Publik-Forum Verlag, Juni 2023.
Wir sind Gäste auf dieser Erde und strapazieren Gottes Gastfreundschaft aufs Äußerste: Die Klimaerwärmung und die weltweite Umweltzerstörung führen uns täglich die Grenzen der Erde vor Augen. Und doch wollen die Menschen, will die Wirtschaft immer mehr von allem, mehr Rohstoffe, mehr Energie, mehr Konsumgüter, mehr Raum. Doch wer Wachstum in Frage stellt, rüttelt an einem Tabu.
Der Begriff Wachstum ist positiv besetzt. Persönlich und wirtschaftlich. Ein Kind freut sich über jeden Zentimeter, den es gewachsen ist. Erwachsene freuen sich, wenn sie ihre Persönlichkeit entfalten können, wenn sie an ihren Aufgaben, an der Welt wachsen. (...) Doch die Kosten des wirtschaftlichen Wachstums sind hoch. Es benötigt mehr Ressourcen, Regenwälder werden abgeholzt, Arten sterben aus, Plastik sammelt sich an Meeren und an den Stränden, das Klima wird wärmer. Der Drang zum Immer Mehr hilft die Schöpfung zu gestalten, er bedroht sie aber auch. Würden alle Menschen so leben wie in Deutschland, dann bräuchten wir drei Erden. Wir missbrauchen unsere Gastfreundschaft und benehmen uns unfair gegenüber unseren Gästen. (...)
Predigtanregungen des Kirchenjahres, die sich direkt mit Gastfreundschaft befassen:
22.o1.24: 3. Sonntag nach Epiphanias / 3. Sonntag im Jahreskreis
31.o3.24: Osternacht / Ostersonntag
14.04.24: Miserikordias Domini / 3. Sonntag der Osterzeit (Zusammenleben der Völker, Verhalten der Gäste untereinander)
o5.o5.24: Rogate / 6. Sonntag der Osterzeit (Umgang miteinander)
20.o5.24: Pfingstmontag (Einflussphäre der Getauften)
15.o9.24: 16. Sonntag nach Trinitatis / 24. Sonntag im Jahreskreis (Schöpfungszeit)
29.o9.24: 18. Sonntag nach nach Trinitatis / 26. Sonntag im Jahreskreis (Schöpfungszeit)
Bibelstellen (Beispiele)
(zitiert nach der Einheitsübersetzung 2016):
Hebr 13, 1-2: 1 Die Bruderliebe soll bleiben. 2 Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!
Röm 12, 10-13: 10 Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan, übertrefft euch in gegenseitiger Achtung! 11 Lasst nicht nach in eurem Eifer, lasst euch vom Geist entflammen und dient dem Herrn! 12 Freut euch in der Hoffnung, seid geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet! 13 Nehmt Anteil an den Nöten der Heiligen; gewährt jederzeit Gastfreundschaft!
1 Petr 4, 7-10: 7 Das Ende aller Dinge ist nahe. Seid also besonnen und nüchtern und betet! 8 Vor allem haltet beharrlich fest an der Liebe zueinander; denn die Liebe deckt viele Sünden zu. 9 Seid untereinander gastfreundlich, ohne zu murren! 10 Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat!
Die Themenseite »Gastfreundschaft« begleitete unser Kooperationsprojekt »nachhaltig predigen« durch das Kirchenjahr 2023/24.
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